“It seems we are still lacking.”
Das Pumpen. Das Sprudeln. Das leise Quietschen des Absauggeräts, wenn in The Knick der zweite Patient vorgeführt wird. Verebbt das digitale Dröhnen von Cliff Martinez’ Score, erobern sehr zeitgenössische, analoge Geräusche die Tonspur, eben das Pumpen, das hastige Kurbeln, welches eins, zwei, drei Gläser Blut aus dem Körper leitet. 100 Sekunden ziehen vorbei, das Skalpell führt den Kaiserschnitt aus, Hände wühlen im Bauch der Schwangeren, und immer wird gekurbelt, gesaugt, angetrieben, werden Plätze getauscht, vorgegebene Positionen eingenommen, ein durchchoreographierter Heist am Körper, der aller Übung zum Trotz schiefgeht. Zum zwölften Mal.
Der erste Patient in The Knick heißt John W. Thackery. Dem Vernehmen nach wurde er durch William Stewart Halsted inspiriert. Halsted, einer der Gründungsprofessoren des Johns Hopkins Hospitals, wurde durch anästhetische Experimente mit Kokain suchtkrank. In The Knick wird die Trope des “kranken Mediziners” ebenfalls, aber im Detail abweichend, durch die Verheißung neuer Erkenntnisse hergeleitet. Da lockt Mentor J.M. Christiansen seinen Lehrling aus dem seligen Schlaf. Thackery folgt Christiansen und der Ampulle Kokain in die Nacht, verspricht ihm der Zaubertrank doch übermenschliche Kräfte.
Entsprechend kokettiert die erste Szene der Episode mit dem Gegensatz des göttlichen Weißes der Schuhe und des höllischen Rots der Opiumhöhle. “Your god always wins”, schmettert Thackery den Trauernden entgegen, nachdem der zwölfte Eingriff daneben gegangen ist und eine Kugel Christiansen die Lebenslichter ausgehaucht hat. Am liebsten möchte man Camus bemühen, wenn der Arzt zwischen Methode und Wahnsinn als Sysyphos gezeichnet wird, der seine Schlacht im chirurgischen Amphitheater im vollen Bewusstsein der schließlichen Niederlage antritt. “We live in a time of endless possibility”: Auch die Götter in Weiß liegen in The Knick in Ketten, nur lassen die Glieder nach jedem gelungenen Eingriff ein bisschen mehr Spielraum zu.
Abgegriffene Genremotive bilden das Fundament der ersten Episode von The Knick, und vielleicht wäre dieser Pilot in den Händen eines anderen Teams zu Emergency Room: The Early Days geworden (nicht dass dies notwendigerweise etwas Schlechtes wäre). Die Nonne als antagonistische Veteranin des selbstzerstörerischen Einzelgängers im eigenen Krankenbett, der dem Jungspund an seinem ersten Tag herablassend begegnet: Plotelemente, die andere Krankenhausserien zur Genüge abgegrast haben.
Im Prinzip stehen Arzt und Serie mit dem einen von Nadeln zerstochenen Fuß in der alten Welt voller Gaslampen, Pferdewagen und soapiger Figuren-Schablonen; mit dem anderen im Schein elektrischen Lichts, umgeben von Straßenbahnen und geleitet von der dokumentarischen Fixierung auf Abläufe. Seinem Wesen nach ein Medical Drama auf einem Premium-Kabelkanal, hat The Knick in dieser ersten Folge dann doch mehr gemeinsam mit Steven Soderberghs Che-Zweiteiler, The Girlfriend Experience und dem themenverwandten Contagion als mit St. Elsewhere, Chicago Hope und House.
An der Seite von Thackery, dem pragmatischen Revolutionär im New Yorker Knickerbocker Hospital, beobachtet die Kamera in den besten Szenen Puzzleteile, die zu einer Ahnung von der irritierenden Gleichzeitigkeit zweier Epochen verleiten. Handschuhe trugen die Entdecker am OP-Tisch schon vorher, auf den ersten schwarzen Arzt mussten New Yorker Krankenhäuser weitere 20 Jahre warten. Die vier Ziffern zu Beginn von The Knick suggerieren einen stabilen zeitlichen Kontext, der bereits von den ersten Tönen des Scores aufgeweicht wird.
Wiederholt ergeben sich in der Episode Schwellenmomente, in denen ein im Vergehen begriffenes Zeitalter und ein vordrängendes ineinander übergehen, etwa bei den gleichermaßen fortschrittlichen wie altertümlich groben Prozeduren im Operationssaal oder dem kurzen, beiderseitigen Innehalten, als Algernon Edwards im Kohlekeller an einem schwarzen Arbeiter vorbeigeht.
Dass sich The Knick nahtlos ins jüngere Kinowerk des Frührentners fügt, mag auch Cliff Martinez, Howard Cummings (Production Designer), Larry Blake (Sound Editor) und anderen zu verdanken sein, allesamt langjährige Weggefährten des Regisseurs, Kameramanns und Editors Steven Soderbergh. Wie in Contagion wird mit jeder Fokusverschiebung die Haut – schwitzig und rot, faulig und entzündet oder müde und ledern – abgetastet. Weniger pedantisch als in Che, wo jeder Huster und jeder Handschlag das Tagwerk des Guerilleros beschrieb, aber mit dem gleichen Impetus wird der “Zirkus” erkundet.
Oder die Kamera verlässt das Hospital und spürt der Patientenverwertungskette nach: von den ausgebeuteten Einwanderern zum korrupten Gesundheitsinspektor über die Baseball schwingende Ambulanz, runter zum Kohleverkäufer und mit dem Superintendent des Hospitals wieder hinauf zu dessen um Defizite besorgte Gönner. Nicht nur das digitale Brummen lässt The Knick aus der tröstenden Distanz eines Period Pieces herausfallen.