Immer Ärger mit Potter: Fünf Filme im Vergleich

Dank der DVD-Veröffentlichung von “Harry Potter und der Orden des Phönix” und einer erneuten Sichtung des Films, habe ich mich mal zu einem Rating der bisherigen fünf Verfilmungen der Bücher von Joanne K. Rowling aufgerafft.

Das Bewertungskriterium ist hierbei weniger der Grad der wortwörtlichen Wiedergabe des Rowling’schen Werks (sind auch alle Handlungsstränge enthalten?…), sondern die Frage, inwiefern der besagte Film im Rahmen seines Mediums funktioniert (Gibt’s einen ordentlichen Spannungsbogen? Etc.).

Ein Vergleich mit dem jeweiligen Buch ist hier unumgänglich, dieser soll sich jedoch auf die Diskussion vergebener und genutzter Chancen beschränken.

5. Harry Potter and the Goblet of Fire (2005)

Dt. Titel: Harry Potter und der Feuerkelch
Regie: Mike Newell

Vielleicht liegt es daran, dass der Plot einer der besten der Serie ist (Vom Auftritt der Todesser bei der Quidditch-WM bis zum Finale auf dem Friedhof) und die Wendung am Ende nur noch von Teil Sechs übertoffen wird. Vielleicht habe ich auch nur eine unheilbare Allergie gegen Mike Newell-Filme. Oder der Film ist einfach nur schlecht.

Wie dem auch sei, Fakt ist, die Wendung um die wahre Identität des Professor Moody wird ziemlich derb und offensichtlich angedeutet. Sie “züngelt” sich geradezu durch den ganzen Film, der doch für begriffsstutzige Kinder gar nicht geeignet ist.

Bis zur dritten Aufgabe (dem Labyrinth) und dem Auftauchen von Ralph Fiennes alias Lord Voldemort alias Tom Riddle, passiert hinsichtlich der Spannung absolut gar nichts. Einzelne Episoden werden aneinandergekleistert, Charaktere vergessen (Snape? Sirius Black?) oder gar deformiert.

Der schrullig mächtige Dumbledore wird mal eben zum nervösen, alle-Leute-in-seiner-Umgebung-an-den-Schultern-packenden-und-schüttelnden Schreihals.

Abgesehen von einer mit mittelmäßigen C.G.I.-Effekten überladenen Inszenierung bringen die Macher weder Innovation, noch Individualität in die Produktion. Teil Vier ist leider nur ein Rückschritt.

Das Highlight: Prof. Moody (Brandon Gleeson) verwandelt Draco Malfoy als Erziehungsmaßnahme in ein Frettchen.
McGonagall: Professor Moody! Is that a student?
Moody: Technically, it’s a ferret.

4. Harry Potter and the Philosopher’s Stone (2001)

Dt. Titel: Harry Potter und der Stein der Weisen
Regie: Chris Columbus

Chris Columbus-Bashing ist ja in Cineasten- und Potterkennerkreisen sehr beliebt und auch ich fröhne diesem Hobby gern und häufig. Man muss dem Amerikaner aber zu Gute halten, dass die Einführung in Rowlings Welt in Teil Eins letztendlich gelungen ist.

Die Potterserie richtet sich hier noch an Kinder und auf der Ebene eines Kinderfilms bewegt sich auch die konventionelle Inszenierung.

Die vielen Totalen überfordern Daniel Radcliffes Gestik und mehr als geweitete Augen bekommen wir von seiner Mimik nicht zu sehen. Dafür glänzt Emma Watson als Hermine noch mit charmant streberischer Natürlichkeit.

Der Climax kommt und geht ohne viel Trara, dafür setzt das fantasievolle Set-Design mit all seinen Details, die britische Darstellerriege und der Score von John Williams (besonders das Hedwig’s Theme) für alle kommenden Fantasymärchen Maßstäbe.

Der Stein der Weisen ist kein Kinderfilmklassiker in der Liga der Unendlichen Geschichte. Er ist nicht einmal besonders sehenswert, dank des Fehlens jeder persönlichen Note von Seiten der Regie oder Kamera. Zuviel muss erklärt werden, um eine ergreifende Geschichte zu präsentieren. Die belustigend altmodischen (d.h. an Romane des 19. Jahrhunderts erinnernden) Nebencharaktere und die Fantasie im Detail machen ihn noch immer ansehbar.

Das Highlight: Potions, potions, potions…
Professor Snape: Mister Potter. Our new… celebrity.

