Hinter den Kulissen – Meshi (Naruse Mikio/1951) & House of Bamboo (Samuel Fuller/1955)

In der neuen Rubrik “Recall” wird Robert a.k.a. vannorden regelmäßig in den Annalen der Filmgeschichte kramen und in Gestalt von Texten im Grenzbereich zwischen Kritik und Essay seine Ergebnisse präsentieren. In der ersten Ausgabe stellt er Naruses “Meshi” Samuel Fullers amerikanischen Blick auf Japan in “House of Bamboo” gegenüber.

Zwei Filme wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein old school Actionthriller der ruppigen Sorte und ein Familiendrama voll Feingefühl. Aber doch behandeln sie dasselbe. Oder eigentlich auch nicht dasselbe. Sie erzählen von Japan in der Nachkriegszeit. Japan unter dem Einfluss der Moderne oder Amerikas, wie man es sieht. Doch während Fullers “House of Bamboo” einen Blick hinter die Fassade Japans wirft und dort das amerikanische Grauen findet, entdeckt „Meshi“ (Das Mahl) von Naruse dort das Nichts… die Leere der Realität, die mit dem täglichen Leben zu füllen ist. Doch der Reihe nach.

Meshi ist mehr oder weniger ein typischer Vertreter des Shomingeki-Genres, also ein Familiendrama, welches die untere Mittelklasse behandelt. In diesem geht es nun um Michiyo, die nach zwei Jahren Ehe erkennt, dass sie herb enttäuscht ist… von ihrem Mann, der Ehe und ihrem Leben. Tagein, tagaus muss sie dieselben Arbeiten verrichten, nichts Neues geschieht. Mit der Monotonie der Tage hat sie ihre Individualität verloren. Ihr Mann verdient gerade genug um sie über Wasser zu halten. Folglich herrscht das harte Regiment der Sparsamkeit, dem sie jede Annehmlichkeit (für ihren Mann) abkämpfen muss. Ihr Mann beachtet sie auch kaum noch. So allein gelassen, fühlt sie sich vom Leben verraten.

Folgen hat das aber erst als Satako, die Nichte ihres Mannes, zu Besuch kommt. Diese nimmt sich alles heraus, was sich Michiyo nicht gestattet; Freizeit, Vergnügen, Geld verschwenden, ein unabhängiges Leben (als Tänzerin und ohne Heirat). Zudem bekommt die Besucherin von ihrem Mann Zuwendung und Aufmerksamkeit. In Angesicht dieses unbekümmerten Mädchens beginnt der Käfig ihrer Ehe unerträglich zu kratzen. Michiyo flieht zu ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Tokio. Dort bekommt sie aber dieselbe Antipathie zu spüren, welche sie Satako spüren ließ, denn bei ihrer Familie wird sie selbst als das unbekümmerte Mädchen wahrgenommen, das vor dem Ernst des Lebens flieht.

Ob sie am Ende zu ihrem Mann zurückkehrt, eine Affäre mit ihrem reichen Cousin anfängt oder versucht ein unabhängiges Leben allein zuführen, sei dahin gestellt. Wie jedoch die Ausweglosigkeit der Situation Michiyos dargestellt wird, zeigt die große Virtuosität Naruses. Formal sehr streng ausgeführt, mit Bildern die vor Kälte klirren, entwirft er ein Land der Tristesse. Die Bildsprache unterstreicht dies nur mehr. Ohne Blick für oberflächliche Ästhetik fotografiert Naruse Menschen in ihrer Welt. Die Inszenierung beschränkt sich dabei auf die heimische Gasse, die aus verschiedensten Wickeln fotografiert wird und so nur die Entfremdung des Raums hinterlässt. Gleiche Perspektiven gibt es nur bei gleicher Tätigkeit, was lediglich die Monotonie unterstreicht. Diese Regel wird auch nur einmal bedeutsam gebrochen. Also Entfremdung an allen Ecken.

Nicht das Humor und Wärme fehlen würden, auch diese hat der Film, aber sie scheinen unter Missgunst, Armut und der Qual des Lebens zu ersticken. So flieht Michiyo vor der aufreibenden Einförmigkeit der Ehe, findet aber keine Alternativen. Sie liebt ihren Mann, aber nicht das Eheleben und nur wegen Geld zu heiraten, verspricht auch kein Glück. Aber vor allem ihr Wunsch, alleine zu leben und ihre Freiheit finden, ist nicht zu verwirklichen. Die ständigen Vorwürfe über ihr Verhalten, die am Ende jeder Unterhaltung stehen, die Unmöglichkeit einen Job zu finden, herzzerreißend am Schicksal einer alleinerziehende Mutter dargestellt, lassen die Vermutung in ihr reifen, dass man als Frau (in Japan) nur in der Jugend eine angenehme Zeit verleben kann. Das Leben der Erwachsenen ist von Qual und Zerrissenheit beherrscht, welche die Widersprüchlichkeit Japans, hin und hergerissen zwischen Tradition und Moderne, spiegeln. Naruse blickt hinter die Maske eines wieder aufstehenden, sich modernisierenden Japans und findet nur die Leere… durch die angsterfüllte Kälte der Menschen erzeugt. Liebevoller, herzlicher Menschen, die gar nicht anders können, als aneinander vorbei zu leben. Am Ende steht bei Naruse auch nicht wie meist bei seinem großen Regiekollegen Ozu die Kommunion mit der Welt und ihren Leiden, sondern die Wertschätzung der Verlierer, die trotz aller Qualen am Leben bleiben. Und ja, die abschließenden Worte sind höchst diskussionswürdig, aber sie sind der einzige schwerwiegende Makel eines wunderbaren Films.

House of Bamboo bezieht sich nun auf dieselbe Welt, ein Japan, dass zwischen Tradition und Moderne gefangen scheint, doch hinter den Kulissen findet Samuel Fuller etwas ganz anderes. Erst einmal stirbt aber ein Amerikaner in Tokio. Ermordet mit derselben Waffe, die schon während eines Überfalls auf einen amerikanischen Waffentransport benutzt wurde. Amerikanische und japanische Behörden arbeiten nun zusammen, um die Verbrecher zu fassen. Eddie Spanier, ein Freund des toten Amerikaners kommt ebenfalls ins Land der aufgehenden Sonne und gelangt ins Innere des verantwortlichen Kartells, bestehend aus ehemaligen amerikanischen Soldaten. Den Gangstern wird nun vom Inneren und Äußeren eingeheizt, doch der wahre Feind sitzt ganz wo anders.

Die Zutaten dieses für Fuller typischen Filmes sind Paranoia, hypermaskuline Männer, samuraiartige Gangster und ein Japan unter amerikanischen Einfluss. Während bei Meshi der Einfluss Amerikas/des Westens durch billigen Importreis, billige westliche Kleidung oder kapitalistische Spekulationsgeschäfte sehr dezent angedeutet wird (wie vieles Zentrale eher angedeutet als ausbuchstabiert wird), zeigt House of Bamboo diesen mit dem Holzhammer. Wer bei Samuel Fuller Dezenz erwartet, ist sowieso an den falschen geraten. Er ist schließlich „die Faust des Kinos“. Doch man darf seine Filme nicht mit Trash verwechseln. Neben all dem Schund in den Dialogen und den Charakterzeichnungen steht die große Kunst, neben Männlichkeits- und Gewaltglorifizierung eine sensible Seele, alles untrennbar miteinander verbunden. Dies wird in einer Einstellung in „House of Bamboo“ deutlich. Eddie Spanier, der versucht als Schutzgelderpresser über die Runden zu kommen, wird von zwei Japanern durch eine traditionelle Papierwand geworfen und der Blick wird frei gegeben auf Sandy Dawson (gespielt vom großartigen Robert Ryan), der umgeben von seinen Schergen über der Szene thront. Das Bild ist klar, hinter der japanischen Fassade steckt die amerikanische Hegemonie.

Doch Fullers Japan hat nicht viel mit Naruses Japan gemein. Wenn nicht der Fuji(yama) im Hintergrund zu sehen wäre, könnte man denken, dass die Handlung nicht in Tokio, Japan, sondern in Tokio, Tennessee stattfinden würde. So fällt eine Japanerin einem fremden Mann in die Arme und weint. In „Meshi“ braucht man lediglich die eigenen Hände, um die Berührungen unter den Menschen zu zählen. Dieser expressionistische Gefühlsausbruch ist Teil Hollywoods und nicht Japans. An vielen Stellen kann man erkennen: Fuller ist weniger an einer japanischen Realität interessiert als an einer Erörterung amerikanischer Probleme. Hinter der japanischen Fassade entdeckt er einen sich ausbreitenden, paranoiden, amerikanischen Krebs. Aber er ist zu wenig scheinheilig, um Sandy Dawson zu verteufeln, weshalb man einen differenzierten, unmoralischen Film bekommt, voller cooler, zerrissener Gangster, die so flach sind wie die Leinwand, auf die sie projiziert werden. Mit allem Respekt.

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