Wissenschaftler erklären uns die Welt mit einer rationalen Beweisführung, die jeglichen Rückgriff auf mythische Kräfte jenseits unseres Erkenntnishorizontes entbehrt. Henry Jones Jr. ist so ein Wissenschaftler, ein Archäologe, ein Professor, der verstaubte Bücher wälzt, in den Ruinen untergegangener Kulturen nach Tonscherben gräbt. Indiana Jones ist seine Superheldenidentität, sein Kostüm ist der Fedora, die Peitsche, die Lederjacke. Ein Abenteurer mit der Persona eines Wissenschaftlers, der am Ende der Suche, ob nach dem heiligen Gral oder der Bundeslade, stets zur Erkenntnis gezwungen wird, dass Dinge existieren, die sich rationalen Erklärungsmustern entziehen. Indiana Jones sucht nach Artefakten, doch sein Weg verläuft nicht selten am Rande einer Epiphanie.
Wenige Minuten nach dem Ende des Vorspanns von Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels wird einem bewusst, dass Indy diesmal dem Göttlichen nicht begegnen wird. Das bekommt seinem vierten Abenteuer nicht. Unerklärliche Dinge passieren in Steven Spielbergs neuesten Streich allerdings zu Hauf. Damit ist nicht der Fakt gemeint, dass eine Horde kaum Englisch sprechender Russen in den USA der 50er, in den USA der Red Scare (!), frei herumlaufen und harmlose Uniprofessoren durch die Kante jagen können. Unwahrscheinlichkeiten dieses Ausmaßes nimmt man in einem Blockbuster kaum mehr wahr. Vielmehr ist der Mythos, welcher Indiana Jones diesmal von Land zu Land jagen lässt, das kann man bald erahnen, ein Produkt der paranoiden Nachkriegszeit: Area 51 heisst das Schlagwort. Sieht man den titelgebenden Kristallschädel, bleibt kein Zweifel: Altes und Neues Testament müssen ruhen, Science Fiction ist der Quell der Inspiration beim Drehbuchschreiben gewesen.
Indy (Harrison Ford) ist allerdings ein Archäologe, also führt der MacGuffin ihn und seinen jungen Kumpan Mutt (Shia LaBeouf) erstmal zum Grab des Konquistadors Francisco de Orellanas nach Peru, während die Russen, angeführt von der Agentin Dr. Irina Spalko (Cate Blanchett), ihnen auf den Fersen bleiben.
Die Suche nach El Dorado wird das also! Das wäre fast so interessant wie Atlantis. Doch nein, El Dorado allein genügt nicht. Indiana Jones 4 spielt schließlich in den Fünfzigern und zu den Fünfzigern gehört Science Fiction. Alle anderen denkbaren Klischees dieses Jahrzehnts komprimiert Spielberg erstmal zwinkernd, bevor es in den Dschungel geht. Vom Atombombentest, den Indy natürlich überlebt, zum Teenagerleben à la Pleasantville. Er spielt mit den Ikonen der Zeit. Das erste Drittel des Films bezieht seinen umwerfenden Charme genau daraus. Höhepunkt dieses Cartoons, der dem Traum eines Nachgeborenen gleicht, ist der Auftritt Shia LaBeoufs mit der Lederjacke auf dem Motorrad, wie einst Marlon Brando in Der Wilde. Dass diese Referenz nicht in Lächerlichkeiten ausartet, bestätigt LaBeoufs vielbeschworenes Talent, welches dem Hype endlich gerecht wird.
Trotz der popkulturellen Verweise ist Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels vor allem eine Hommage an das eigene Franchise. Visuelle Anspielungen en masse bevölkern die Bilder, leider grenzt ihre Nutzung bisweilen an eine platte Selbstparodie. Die Würdigung des verstorbenen Denholm Elliott (alias Marcus Brody) ist nachvollziehbar, die Verwurstung eines älteren MacGuffins eine sinnlose Entwürdigung. Sagen wir es mal so: Wäre Indy im Dschungel Perus zufällig über den Heiligen Gral gestolpert, hätte das bei diesem Film niemanden mehr verwundert. Diese Freude am Zitat des eigenen Werkes ist aufdringlich und reichlich übertrieben. Nach 19 Jahren Wartepause kann man dafür aber leicht Verständnis aufbringen. Sich zu dem Ursprungsmaterial konsequent in Beziehung zu setzen, dient schließlich der Integrität der Franchise. Die erste Hälfte gibt einem auch das Gefühl, einen Indiana Jones-Streifen zu sehen. Mit dieser tiefen Befriedigung, gestärkt durch den hohen Spaßfaktor, freut man sich auf den Rest des Films, doch dieser fällt im letzten Drittel in ein tiefes, sandiges Loch, in einen CGI-überladenen Akte-X-Abenteuer-Cartoon, der das ganze Filmerlebnis ruiniert, das angesammelte Potential vor die Wand fährt.
Die Bedrohlichkeit ist dahin, das Finale ist eine miese Mixtur aus Tex Avery und einer Sci-Fi-Version von “Die Mumie kehrt zurück”, aber kein Indiana Jones. Nach “Die Unheimliche Begegnung der dritten Art”, “E.T.”, “A.I.” und “Krieg der Welten” kann die Wahl Spielbergs nicht als überraschend bezeichnet werden. Unser Lieblingsarchäologe hat sie nur nicht verdient.
Alles kann man den Machern verzeihen: Die hochkarätigen Nebendarsteller, besonders Ray Winstone und Jim Broadbent, werden verschwendet. Seltsame Urmenschen krabbeln an Bäumen herum, wie schlecht animierte Spidermen und verschwinden unerklärt wieder… Das alles wird heruntergeschluckt, ignoriert zum Wohle der Indiana Jones Experience. Nur das Ende, das kann man einfach nicht vergessen. Der vierte Teil ist kein schlechter Film, ist keine Dunkle Bedrohung. Der Franchise würdig wird dieser Kristallschädel aber nicht.