Die Blogpause ist vorbei. Nach einer Woche Internetabsenz und rund 20 auf dem Filmfestival Il Cinema Ritrovato in Bologna gesehenen Filmen meldet sich the gaffer zurück, wie man so sagt.
Bei steten 35 Grad ohne auch nur einen Hauch eines erfrischenden Lüftchens liegt die Flucht in den kühlen Kinosaal nicht gerade fern. Hinsichtlich des Klimas erscheint Bologna daher als idealer Ort, einen Filmmarathon zu präsentieren.
Da beginnt der Tag um neun mit einer Vorstellung im Cinema Arlecchino, schaut man etwa einen CinemaScope-Film, und endet gegen Mitternacht, wenn die cinephilen Massen nach dem Open-Air-Kino auf der Piazza Maggiore in alle Richtungen der Stadt ausströhmen, über die grandiose Effizienz Hitchock’scher Inszenierung und unbequeme Plastikstühle sinnierend.
Das Cinema Ritrovato ist dem üblichen Festivalzirkus dadurch enthoben, dass es sich um die Bewahrung des Filmerbes dreht und ganz ohne Premierenfeiern, Blitzlichtgewitter und vergoldete Bären und Palmen auskommt. Vielleicht sieht man hier nicht die angesagtesten Starlets. Dafür aber feiert das Festival die tatsächlich legendären Stars der Vergangenheit und die Künstler hinter der Kamera.
So erwies sich das “wiedergefundene Kino”, das dieses Jahr vom 28. Juni bis zum 5. Juli im italienischen Bologna stattfand, wirklich als Entdeckung.
Die restaurierte Fassung von Max Ophüls letztem Film, Lola Montès, war in seiner ganzen opulenten Schönheit auf der Piazza zu sehen gewesen. Wenig später lief am selben Ort die selten gesehene Stummfilmfassung von Alfred Hitchocks Blackmail, musikalisch begleitet von einem Orchester.
Verschiedene thematisch zusammen hängende Reihen durchzogen die Festivaltage. Josef von Sternberg wurde mit einer Retrospektive geehrt, die seine Schaffensperiode zwischen seinem ersten Film und seiner letzten Zusammenarbeit mit Marlene Dietrich umfasste.
Sternbergs Stummfilme der 20er Jahre im direkten Vergleich mit seinen Dietrich-Filmen zu betrachten war eines der Highlights des Festivals, zeigte sich doch seine formale Finesse im Umgang mit Licht und Dekor schon in frühen Werken wie Underworld. Ebenso konnte man von Film zu Film den durch den Regisseur forcierten Wandel der Dietrich zur Stilikone und Diva nachvollziehen.
Die Möglichkeit, die Entwicklung eines Künstlers über Jahrzehnte hinweg in kürzester Zeit zu beobachten, bot auch die Werkschau des Vaters des russischen Kinos, Lew Kuleschow, die besonders durch dessen offenkundige Vorliebe für das amerikanische Unterhaltungkino auffiel. Nicht gerade selbstverständlich für einen Regisseur, der nach der Oktoberrevolution Karriere gemacht hatte.
Publikumslieblinge waren sicherlich die Warner-Retrospektive der Dreißiger Jahre, die regelmäßig zur Sitzplatznot im Lumiére 2 führten und die fünfte Auflage der oben erwähnten CinemaScope-Filme.
Das Arlecchino, das seinerzeit extra für das neue Breitwandformat gebaut worden war, bot eine ungemein bequeme Atmosphäre für die Filme von Anthony Mann, Budd Boetticher und John Sturges.
Das Gefühl, in der dritten Reihe von vorn in den weichen, gelben Sesseln des dunklen Saals zu versinken und die in satte Farben getauchten Abenteuer von Gary Cooper oder Spencer Tracy zu bestaunen, ist ganz einfach durch kein Multiplex, keine Lasershow und auch kein IMAX-Kino dieser Welt ersetzbar.
Diese Liebe zum Film vereint die Mischung aus Cineasten, Einheimischen und Filmwissenschaftlern, die sich jedes Jahr in Bologna zusammenfindet. Hier genießt jeder das seltene Erlebnis, einen Stummfilm Chaplins live auf dem Klavier begleitet zu sehen und zu hören. Ob man nun mit seinen Nudeln und der Pizza auf den Stühlen der Piazza Platz nimmt oder auf deren warmen, ebenso unbequemen Steinboden.
Da war es auch dieses Jahr nur ein kleines Übel, wenn man zur Mittagszeit ins Hotel rennen musste, um das vom Schweiß durchweichte T-Shirt zu wechseln oder der Sitznachbar im Cinema Lumiére 1 in variierenden Lautstärken vor sich hin schnarchte.
Die Pausen, die nicht mit der Joggingtour zum Kleidungswechsel verbracht wurden, widmeten sich den üblichen Aufputschmitteln, vorrangig dem italienischen Espresso, der hier auf dem Platz vor der Cineteca schon mal in den Rachen gewuchtet wurde wie der Whiskey am Tresen des Saloons.
Bis auf den ein oder anderen exotischen Snack blieb da kaum Zeit zur Nahrungsaufnahme, schließlich ging’s sofort in den nächsten Film, z.B. aus der Reihe der Stummfilme aus dem Jahr 1908.
Fiel man endlich nachts müde aufs Bett des Hotelzimmers, wohlgemerkt nach dem vierten Film, dem dritten Espresso und der x-ten Dusche des Tages, dann begleiteten einen die Beine Marlene Dietrichs als sie Gary Cooper in die Wüste Marokkos folgt oder die auf den dünnen Seilen des Zirkus’ balancierende Lola Montès in den Schlaf. Oder aber der Cowboy Jeddy, der in voller Montur durch Moskaus verschneite Straßen rennt. Das gibt’s eben nur im Kino.
Das waren die ersten Eindrücke vom Festival.
Näheres zu allen in Bologna gesehenen Filmen wird hier in den nächsten Tagen zu lesen sein.