3. Harry Potter and the Chamber of Secrets (2002)

Dt. Titel: Harry Potter und die Kammer des Schreckens
Regie: Chris Columbus
“Wow, der Farbfilter wird entdeckt! Ein Basilisk wird mitleidlos gekillt und alle schreien: Mein Gott, die Reihe wird immer düsterer. Bald sehen wir gar nichts mehr!”

Diese minimal zugespitzen Sätze geben in etwa die zeitgenössische Reaktion auf “Harry Potter und die Kammer des Schreckens” wieder. In Deutschland kam der Film sogar nur geschnitten in die Kinos, um ihn noch ab sechs laufen zu lassen.

Bis zum vor sich hin plätscherndem Finale, dessen Schnitt und visueller Gestaltung man wenigstens anmerkt, dass Columbus versucht hat, den Ton der Vorlage zu treffen, fallen eher thematische als inszenatorische Unterschiede zu Teil Eins auf.

Die “Schlammblut”-Thematik wird eingeführt, Kinder werden in erschrecknden Posen versteinert und mit der Einführung von Lucius Malfoy (Jason Isaacs) gibt es erstmals deutlichere Hinweise auf lebende und damit bedrohliche Voldemort-Anhänger. Alles in allem erscheint die Zaubererwelt nicht mehr ganz so wunderbar rosa.

Columbus handhabt die Action-gesättigten und schauspielerisch anspruchsvollen Sequenzen schwerfällig. Die animierten Quidditchspieler schauen immer noch nach mit Pudding gefüllten Gummipuppen aus.

Die jugendlichen Darsteller übertreiben entweder maßlos (Rupert Grint) oder tun gar nichts (Daniel Radcliffe). Einzig Tom Felton als Draco Malfoy bleibt, wie in allen Filmen der Reihe, auch in diesem ein konstant akzeptabler, fieser Feigling.

Großes Kino ist die Kammer des Schreckens auch nicht. Wer sich die Filme wegen den über zwöljährigen Schauspielern anschaut, wird hier enttäuscht werden. Nur Jason Isaacs und Kenneth Branagh (Gilderoy Lockhart) haben Zeit und Raum ihre unterhaltsam übertriebenen Charaktere vor unserer Nase auszubreiten.

Das Highlight: So ziemlich jede Szene mit Gilderoy Lockhart, besonders der Duellierclub und das “Heilen” der Quidditch-Verletzung Harrys:
Gilderoy Lockhart: As you can see the bone is no longer broken.
Hagrid: Broken? There’s no bones left!

2. Harry Potter and the Order of the Phoenix (2007)

Dt. Titel: Harry Potter und der Orden des Phönix
Regie: David Yates

Eine Eins hätte auch vor dem Filmtitel stehen können, doch was nützt ein Rating, wenn man unfähig ist, eine Entscheidung zu treffen.

Nach dem enttäuschenden vierten Teil war die Nachricht, ein TV-Regisseur werde den nächsten Potter drehen, durchaus Besorgnis erregend. The Girl in the Café war ein guter kleiner Film gewesen, aber ein Potterspektakel in den Händen dieses Mannes? Auch noch das längste und langweilligste Buch galt es zu verfilmen…

Die Schwächen des Buches musste Yates (und der Drehbuchautor Michael Goldenberg) erkannt haben, schließlich zieht er das Tempo an, verzichtet auf unnötige Subplots und filtert die zentralen Themen heraus.

Die Pubertät ist in keinem anderen Film dermaßen Hauptdarsteller, wie hier. Sie zieht sich durch Harrys Kampf mit sich selbst und seiner wahren Natur und gleißt schmerzhaft im unfreiwilligen Flashback des Severus Snape (Alan Rickman) wieder auf.

Mit Dolores Umbridge (gespielt von Imelda Staunton) wird einer der stärksten, weil überdrehtesten, Charaktere der Serie eingeführt. Jede Szene, jeder Ton Stauntons ist eine Wonne. Alle anderen Nebenfiguren erhalten entweder längere Szenen – Sirius Black (Gary Oldman) wird zur Vaterfigur – oder aussagekräftigere (McGonagall, Snape).

Plötzlich ist nicht nur comic relief das Ziel, wie noch im Feuerkelch. Charakerisierung wird groß geschrieben. Eine Aufgabe, die auch Cuarón nicht besser lösen konnte.

Yates nimmt einige Bilder und Symbole (z.B. die Fenster) seines mexikanischen Vorgängers subtil wieder auf und zeigt deutlich in welcher filmischen Kontinuität er sich bewegt. Die Dialoge drehen einem hin und wieder den Magen um (He’s really out there isn’t he?), doch aus den Büchern kann man keine Wunder zaubern.

