Kontrapunkt: Cellu l'art 2010

Zum nunmehr 11. Mal fand dieses Jahr vom 14. bis 18. April das Jenaer Kurzfilmfestival „Cellu l’art“ statt und ich konnte nach wie vor nicht klären, welche Schreibweise nun die offizielle ist. Aber dafür kam ich in den Genuss, einen Großteil der insgesamt über 50 Filme zu sehen, die sich auf den internationalen Wettbewerb und den Länderschwerpunkt Indien verteilten. Kurz und knapp als akkreditierter Pressevertreter nun also mein Resümee.

Nachdem am Mittwochabend am Johannestor trotz widrigen Witterungsumständen beim Open Air einige Highlights aus den letzten Jahr zu sehen und die Live-Band „Standek“ zu hören war, wurde am Donnerstag (15. April) dann schließlich das Capitol Kino nach über einem Jahr Schließung wieder eröffnet. Und die Besucher kamen – in Strömen. Dabei greife ich vorweg: Gleich im ersten der insgesamt 5 Wettbewerbsblöcke lief der diesjährige Siegerfilm:

Stiller See (D 2010)

Die aus Erfurt stammende Regisseurin Lena Liberta, welche beim Cellulart 2009 bereits für ihren überladenen Problemfilm „Hundesöhne“ mit dem Publikumspreis geehrt wurde, widmete sich wieder ihrem bevorzugten Thema: der Familie und ihrer Probleme. In ihrem mit Klaviermusik buchstäblich durchkomponierten 7-Minüter erzählt sie die Geschichte um das von Unverständnis geprägte Verhältnis eines Vaters zu seinem autistischen Sohn. Die Mutter ist in dem See, an welchem die beiden Urlaub machen, vor einiger Zeit ertrunken. Der in prätentiös anmutendem Schwarz-Weiß präsentierte Film kreist um das Motiv der Musik und der kathartischen Wirkung des Wassers, ist eindrucksvoll gespielt. Ein würdiger Gewinner, auch wenn ich zwei Filme noch besser fand. Und zwar:

Territorio Enemigo (ESP 2008)

Dieses im 2. Wettbewerbsblock am Freitag gelaufene Kriegsdrama beweist nach den Wettbewerbsbeiträgen in den vergangenen Jahren einmal mehr, dass spanische Kurzfilme zu den international besten gehören. Darin verirrt sich ein Soldat auf feindliches Terrain und stellt dort den Gegner. Doch ein Fehltritt auf eine vermeintliche Mine schränkt neben seiner Bewegungsfreiheit auch seine Optionen dem Feind gegenüber ein. Packend, spannend und mit einer ebenso bitteren wie überraschenden Wendung am Ende fungiert der 11-Minüter von Rodrigo Plaza als beklemmendes Psychodrama um Angst und als Statement gegen den Irrsinn des Krieges, eingefangen mit einer bemerkenswerten Kameraarbeit. Auch sehr sehenswert:

Fliegen (D 2009)

… der im fünften und letzten Wettbewerbsblock am Samstag lief. Mit Sandra Hüller („Requiem“) und Jakob Matschenz, der später auch den Preis als bester Darsteller gewinnen sollte, hochkarätig besetzt, wird die Geschichte eines illegalen Einwanderers in Deutschland erzählt. Die Studentin Sarah (Hüller) dokumentiert sein Leben und beginnt eine Affäre mit ihm. Doch das – der einzige Kritikpunkt – ärgerliche Klischee um seine Verbindungen zu kriminellen Kreisen sorgt dafür, dass die Behörden bald auf ihn aufmerksam werden. Intensiv gespielt, authentisch wirkend und ein mutiges Thema: ein großartiger Kurzfilm!

Dabei stand die Qualität der von Kuratoren zusammen gestellten Kurzfilme vom indischen Subkontinent der Klasse dieser Filme nicht nach. Interessierte Zuschauer – und davon gab es erfreulicherweise erstaunlich viele – erhielten einen Einblick in ein Independentkino, welches soziale Probleme wie Armut und Menschenhandel ebenso thematisiert wie eine Gesellschaft im Auf- und Umbruch, in der eine riesige, aber stetig weiterwachsende Film- und Unterhaltungsindustrie immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der skurrile Kurzfilm „The Private Life of Albert Pinto“ um einen Schauspieler, der auf seinen Durchbruch wartet thematisiert letztere ebenso wie „Tumse Milke“, in welchem das Mädchen Meera durch einen Schreibwettbewerb Shah-Rukh Khan kennenlernen will. Besonders im Gedächtnis haften blieb jedoch…

Kavi (USA/IND 2009)

Der oscarnominierte Kurzfilm lief außerhalb des Länderschwerpunkts im das Programm abrundenden „B-Side Special“ am Sonntag, indem Kurzfilme gezeigt wurden, die es trotz hohen Niveaus nicht ins reguläre Programm geschafft haben. Die Themen Kinderarbeit und moderne Sklaverei sind jedoch auch keine leichten, die Gregg Helvey da angepackt hat. Packend erzählt er die Geschichte vom indischen Jungen Kavi (Sagar Salunke), welcher den ganzen Tag Backsteine herstellt, obwohl er lieber zu den Schülern von nebenan gehören würde, die er immer wehmütig beobachtet. Als eines Tages seine Eltern verschleppt werden, hat er die Möglichkeit, aus seinem streng reglementierten Dasein auszubrechen. Trotz einer gewissen Plakativität in der Inszenierung verfehlt der Film seine aufrüttelnde Wirkung nicht und dringt einfühlsam in die Psyche eines Jungens ein, der in diese Form des Leibeigentums hineingeboren wird.

Genug der Rezensionen! Nun noch ein paar letzte Ausführungen zum Festival insgesamt, zusammengefasst in einer knackigen Checklist:

+ hohes Niveau der Wettbewerbsfilme
+ ungewöhnliche Einblicke durch den Länderschwerpunkt Indien
+ tolle Location (geschlossenes Kino quasi wiedereröffnet)
+ gute Cocktails zu noch besseren Preisen
+ viele Filmemacher/Beteiligte anwesend

eine Heizung im Saal wäre schön gewesen
durch Format-Hickhack der aufeinanderfolgenden Filme ein paar Problemchen bei Bild und Ton

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