Drei Übergänge in History Is Made at Night von Frank Borzage (USA 1937)

History Is Made At Night
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Das Tor zu den Vereinigten Staaten von Amerika ragt hinter dem  Rumänen Georges in Hold Back the Dawn (1941) auf. Er sucht nach einer willigen Amerikanerin auf trunkenem Feiertagsausflug in Mexiko, um sich in die Staaten einzuheiraten. Im Film des ehemaligen Art Directors von De Mille, Regisseur Mitchell Leisen, hat dieses Tor etwas von der verheißungsvollen Schwelle eines Filmstudios, Warner Bros. in Burbank oder M.G.M. in Culver City. Weiße Lettern auf schwarzem Grund, im Bogen lautet das Versprechen: U-N-I-T-E-D-S-T-A-T-E-S. Die Bühne, um sich selbst neu zu erfinden, oder wenigstens den Pass. In der Rahmenhandlung von Ketti Frings, adaptiert von Billy Wilder und Charles Brackett, schleicht sich Georges tatsächlich in ein Filmstudio, um einem Regisseur (gespielt von Leisen) seine wahre Geschichte zu verhökern, die wir danach in einem langen Flashback sehen werden.
Gesegnet mit einem dieser redundanten Wilder-Off-Kommentare, ohne die viele Filme leben könnten, genießt Hold Back the Dawn den Ruf, der Film zu sein, nachdem Wilder genug hatte, der also, nach dem er entschied, seine Drehbücher selbst zu verfilmen. Weil Leisen sich bei der Diskussion über Sinn und Unsinn einer Szene auf die Seite des Stars Charles Boyer geschlagen hatte (er war #TeamUnsinn). Aus dem deutschen Ex-Boxer Kurt Frings, auf dessen wahrer Geschichte die “wahre Geschichte” basiert, war im Verlauf der Adaption ein rumänischer Gigolo geworden, der mit einem französischen Akzent spricht, ein Hollywood-Migrant. Charles Boyer spielt diesen Rumänen, der in der blutjungen Lehrerin Olivia de Havilland seine Einreisegenehmigung in die U-N-I-T-E-D-S-T-A-T-E-S erkennt und zur Tat schreitet. Eine Rasur, ein sauberer Anzug, der melancholische Hundeblick, eine frühmorgendliche Überrumpelung, in der er ihr erst beim Schlaf zuschaut, um ihr nach Erwachen als romantischer Rattenfänger den Weg zum Standesamt zu säuseln – Georges legt für seine Einreiseerlaubnis seinen besten Charles Boyer auf, wie er in History Is Made at Night, Algiers und Love Affair zum Matinée Idol aufstieg. Bis zur schurkischen Metamorphose dieses Typs des Continental Lovers in Gaslight (1944) sollte es noch dauern.

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Seit seinem Hollywood-Durchbruch per drittem Anlauf im Klinikdrama Private Worlds (1935, eher ein Tätschel Corridor als ein Shock Corridor) war das “continental”, die Fremdheit aus Sicht amerikanischer Zuschauer, Image-prägend für den Franzosen Boyer geworden, allen voran in Verbindung mit “lover”. Von den drei Filmen mit Charles Boyer, die 1937 auf Höhe der Großen Depression in den US-Kinos liefen, kristallisierte einer diesen Continental Lover in dunkel glitzernder Vollendung. Es war nicht Conquest, in dem Boyer als gedrungener Napoléon mit schauspielerischem Restless Leg Syndrome ((Wie Dan Callahan bei Bright Lights schreibt: “Only he could have looked exactly as one pictures the conqueror and still be a highly plausible lover to Garbo”.)) der polnischen Volksliebhaberin Greta Garbo die Unabhängigkeit versprach. Das “continental” prangt vielmehr in History Is Made at Night von Frank Borzage auf Tageszeitungen. “Famous continental headwaiter” steht da auf einem dieser Blätter, die in Frank Borzages Tonfilmen als Zwischentitel eingesetzt werden, was gang und gäbe war, bei Borzage jedoch sich in eine Bildsprache einfügt, welche konsequenter als andere die Aussagekraft stummer Erzählung weiterträgt. Eine ganze Szene in einem Polizeirevier samt Skrupeln vor dem Eintritt, Erklärung des Malheurs und dramatischem Geständnis der eigenen Schuld steckt in diesem Sekunden langen Ausschnitt. An anderer Stelle wird Paul als weltbester Oberkellner bezeichnet und ausgehend davon, wie Kamera und er von Tisch zu Tisch schweben, um Wünsche zu erfüllen und Pelz tragende Bomben zu entschärfen, mag man die offizielle Haltbarkeit dieses Titels kaum anzweifeln.
Zeitungsausschnitt Famous Continental Headwaiter
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1.

Irene (Jean Arthur) lernt Pauls Profession erst nach jener ersten Nacht kennen, in der Liebesgeschichte geschrieben wird. Zunächst ist da das Borzage’sche Paris, das mit einem Alptraum eingeführt wird. Fern des Scheins des Eiffelturms drängt sich ein Chauffeur Irene auf, damit der Ehemann Bruce (Colin Clive), ein reicher Reeder, sie auf vermeintlich frischer Tat ertappen und so an der Scheidung hindern kann (ihre moralisch einwandfreien Beweggründe wären infrage gestellt). Den Ehebruch nämlich muss er konstruieren. Ihr Scheidungswunsch entspringt dem manngemachten, kontrollsüchtigen Unglück. Der Oberkellner, nebenan auch außerhalb der Arbeitszeit seinem Titel gerecht werdend, eilt zu Hilfe, schlägt den Fahrer nieder und gibt sich bei Einschreiten des Ehemanns als Juwelendieb aus, der Irene in die Nacht entführt. Ein Stück im Stück im Film, wird der gespielte Ehebruch durch den gespielten Diebstahl vereitelt.
History Is Made At Night - Paris

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Von nun an füllen Jean Arthur und Charles Boyer, von einigen aussagekräftigen Ausnahmen abgesehen, ihre Einstellungen im Doppel aus. Innerhalb dieser kontinentalen Vorkriegsfilmwelt, in der Oberkellner weltberühmt werden können, eröffnet sich eine kleinere, eine zarte Welt, die diesen Borzage-Film im Innersten zusammenhält. An traumatischen Fliehkräften mangelt es nicht. Was in Borzages 7th Heaven (1927) die Einberufung in den Krieg und in A Farewell to Arms (1932) die Schlachtfelder Norditaliens und der zeitgenössischen Moral sind, äußert sich in History Is Made at Night in der gewaltigen Eifersucht des Ehemanns Bruce, die sich in einem Eisberg auf hoher See Bahn brechen wird; ein malignes Geschwür, das der Zerstörung eines dreischlotigen Stahl-Organismus harrt.
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In Hold Back The Dawn muss Georges einige Wochen nach der Heirat warten, bevor er die Einreiseerlaubnis erhält. In Leo McCareys Love Affair (1939), dem Boyer-Liebesdrama schlechthin, beweist sein kontinentaler Playboy Michel sich sechs Monate in der profanen Arbeitswelt, um der Heiligkeit der rechten Liebe würdig zu werden (selbst das wird nicht genug sein). Ein essenzielles Detail einer Boyer umgebenden Figurenwelt: Wie seine amerikanische Verlobte ihn in Love Affair unbeirrt “Michael” nennt, während Irene Dunne das “Michel” angeboren scheint.

Bei Borzage und seinen vier Drehbuchautoren genügt Boyer und Arthur ein Tanz bis zum Morgengrauen. Violine, Hummer, Salade Chiffonade und eine aufgemalte Handpuppe namens Coco geben die Trauzeugen, der gemeinsame Tango dient als verschmelzender Rite de Passage in den Status überhöhter Borzage-Liebe.