Den Kampf zwischen Gut und Böse, der am offensichtlichsten im Duell des Ordens mit den Todessern ausgefochten wird (schwarz gegen weiß, Feuer gegen Wasser), unterlegt Yates mit einer metaphorischen Ebene, er trägt sich in den “Visionen” Harrys aus. Das und der fließende Übergang zwischen Zeitungsartikeln und Wirklichkeit, der die Erzählung bereichert und beschleunigt, sind die auffälligsten kreativen Geschenke, die der Orden des Phönix an die Serie macht.

Trotz aller Effekte und der leider nur an einen MacGuffin erinnernden Prophezeiung, welche die Handlung antreibt, führt Yates die Charaktere und den Plot schon in die Richtung des nächsten Teils.

Das Highlight: Der finale Kampf zwischen dem Orden des Phönix und Voldemorts Todessern. Erstmals ordnen sich alle filmischen Komponenten der dynamischen Action unter. So muss Magie aussehen!

Cornelius Fudge: He’s back!

1. Harry Potter and the Prisoner of Azkaban (2004)

Dt. Titel: Harry Potter und der Gefangene von Azkaban
Regie: Alfonso Cuarón

Harry Potter und der Gefangene von Azkaban ist ein Quantensprung im Potterverse. Ein eigener Stil war Chris Columbus’ Sache nie, doch was Cuarón an Ideenreichtum und Willen zur Symbolik (in einem Jugendfilm!) in die Reihe brachte, hat wohl nicht nur mir die Freude an den Verfilmungen wieder nah gebracht.

Das wohl beste Buch der Serie gipfelt in einem verschleppten Climax, der in keinem anderen Teil so zu finden ist. Das retardierende Element des die-Zeit-zurück-drehens macht auch den Film nicht spannender und hier und da wäre etwas mehr Backstory zum Verständnis hilfreicher gewesen (der ganze Marauders-Subplot wird bis auf ihre Karte ignoriert).

All das gilt es zu akzeptieren, doch Cuarón weiß, wie man intelligent unterhält. Und er weiß, wie man Schauspieler vorteilhalft in Szene setzt. Das betrifft natürlich die Judendriege. Radcliffe wird wohl nie ein Großer werden, doch im Gefangenen von Azkaban stimmt einfach alles: Sein Look, die Chemie mit seinen Co-Stars, seine Co-Stars selbst.

Während Columbus’ Filme selten über eine episodische Darstellung des Schuljahres hinaus kamen, nutzt Cuarón seine auffällige Fenster- und Zeitsymbolik zur Gestaltung fließender Übergänge.

Allein die im ganzen Film zu findenden Kamerafahrten durch diverse Fenster – oft aus der Sicht Harrys oder die Außenwelt mit Harry verbindend – bieten gleichzeitig eine Rahmung und ein Hilfsmittel für die nahtlose Narration.

Die Kameraführung des Michael Seresin ist betont realistisch, eine Sequenz im Leaky Cauldron deutet schon Cuaróns Hang zu Tracking Shots an. Trotz ihrer Verspieltheit zielt die Inszenierung primär darauf ab, den Kontrast zwischen dem rauen Leben Harrys bei den Dursleys und der in all ihren kleinen Details spannenden Zaubererwelt herauszuarbeiten. Letztere wird schließlich gerade in diesem Teil Harrys wahres Zuhause.

Die Düsternis des Films – der im Titel angedeutete Gefangene ist aus Azkaban ausgebrochen und will anscheinend Harry töten – wird nicht auf einen Farbfilter reduziert. Die Gegenwart der alle Freude aus ihren Opfern saugenden Dementoren färbt auf das Leben in Hogwarts ab. Das obligatorische Quidditchspiel findet nicht zuletzt deswegen erstmals im Regen statt.

Die Naturaufnahmen sind romantisch, versetzt mit einer Prise Melancholie. Harrys Positionierung im Bild erinnert oftmals an die Werke Caspar David Friedrichs. Die Welt ist erwachsener geworden, so ergeht es auch ihrem Held, der sich in Folge dessen mit dem Tod seiner Eltern auseinander setzen muss.

