Der Letzte Exorzismus (USA 2010)

Die Bilderrahmen wackeln an der Wand, quälende Laute durchziehen das Zimmer und das Bett entwickelt in diesem einst beschaulichem Heim ein Eigenleben. Cotton Marcus (Patrick Fabian) will ein letztes Mal seine Nummer abziehen. Der Exorzist, schon als Kind von seinem Vater in die Rolle des Wunderpredigers gedrängt, hat den Glaube an Gott in Zweifel gezogen. Sein Geschäft: eine einzige Farce, ein billiger Zaubertrick. Im tiefen Süden der USA verdient er mit dem Aberglauben der kleinen Leute sein Geld, doch Cotton hat längst genug. Auffliegen soll das Geschäft in einer Doku, die ihn bei seinem letzten Exorzismus begleitet. Konventionell und ARD-tauglich beginnt diese mit einem Einblick in seine Arbeit, sein Familienleben. Die üblichen Interviewschnipsel verpacken Cottons Leben in eine Narration des Missbrauchs, in welcher er Täter und Opfer zugleich ist. Als er Nell (Ashley Bell) begegnet, die auf eben jenem Bett zuckend liegen wird, merkt der Prediger nur an, wie ungern er  mit Kindern “arbeitet”. Dass Cotton die Situation völlig falsch einschätzt und aus der Show sehr bald Ernst wird, ist offensichtlich, bedenkt man das befremdliche Marketing für Der letzte Exorzismus. Als Durchschnittsschocker wird Daniel Stamms Zweitling jedenfalls deutlich unter Wert verkauft. Das Konzept – irgendwo zwischen found footage und scripted reality – ist  nicht neu. Doch Stamms Pseudo-Doku (“District 9” im Horrorbereich) überzeugt im Vergleich zu seinen Genrekonkurrenten in erster Linie durch die volle Ausnutzung des Formates.

Der Moment der Immersion ist in “Der letzte Exorzismus” ebenso gegeben wie in “REC” und “Blair Witch Project”, schließlich führt auch hier eine Figur die Kamera. Die Trias Produktion – Film – Zuschauer wird scheinbar geköpft, die Intimität im Kinosaal wiederhergestellt. Man ist allein mit den Helden und v.a. mit ihrem Blickwinkel. Aus dem distanzierten Schaulustigen wird der stille Begleiter, der alle Sorgen und Nöte teilt und teilen muss. Zumindest zeitweise. Was der soghaften Wirkung des Films zunächst entgegenkommt, ist nämlich das Gegenteil dessen: die vorübergehende Aufrechterhaltung eines neutralen Blickes. Denn “Der letzte Exorzismus” beginnt schließlich als Dokumentation, ihre Kamera ein professioneller, aber unbeteiligter Beobachter. Als Nells Verhalten gewalttätige Züge annimmt, Cotton bemerkt, dass er mit seinen Tricks gegen eine schwere Krankheit (oder gar den Teufel?) im Leib des jungen Mädchens nichts auszurichten vermag, verliert das Drehteam die Kontrolle über die Situation, nimmt unser Blick von nun an Teil am Geschehen. Ob wir es wollen oder nicht.

Die Werkzeuge des Subgenres setzt Daniel Stamm somit gekonnt ein. Abgesehen von den in ausreichendem Maße vorhandenen Schockmomenten, die auch auf das Konto der sparsamen, aber durchdringenden Soundkulisse gehen, ist Stamms kleiner Geniestreich womöglich, dass das Doku-Format nicht nur Mittel zum Zweck ist. Wie ein geübter Dokumentarfilmer nähert er sich in der ersten Hälfte des Films seinem Thema an und dieses heißt nicht “Exorzismus in Louisiana anno 2009”, sondern “Cotton Marcus”. In Nell findet dieser immerhin ein düsteres Spiegelbild seiner Jugend, stehen sie doch beide unter der Fuchtel extremer Religiösität. Eine geradezu biblische Wendung konfrontiert den abgeklärten Reverend mit ihr, also mit sich selbst. So wird er seiner wichtigsten Prüfung unterzogen. Aus diesem und einigen anderen klassischen Motiven, die weit in die Geschichte des Horrorfilms zurückreichen, bastelt Stamm einen erfrischenden Genrebeitrag, eine willkommene Abwechslung vom einfallslosen Remake-Wahn der vergangenen Jahre, wenn auch keine angenehme.

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