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Borzages Neigung zu klaren visuellen Symbolen zeigt sich in den wie Fesseln abgeworfenen Schuhen Irenes ((“An engraving, an illustration, even a drawing or photograph can replace ten thousand written words”, zitiert Hervé Dumont den Regisseur in “Frank Borzage: The Life and Films of a Hollywood Romantic”.)). Durch das leere Restaurant schreiten sie, während ihre musikalische Begleitung langsam wegnickt. Der Raum und seine spätere Dopplung auf der anderen Seite des Atlantiks stehen in anderen Szenen unter genauster Kontrolle des kontinentalen Oberkellners. In New York wird Paul ein Restaurant übernehmen und es zur Top-Adresse der Stadt polieren, weil, ja weil seine vermisste Herzensdame dann früher oder später durch die Tür treten muss. Als sanfter Drill Sergeant kontrolliert er Frisuren, Fingernägel und Uniformen seiner Mannschaft, bevor sie auf die Gäste losgelassen wird. In dieser Nacht in Paris ergreift Irenes Freiheit auch von ihm Besitz. Es ist nicht der eleganteste Tanz, die Totalen betten ihn schmucklos zwischen zusammengerückten Tischen und Stühlen ein. Die beiden könnten durch eine staubige Lagerhalle schreiten und es hätte denselben Effekt romantischer Intensität. Weil die Zeit Raum erhält. Es braucht keine komplexe Choreografie, um den Bund filmisch zu schmieden, sondern vielmehr das Verweilen im und damit Durchdringen des Moments, bevor die Dialoge ihn manifestieren.

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Bei aller Romantik ist der Untergang – erst der Liebe, dann des Luxusdampfers – in History Is Made at Night nur einen Schnitt entfernt. In die Breen-Office-adäquate Liebesnacht drängt sich zweifach der Ehemann hinein, einmal als er den Chauffeur erschlägt, dann nach vollendeter Tat.


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Der heilige Raum der Liebenden droht aufzureißen, durch die Überblendung, die sie ohne Umschweife mit Täter und Leiche überlagert (Paul wird sich später für den Verantwortlichen halten, schlug er doch den Chauffeur nieder).  Die Bettung der Leiche auf weiß, etwas erhöht im Hintergrund, findet einen sanften Widerschein in der aufgehenden Sonne, die durch das Restaurantfenster sich ankündigt. Die Nacht ist vorbei und die Tat des Ehemanns wirft ihre Strahlen voraus.

2.

Der Continental Lover, der aus der Fremde ins Leben seiner Leading Ladies schreitet, um es über Nacht zu verwandeln, ob per Charade in Hold Back The Dawn oder unterstützt von einem Hurrikan in When Tomorrow Comes (1939), er hat sein Werk getan. In Gaslight wird dieses Element der Hollywood-Filme von Boyer logisch weitergedacht. Da entwickelt es sich zum erdrückenden Transformationsprozess, der mit jedem Sonnenuntergang voller wahnsinniger Energie von Neuem anläuft.

Bei ihrer Rückkehr wird sich auch Jean Arthurs Irene aus History Is Made at Night in einem paranoiden Mosaik wiederfinden, Ehemann und Polizei drängen von allen Seiten auf sie ein. In McCareys Love Affair vernäht das Bild des Liebhaber-Mäzens Boyer und Dunne nur noch enger. Er steht schon im Urstadium der Love Affair ziemlich weit neben, nicht zwischen ihnen – und wird ebenso schnell aus dem Frame getilgt und durch das Empire State Building, den Ort ihres himmlichen Treffens in sechs Monaten, ersetzt. McCarey sucht die Stationen der romantischen Passion in den Liebenden selbst. Nicht der Autounfall verhindert ihre Vereinigung, sondern Stolz und Scham, die es zu überwinden gilt.

History Is Made At Night
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Love Affair
Love Affair

History Is Made at Night führt Missverständnisse und Schuldgefühle ein, die zu keinem Zeitpunkt diesen im Tanz verschmolzenen Organismus zu zersetzen drohen. In dem Borzage-Film zeigt sich der Idealzustand der beiden in der ersten Nacht, alles danach folgt dem naturgegebenen, zwingend logischen Wunsch einer Wiederherstellung des Paradieses. Bis nach Tahiti schweift der Blick aus Furcht vor der Polizei, mehr als ein Schweifen wird es nicht. Die Seligkeit liegt vor den (nackten) Füßen und findet sich selbst auf den Treppen eines sinkenden Dampfers, zu zweit, geeint.

Eine quasi-religiöse Liebeserfahrung anderer Art in einem der Boyer-Filme jener Jahre: John M. Stahls When Tomorrow Comes bietet den vor einem Hurrikan fliehenden Charles Boyer und Irene Dunne in einer umfluteten Kirche Unterschlupf, der die Reinheit ihrer Liebe beglaubigt, bevor sie am Morgen von seiner (umso tragischeren) Ehe erfährt.

When Tomorrow Comes
When Tomorrow Comes

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Begleitet vom besten Koch der Welt (Leo Carillo) unternimmt Paul in History Is Made at Night die erste Überfahrt, um ein Eden in New York City zu gründen. Irene wird natürlich in dem Restaurant auftauchen. Der Impuls dazu geht auf den Ehemann zurück, der die beiden Liebenden effektiver zusammenführt, als diese es selbst vermögen. Unaufhaltsam ist die Liebe in dem Borzage-Film, weil sie durch ihre ärgsten Widerstände wiederholt bestätigt wird. Selbst die sich dem Schicksal augenscheinlich entgegenstellenden Kräfte, der Ehemann und dessen physische Erweiterung, der Eisberg, erweisen sich als Erfüllungsgehilfen.

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Charles Boyers Präsenz in den amerikanischen Filmen jener Jahre muss immer auf eine Weise gerechtfertigt werden, die seinen französischen Produktionen, darunter Fritz Langs Liliom (1934) oder Anatole Litvaks Mayerling (1936), nicht zu eigen ist. Der fremde Akzent will begründet werden. Wie Lady Carmel in Lubitschs Cluny Brown (1946) über Boyers tschechischen Namen messerscharf bemerkt: “So many of these foreigners have foreign names.”

Es sind Filmwelten, in denen Übergänge zwischen sozialen Sphären, Ländern und Kontinenten dazu dienen, um das fremde Star-Element in ihrer Mitte anzuordnen und auszunutzen. Meere liegen zwischen den Paaren in Love Affair und History Is Made at Night. In seiner dritten Arbeit mit Irene Dunne, Together Again (1944), gibt sie die Kleinstadtbürgermeisterin, die den Künstler Boyer im freizügigen New York aufsucht, um die kopflose Statue ihres verstorbenen Ehemanns zu erneuern. Boyer führt sie als erstes in ein Strip-Lokal. In einem Film treffen sich Taxi Driver und die Jebediah Springfield-Folge aus der ersten Simpsons-Staffel.

Die drohende Abreise bei Mitternacht ist wiederkehrendes Plot-Element oder, wie im Falle von Hold Back The Dawn und Algiers (1938), die Unfähigkeit, die Grenze zu überschreiten. In Liliom reist Boyers gewalttätiger Jahrmarktsschreier geradewegs in den Himmel, in den US-Filmen der 30er und 40er muss er bestenfalls mit Kreuzfahrtschiffen Vorlieb nehmen.

Liliom
Liliom

Die mit diesen geografischen und sozialen Grenzen einhergehende drohende Flüchtigkeit der Romanze dient, wie in anderen Genrevertretern auch, als ein unsichtbarer Schurke der Liebesfilme. Boyers Figurentyp ist eine fatalistische Treue zu eigen. Sie zeigt sich in Hollywood weniger radikal als in der österreichisch-ungarischen Romeo-und-Julia-Geschichte von Mayerling, sie wird vielmehr gebändigt, die Möglichkeit der Domestizierung ((In “The Star Machine” beschreibt Jeanine Basinger Charles Boyer, den Franzosen schlechthin in Hollywood-Filmen, als  “exotic French lover Americanized, democratized”.)) in Aussicht gestellt, aber nur selten gezeigt. Häufiger verstecken verheiratete Boyer-Figuren nämlich verrückte oder tote Ehefrauen (All This and Heaven Too, When Tomorrow Comes, A Woman’s Vengeance) und/oder den eigenen Wahnsinn (Gaslight). Man lese es als Warnung vor wahr werdenden Fantasien.

Innerhalb seines schwer definierbaren zeitlichen Rahmens – eine Nacht dauert genauso lange wie Pauls kulinarische Eroberung New Yorks – findet sich in History Is Made at Night eine spielerische Auflösung dieses Spannungsfeldes zwischen der Suggestion des treuen Gentlemans und Zerstörung der exotischen Illusion. Sie fasst in bester Borzage-Manier den Traum von einem Leben in Sekundenbruchteile, namentlich den harmonischen Übergang des romantischem Sturms in die häusliche Eintracht – bzw. vom leidenschaftlichen Kuss direkt an den Herd. Es gibt kein ausdrucksstärkeres Zeichen für die Stärke dieser Liebe, als dass Gourmet Paul so verzückt auf das vermutlich matschig-öde amerikanische Rührei blickt.
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3.

Die Bekanntschaft des weltberühmten (kontinentalen) Konzertpianisten in When Tomorrow Comes mit der Kellnerin, die im Begriff ist, als züchtige Liberté auf die Barrikaden der Gewerkschaften von New York zu steigen, gleicht einem Ballett zögerlicher Annäherung, Verfolgung und Distanz, bevor in der Kirche zusammenfindet, was zusammen gehört, für ein paar nächtliche Stunden. Konfrontiert mit einem Ablaufdatum – in 72 Stunden fährt sein Schiff – schlendern sie durch ihr New York. Sie passieren Gewerkschaftstreffen, Lumpen tragende Kinder mit Seifenkisten. Statt des obligatorischen Blicks vom Dampfer in die Ferne beobachten sie am Pier des East Rivers einen Jungen, der einen Schuh aus dem Wasser angelt (er sucht nach dem anderen). Der selten gesehene Unterbau der Kreuzfahrt, wie sie vor Kriegseintritt filmisch blühte, in der Boyer-Vita, The Lady Eve (1941) und anderen.
Beim zweiten Date segeln sie vor dem aufkommenden Sturm geradewegs in seine Welt, ein Haus in Long Island mit Flügel und Butler. Bei John M. Stahl wird die visuelle Vereinigung im Two-Shot sparsam gesetzt, auseinandergerissen, vom Schlendern, kranken Ehefrauen, Naturkatastrophen. Der Interlude (Titel des Sirk-Remakes von 1957) im Leben von Kellnerin und Pianist, das sind diese raren zweisamen Momente, am Pier, in der Villa, der Kirche, schließlich in einem Restaurant, in dem sie an einem von Kerzen gesäumten Altar sitzen, der Zuschauer als Zeuge im Mittelschiff.

When Tomorrow Comes
When Tomorrow Comes

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Die Reise nach Paris steht in When Tomorrow Comes im Raum, also ihre, als Liebhaberin des unglücklich verheirateten Mannes. Tahiti ist das Äquivalent in History Is Made at Night. Tahiti statt des eifersüchtigen Ehemanns. Tahiti statt des Gerichtsprozesses in Paris. Die “S.S. Alola” nach Tahiti statt der “Princess Irene”, wie der Unglücksdampfer, ein tonnenschwerer Käfig, von dem Reeder Bruce nach seiner Ehefrau getauft wurde. Irene will fliehen in die Südsee, Paul will sich stellen. Wie die beiden auf einen Nenner kommen, ist bei Borzage zweitrangig. Sie tun das Richtige, es ist ihnen seit jener Nacht eingegeben. Verfolgt von einer der Borzage’schen Rückprojektionen, die so offensichtlich Rückprojektionen sind, laufen Paul und Irene durch die Straßen, der Trubel der Stadt scheint sich in ihrer Unentschiedenheit über ihnen zu ergießen. Bei Stahl wird der Moloch New York über seine soziale Zusammensetzung erfahrbar gemacht, über arme Kinder der Depression und rebellische Kellnerinnen. Im Film von Borzage wandelt sich die Stadt vom idyllisch flachen Hintergrund (Central Park) zur Flut dramatischer Streicher und Hupen, die auf das Paar in ihrer Mitte einschlägt. Die Stadt als Resonanzkörper des Innenlebens ihrer Helden. Entweder sie treffen eine Entscheidung oder sie ertrinken, lange bevor sie die Gangway betreten. Bis sie vor einem Schaufenster stehen bleiben. Tahiti!