Das dritte Buch ist gleichzeitig ein Höhepunkt (als letztes “Kinderbuch” der Serie) und ein Übergang (die Ansätze zur Rückkehr Voldemorts im vierten Teil werden hier gelegt) zu ernsteren Gefilden. Die Verfilmung von Alfonso Cuarón wird diesen Aufgaben gerecht. Das Märchen ist noch immer sichtbar, während der Fokus Schritt für Schritt auf die Coming-of-Age- und heilgeschichtlichen Aspekte der Story verlegt wird.

Das Highlight: Das Finale in der Shrieking Shack. Ein Zusammentreffen der Generationen (Harry, Ron, Hermine vs. Black, Lupin, Pettigrew, Snape), in dem die Rollen nur scheinbar klar verteilt sind.
Hermione: If you’re going to kill Harry, you’ll have to kill us, too.
Sirius Black: No, only one will die tonight.


Die Serie deutet einen qualitativen Aufwärtstrend an. Für den sechsten Teil, Harry Potter and the Half-Blood Prince (Harry Potter und der Halbblutprinz) wurde wieder David Yates engagiert.

Der Neuzugang Bruno Delbonnel (Kameramann bei Die Fabelhafte Welt der Amelie und Across the Universe) verspricht neue Akzente in der visuellen Gestaltung und bestätigt die Erfahrung, dass das erwachsene Personal immer ein Grund ist, sich diese Jugenfilme anzuschauen.

Ob einer der Filme jemals seiner Qualität wegen in die Filmgeschichte eingehen wird, ist noch abzuwarten.

Gefühl und Verstand: Ang Lee

Meinen gestrigen Besuch einer Vorstellung von “Se, jie” (Gefahr und Begierde) im örtlichen Lichtspielhaus habe ich mal zum Anlass genommen, das filmische Werk meines Lieblingstaiwanesen unter die Lupe zu nehmen.

Da ich die ersten drei Filme von Ang Lee noch nicht gesehen habe, beschränkt sich der Streifzug durch seine Filmografie auf die Spielfilme, die er nach Eat Drink Man Woman gedreht hat. Das ganze Rating ist natürlich höchst subjektiv.


7. Ride with the Devil (1999)

Der einzige Film, mit dem ich überhaupt nichts anfangen kann. Die Besetzung ist im Vergleich zu denen seiner anderen Filme in den Hauptrollen nur mittelmäßig (Skeet Ulrich? Jewel?).

Der Bürgerkriegswestern ist sicher immer noch besser als die meisten anderen Versuche in diesem Subgenre in den letzten Jahren – z.B. dem Minghella-Tiefpunkt Cold Mountain – doch dafür glänzt Ride with the Devil mit eklatanten Längen und zumindest in der deutschen Version einer schrecklich weinerlich-quietschenden Synchro von Toby Maguire, der man nur schwer zuhören kann.

6. Hulk (2003)

Von allen Comicverfilmungen der letzten Jahre (also seit Blade) gefällt mir diese neben Sin City noch am besten. Von Kritikern und Fans wird der Film noch immer gedisst (was für ein tolles Denglish!) und im nachhinein bleibt die Wahl des Regisseurs verwunderlich.

Das Ende ist unspektakulär vermurkst, Nick Nolte ist kein erinnerungswürdiger Bösewicht und ein Höhepunkt der CGI-Kunst ist der Hulk auch nicht. Dafür bleibt Ang Lees Konzept das radikalste aller Big-Budget-Blockbuster-Comic-Adaptionen. Mithilfe von Splitscreens, Freeze-Frames und dem ideal besetzten Eric Bana greift Hulk Lees Lieblingsthemen im Comicstil auf: unterdrückte Gefühle, garniert mit Generationskonflikten.

5. Wo hu cang long [Tiger and Dragon] (2000)

Allein mein – nach drei Jahren Studium überraschenderweise noch immer vorhandener – gesunder Menschenverstand hält mich davon ab, diesen Film auf Platz sechs hinter Hulk zu schieben. Tiger and Dragon hat poetisch choreografierte Kampfszenen, beeindruckende Spezialeffekte, eine twistreiche Story und die Schaupielergarde Chinas auf der Pro-Seite. Wo bleibt das Contra?

Unbestreitbar ein Höhepunkt im wuxia-Genre ist Tiger and Dragon, dennoch werde ich den Film auf ewig mit Zhang Yimou’s Hero vergleichen. Dabei zieht Ang Lees Film den kürzeren.

4. Se, jie [Gefahr und Begierde] (2007)

Ganz frisch ist noch das Kinoerlebnis und die Einordnung fällt schwer. Wieder haben wir Lees Lieblingsthemen, diesmal personifiziert durch die Beziehung der Spionin-im-Widerstand-gegen-die-japanischen-Besatzer (Tang Wei) mit dem Kollaborateur und Geheimdienstler (Tony Leung). Diesmal verhindern die politischen Umstände eine Flucht aus den angestammten Rollen. Sie prägen den Umgang der beiden “Feinde”.

