Das Destillat der puren Aggression ist die Figur Jacques Mesrine und in Vincent Cassel hat sie ihre perfekte Verbildlichung gefunden. Das schmale, vom Alter nicht übergangene Gesicht. Die spitze, herausfordernde Nase. Ein bisschen die teuflische Version eines James Dean; eine, die jedoch weiß, was sie tut.
Mesrine ist in Public Enemy No. 1 – Mordinstinkt keinesfalls das personifizierte Böse, dazu verpflichtet sich Regisseur Jean-François Richet viel zu stark den bereits in den Warner-Filmen der frühen dreißiger Jahre niedergelegten Erzählmythen. In seiner ziellosen Selbstzerstörung ähnelt er allerdings weniger Tom Powers (“The Public Enemy”) oder Tony Camonte (“Scarface”). Nein, diese Einwandererkinder sahen ihre Zukunft “on the top of the world” und ihre Welt war die Unterwelt. Mesrine, der von Raubüberfall zu Raubüberfall, Erpressung zu Erpressung durch sein Leben sprintet, manchmal stolpert und sofort wieder das Tempo anzieht, mag zwar das schnelle Geld locken. Sein chaotischer Lebensstil ähnelt eher dem der realen Gangster der frühen Depressionszeit, John Dillinger etwa oder Bonny Parker und Clyde Barrow.
Ungeachtet der vergleichsweise modernen Inszenierung, hält sich Richet an die klassisch-chronologische Erzählung dieses wilden Lebens, das im zweiten Teil Todestrieb seine Fortsetzung erfahren wird. Anders als seine klassischen Vorgänger ist Mesrines Weg in den verbrecherischen Lebensunterhalt weniger seinem sozialen Hintergrund geschuldet. Ganz im Gegenteil: Das gesicherte gutbürgerliche Leben seiner Eltern scheint ihn anzuwidern, Einschränkungen jeder Art – ob durch Gesetze, Ehefrauen oder Arbeitszeiten – wider seiner Natur zu sein. Als ein entwurzelter Algerien-Veteran kehrt er zurück in das Frankreich der frühen Fünften Republik und gerät durch den gestandenen Gangsterboss Guido (Gérard Depardieu) in die Geschäfte der ‘Szene’.
Den Auftakt bildet die Episode aus dem Algrienkrieg, sozusagen die Initiation Mesrines in das Geschäft mit dem Tod. Im Hintergrund des Gangsterlebens, das den von Cassel mit jeder Pore seines Körpers verinnerlichten Verbrecher bis nach Canada und in die USA führt, flimmern nicht zufällig immer wieder Fernsehbilder auf, hört man Radioausschnitte. Und immer wieder ist es de Gaulle, sind es die weiteren Entwicklungen der Algerienkrise und Guido hat auch noch Verbindungen zur OAS. Durchtränkt von Zeitgeschichte erhebt Richet seine mal faszinierende, mal abstoßende Hauptfigur zum zutiefst französischen Helden der Krise, um ihm im gleichen Moment den Sockel unter den Füßen wegzureißen. An den Rand der plumpen Verherrlichung, der Versenkung im Gangster Lifestyle, gerät der Film schließlich eher selten, z.B. wenn er Mesrine und seine Freundin à la “Easy Rider” von Rockmusik begleitet durch Amerikas Westen jagen lässt.
Dass der Film sich in der zweiten Hälfte auffällig auf Action-Schauwerte – Schießereien, Gefängnisein- und Ausbrüche – verlegt, gerät kaum zum Nachteil des angepeilten Psychogramms. Wie Mesrines zunehmend blinde Wut ungeachtet aller Konsequenzen besser ins Bild setzen, als durch den absurden Angriff eines PKWs auf ein Hochsicherheitsgefängnis? Da ist er, Tom Powers, der mit einem Revolver aus Rache ins Hauptquartier der gegnerischen Gang stürmt. Doch Powers, ein öffentlicher Feind aus einer anderen Zeit, war noch von Motiven getrieben. Was auch für Motive angeboten werden, bei Anblick des Himmelfahrtskommandos kristallisiert sich einzig Mesrine heraus. Ist da wieder nur Cassels Gesicht, das eigentlich schon alles sagt. Beweggründe ausfindig zu machen, ist in Public Enemy No. 1 – Mordinstinkt letztendlich ein Spaß von zweifelhaftem Gewinn. Hinter diesen Augen verbirgt sich das Tier.
Zum Weiterlesen: