The King’s Speech (GB/AUS 2010)

Mein Mitleid für millionenschwere Monarchen ist begrenzt, aber wenn The King’s Speech von Tom Hooper eines gelingt, dann ist es eine Nachsichtigkeit für die gekrönten Häupter dieser Welt zu stimulieren. Der ganze Film ist auf das Verständnis einer Situation ausgerichtet, die wohl kaum ein nicht-blaublütiger Mensch tatsächlich verstehen kann (und andersherum verhält es sich wohl ähnlich). Das mag für nicht wenige ideologisch befremdlich sein und ideologisch befremdliche Momente bietet der Film ein paar. Andererseits bezweckt “The King’s Speech” zu keiner Zeit die Darstellung einer gesellschaftlichen Epoche, sondern beschränkt sich größtenteils auf einen winzigen Teil der Gesellschaft, auf ein Millionstel eines Landes, auf einen Prinzen und dessen Sprachprobleme. Anders gesagt: Wenn sich The King’s Speech um den eigentlichen Thronfolger, Edward VIII (Guy Pearce), oder ganz allgemein um das Großbritannien der Vorkriegsjahre drehen würde, sähe die Bildsprache womöglich ganz anders aus. Denn Tom Hoopers Film kehrt ganz klassisch das Innerste nach außen, tapeziert die Wände und Möbel, die Straßen und Wiesen mit dem seelischen Gefängnis, in dem sich Prinz Albert (Colin Firth) seit seiner Kindheit befindet. Deswegen verzichtet “The King’s Speech” auf jeden monarchischen Prunk. Vielmehr wirken die Räume der (symbolischen) Macht erdrückend, die Insignien überlebensgroß. Zwischen all dem steht der zukünftige stotternde König, ein seelisches Wrack, jahrelang verkrüppelt von der Macht, die aus jeder Pore seiner Umgebung tropft. Es ist nach A Single Man erneut eine perfekte Rolle für Colin Firth.

Der stotternde Prinz, der unwillig zum König wird und über sich hinauswachsen muss. Was für eine Story! Sie wäre wohl für das Merchant Ivory-Kino der 90er Jahre zu platt gewesen. Damals wurde die britische Oberschicht noch in kühlen, distanzierten Bildern seziert. In den Literaturverfilmungen saß jedes Kleid perfekt, hing kein Bild schief. Alles schien so glatt, dass es schon wieder steril war und genau davon profitierte ein Film wie “Was vom Tage übrig blieb”. Doch diese Zeit ist längst vorbei. “The King’s Speech” ist zwar kein kitchen sink-Drama, erteilt aber dennoch der Ästhetik der 90er Jahre – die feinen Leute in feinen Bildern einzufangen – eine Absage. Statt auf den Handkamera-Realismus der kleine Leute-Filme zu setzen, kehrt Tom Hooper die Subjektivität nach außen. Ein realistisches Porträt einer Königswerdung ist der Film deswegen weniger. Eher der subjektive Blick eines Mannes auf seine ihn zu erdrücken drohende Umwelt, auf die gesichtslosen Massen (das Volk), die ihn so einschüchtern, zu denen zu sprechen er erst lernen muss.

Und dann ist da noch dieser Australier, Lionel (Geoffrey Rush), einer von den Kleinen, ein vormals Gesichtsloser, der gerne vor den anderen sprechen würde als großer Schauspieler, aber in seinen Bemühungen scheitert. Ausgerechnet der flappsige Australier muss den zukünftigen König von seinem Stottern befreien und ist damit natürlich automatisch der Psychiater und Freund aus dem Volk. Aber auch Lionel ist ein Außenseiter aus den fernen Regionen des Commonwealth und seine Praxis zugleich neutraler Boden, auf dem Albert weder Prinz noch Bettelmann ist. Dass das in der zweiten Hälfte konstruiert wirkende Drehbuch – eine große Rede steht an, es wird geübt, es wird geredet, eine größere Rede steht an  – nicht die Nerven strapaziert, liegt an Lionel und “Bertie”, an Geoffrey Rush und Colin Firth, die beide das tun, was sie am besten können, es aber ganz und gar nicht abgenutzt aussehen lassen. Rush ist der Exzentriker, ein Guter, ein Liebevoller, aber eben auch irgendwie ein seltsamer Kerl, der sich nicht um Konventionen schert. Colin Firth wiederum ist die wandelnde offene Wunde, eine Figur, der man das Leid in den Augen, den Falten, dem Zittern der Mundwinkel anmerkt. Keiner gibt die gescheiterte stiff upper lip momentan so gut wie Colin Firth und wieder einmal trägt er einen Film über die Ziellinie.

Dabei sind sich A Single Man und The King’s Speech gar nicht mal so unähnlich, wenn es um die Ästhetisierung seelischer Pein geht. Nur ist in Tom Hoopers Film die Oberfläche, unter der es brodelt, nicht hübsch, nicht stylish, sondern kahl, kalt und in entsättigtem, gräulichen Pastell gehalten. Die Schauspieler, von Firth über Rush bis hin zu Helena Bonham Carter in einer ihrer besten Rollen der letzten Jahre und dem kaum wieder zu erkennenden Guy Pearce, bringen Leben in das ästhetische, weil seelische Gefängnis, das Bertie umgibt. “The King’s Speech” ist nicht die Geschichte eines Königs, der mit Hilfe eines kleinen Mannes zu seiner Größe findet. Er hätte das sein können, geht man vom Drehbuch aus. Doch stattdessen ist Tom Hooper ein extrem unterhaltsamer Film über einen Mann namens Albert gelungen, der mühsam eine Verbindung zu seiner Umwelt aufbaut, gewissermaßen einen Tunnel gräbt, um endlich einen Blick auf’s Tageslicht zu erhaschen.


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