Somnambule Strangeness – Herbstromanze (BRD 1980)

Unfassbar. Im wörtlichen Sinne. Es ist rational nicht zu fassen, was in diesem Film passiert. Herbstromanze als einen riesigen Haufen Dreck abzutun, ist vielleicht die beste und nachvollziehbarste Haltung gegenüber diesem Machwerk. Wer sich aber diesem unwirklichen, irrealen Film auch nur ein klein wenig öffnet, der wird wahrscheinlich weggeblasen, denn er ist eben u n – f a s s – b a r.

Pferde reiten in Zeitlupe zu schmachtender Musik durch eine idyllische Landschaft. Glück und Liebe triefen dabei in grenzenlos naiver Berechnung von der Leinwand respektive aus dem Bildschirm. Jürgen Enz, bekannt oder eher berüchtigt für seine infernalischen Sexfilme, hatte gegen Ende seiner Karriere als Regisseur diesen Heimatfilm gedreht. Der Sex ist hierbei fast vollständig an den Rand gedrängt. Aber er ist auch noch da und gibt der schmierigen, durchgedrehten Atmosphäre in dem von Enz eingefangenen Bad Berleburg im Sauerland den letzten Stoß. Wobei durchgedreht hier nicht mit Hektik verwechselt werden sollte. Es ist ein Wahnsinn, der alle zehn Minuten rein „zufällig“ Welpen vor der Kamera landen lässt, Welpen, die in ihrer Knuddeligkeit seelenruhig präsentiert werden und einem das Herz aufgehen lassen (sollen), Welpen, die nichts zu der Geschichte beitragen, aber alles über den Film und seine Machart sagen. Es ist ein Wahnsinn, der entweder wirklich so grenzenlos naiv ist, dass er kleine süße Hundejunges zeigt, weil sie bei Enz das Herz schmelzen lassen und in seiner wunderschönen, relaxten Welt einfach das Schönste sind, oder es ist ein Wahnsinn, der jede nachgiebige Sicht auf die verlogene Idylle des Heimatfilms verlacht und sie mit ätzenden Sarkasmus in Form von jungen Kläffern vorführt. Die verrückte Herzlichkeit und die totale Entspannung der Welpen ist die des ganzen Films, eines radioaktiven Heimatfilms, der einen Malstrom aus unlösbaren Widersprüchen entfacht und so einen abstrusen Reichtum entwickelt.

Auf dem Landgut eines Freundes und Ex-Liebhabers macht eine Frau mit ihrer Tochter Urlaub. Diverse amouröse Skizzen hat Jürgen Enz in petto, die herrlich undramatisch verlaufen. Hofbesitzer und Mutter schrammen fast nebenher an einer Beziehung vorbei. Die Subtilität, die er gerade hier bereithält, steht im schreienden Gegensatz zum Rest des Filmes, der sonst eher plump und berechnend daherkommt. Die Beziehung zwischen ihren jeweiligen Kindern begrenzt sich auf die sexuelle Belästigung und Nötigung des Sohnes des Landgutsbesitzers gegenüber der Tochter. Letztere beginnt eine zarte Romanze mit einer stummen Magd eines Nachbarhofes. Dabei ist Herbstromanze vor allem Rosamunde Pilcher hoch 10.000, wobei ich gestehen muss, dass ich noch nie einen Rosamunde Pilcher-Film gesehen habe und beziehe mich nur auf ein ungutes Magengefühl gegenüber diesen Filmen mit ihrem gut inszenierten Kitsch, der ein keimfreies menschliches Leben propagiert, das nur in künstlichen, klischeebeladenen Herz-Schmerz-Dramen Gefühle und Lebensinhalt entwickeln zu können scheint. Doch wo bei diesen Filmen wohl noch ein gewisser Grad an Dezenz und Realismus gewahrt wird, da herrscht bei Enz ungehemmte, bis zum Anschlag aufgedrehte Künstlichkeit. Alles ist falsch, daneben und schlecht … teilweise bis zu einem leichten körperlichen Unbehagen.

Fast könnte man meinen, es handelt sich bei Herbstromanze um die Studie einer außerirdischen Spezies über Gefühle und Erotik. Sie können die Oberfläche der Menschen und ihre Handlungen wahrnehmen. Nachvollziehen können sie diese aber nicht. Alle Figuren in diesen atemraubenden 80 Minuten scheinen gerne wie Menschen wirken zu wollen, aber es sind nur schreckliche Karikaturen in Karikaturen von lebensnahen Situationen. Wie Marionetten bewegen sie sich durch die Heimatfilmkulissen und sagen Dinge, die vielleicht tatsächlich mal Menschen gesagt haben, aber nie in diesen Kombinationen. Das Publikum auf dem Heimatplaneten wird vielleicht denken, die fremde Rasse Mensch durch diese “ethnografische Studie” gut dargestellt zu haben. Aber hölzern und irreal ist gar kein Ausdruck für den Wahnsinn, der hier zusammengeschustert wurde. Brecht’sche Epik in unfassbarer Virtuosität, die sich selbst überschlägt. Dazu kommen Szenen von so ausgesuchter Absurdität, dass einem Helge Schneider-Filme plötzlich wie Hollywood vorkommen.

Herbstromanze kann einem das Gefühl geben, dass der eigene IQ nur noch bei 5 liegt. Aber nicht weil einen der Film lobotomisiert, sondern weil sich Intellekt sprengende Möglichkeiten auftun. Eine bitterböse Satire auf Kitsch? Ein Essay über das Verhältnis von Realität und ihrer Darstellung (oder einfach Kunst)? Ein Kunstwerk, das auf schmerzliche Weise die Künstlichkeit der Selbstdarstellung offenlegt und so Fragen zur Wahrhaftigkeit des eigenen Handelns aufwirft (und ob ein solches überhaupt möglich ist)? Eine Studie über den Mief einer abgekapselten, kleinbürgerlichen Welt? Ein seltsam absurder Heimatfilm, der jede Form von Klischee umgeht, indem er sie zu riesigen Türmen häuft? Einfach nur ein riesiger Haufen Mist? Im Grunde ist dieses Meisterwerk von Jürgen Enz (niemand geringeren) all das und noch viel mehr. Kurz ein Erlebnis, das einem manchmal fast den Kiefer ausrenkt, wenn der Unglaube über das zu Sehende einem wieder die Kinnlade runterfahren lässt. Lachen, Weinen, Euphorie, Zauber. Alles hält er bereit. Aber vor allem ist er, wie gesagt, unfassbar.

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