(Diese 725 Dollar teure Erste Klasse nach Tahiti würde heute 12.687,8 Dollar kosten.) Jedenfalls Tahiti! Und dann eine dieser unscheinbaren Dopplungen, die den Film und Hollywood-Filme jener Jahre, auf einem Mikrolevel beisammen halten ((In der Mordszene greift Schurke Bruce seine Mordwaffe mit dem rechten Arm, die Kamera schwenkt nach links, um seinen Schlag vorwegzunehmen – gleichzeitig eine Überblendung zurück ins Restaurant, mit einer Fahrt an der Band vorbei, von rechts nach links natürlich. Eine fließende Bewegung vom Mord in die höchste Romantik, die Bruce bald zu zerstören suchen wird.)). Von Tahiti streift der Blick in die linke, untere Ecke zum Zeitungsausschnitt über die Princess Irene. Es folgt die Überblendung direkt in die glitzernde See, doch nur für Sekunden. Tahiti bleibt der Traum. Der Übergang führt direkt auf ein Schiff mit Paul und Irene an der Reling. Es ist nicht die Alola, wie uns ein zweiter Blick nach links verdeutlicht. Beharrlich, unheilvoll nähert sich die Kamera einem Schild: S.S. Princess Irene.



History Is Made At NIght

History Is Made at Night

Der Ehemann versucht seine Frau im Verlauf es Films per Namensgebung als Luxusdampfer, dann als prachtvolles Gemälde und schließlich mit Hilfe eines eisigen Grabes zu fassen zu kriegen. Eine Inszenierung wie am Anfang: Das Schiffsunglück nach Vorbild der Titanic soll seine Rache übertünchen. Dabei sollte ihm klar sein, dass Stillstand nicht die Sache der Boyer-Figuren in diesen Jahren ist. Das essenzielle Boyer-Bild auf dem Höhepunkt seiner Popularität in Hollywood ist eines an der Grenze, am Meer, vor Aufbruch oder Weiterreise. Selten allein, meist mit einer Frau, einmal auch mit dem besten Koch der Welt. Ankommen in Hollywood, ohne richtig anzukommen. Weil Ankommen die Illusion nicht ruinieren, das Fremde aber vertraut machen würde. Oder eben ins Wahnsinnige verkehren würde wie in Gaslight. Da wartet er schon auf die ankommende Bergman am Bahnhof. Das kann nicht gut gehen.

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Cluny Brown
Cluny Brown
Algiers
Algiers
Love Affair
Love Affair
Hold Back The Dawn
Hold Back The Dawn

Angekommen ist Charles Boyers Figurentyp in Madame de… (1953) von Max Ophüls in Frankreich, endgültig domestiziert. Da lässt er seine Geliebte im Zug davonziehen, dank der die schicksalsträchtigen Ohrringe wieder zu ihm zurückkehren werden. Den Übergänger spielt diesmal Vittorio De Sica, ein Italiener, der “kontinentale” Ersatz im innereuropäischen Kino, der die schlafwandelnde französische Ehe von Boyer und Danielle Darrieux – ihr Sturm und Drang aus Mayerling lange verflogen – aufwecken wird. Der Film endet im Tod. Und am Altar.


Bildrechte: Kino Lorber, MGM, Universal, Paramount, 20th Century Fox

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