Am stärksten ist Gefahr und Begierde, wenn die Blicke mehr sagen, als die Dialoge. Tang Wei ist eine Entdeckung, Tony Leung zeigt mit seinem fliegenden Wechsel zwischen Charme, brutaler Eiseskälte und Melancholie die beste Leistung seiner Karriere. Das fatale Spiel der beiden Hauptfiguren, das eher einer Tortur gleicht, lässt den Zuschauer gegen Ende wirklich gespannt auf der Kante des Kinosessels verharren.

3. Brokeback Mountain (2005)

Dass dieser Film bei den Oscars gegen Crash verloren hat, wird für immer ein Schandfleck auf der reichlich verdreckten Weste der Academy bleiben. Zum wiederholten Male beweist Ang Lee sein Können in der Darstellung der Natur als Gefühlslandschaft.

Das besondere ist nicht, dass Lee eine Geschichte von schwulen Cowboys erzählt. Er behandelt sie wie jede andere Liebesgeschichte, in der Charaktere gegen eine repressive Gesellschaft ankämpfen. Darin liegt eine Stärke des Films, der vom Gegensatz zwischen dem wortkargen Ennis (Heath Ledger) und dem sensiblen Jack (Jake Gyllenhaal) lebt. Episches Kino, das seine Figuren nicht vergisst.

2. Sense and Sensibility [Sinn und Sinnlichkeit] (1995)

Ang Lees erster westlicher Film wird gleich zur besten Jane Austen-Adaption fürs Kino (oder kann jemand das Gegenteil beweisen?). Das Drehbuch von Emma Thompson bewahrt den humorigen und den gesellschaftskritischen Geist der Vorlage, während Lees Bildsprache auch nach der x-ten Sichtung noch beeindruckt.

Sense and Sensibility ist bis in die Nebenrollen treffend besetzt, neben Thompson, Winslet und Rickman glänzen besonders die Palmers (Hugh Laurie und Imelda Staunton). Selbst Hugh Grant passt irgendwie in das Ensemble, ohne den Film in eine RomCom zu verwandeln.

Dazu gibt’s einen der besten Soundtracks von Patrick Doyle (Henry V) und die Regie Lees, die, anstatt sich in romantischen Naturaufnahmen zu verlieren, die gesellschaftlichen Konventionen des frühen 19. Jahrhunderts und deren Auswirkungen visualisiert, fast schon anfassbar macht.

1. The Ice Storm [Der Eissturm] (1997)

Die Wahl von The Ice Storm zur Nummer eins mag den ein oder anderen verwundern, haben doch Filme, wie Tiger and Dragon oder Brokeback Mountain auffälligere Merkmale, die für diese Position sprechen. Tja, Pech gehabt!

So einfach geht’s natürlich nicht.

The Ice Storm funktioniert auf allen Ebenen. Ob als kritischer Blick auf das Amerika der 70er Jahre oder als tragisches Familiendrama. Das komplizierte Beziehungsgeflecht wird von Lee erbarmungslos, wie eine blutige Wunde, offen gelegt. Das ist hart mit anzusehen. Wenn schließlich der Abspann läuft, spürt man diesen nagenden Phantomschmerz, als gehöre man selbst zu den Familien Carver oder Hood.

Peter Sellers [1960-1963]

Nach Teil eins gibt’s nun die Fortsetzung meiner Einführung in das filmische Werk des vielleicht größten – und besten – Filmkomikers seit Charlie Chaplin:

In Folge des Gewinns des British Acadamy Awards für I’m All Right Jack und des internationalen Durchbruchs mit The Mouse that Roared beginnt die erfolgreichste Phase in der Karriere des Peter Sellers. Die Goon Show wird 1960 nach neun Jahren wöchentlicher Verrücktheiten eingestellt. Ein Abstecher auf die Theaterbühne in George Tabori’s Brouhaha bleibt eine Ausnahme. Mit dem steigenden internationalen Erfolg begrenzt sich sein Wirken auf die Kinoleinwand.
In nur vier Jahren wird er seine berühmtesten Rollen spielen, um wenig später (selbstverschuldet) in eine fast zehnjährige Phase von Flops hinein zu schlittern.

Die Zeit zwischen 1960 und 1963 ist die Übergangszeit vom beliebten Filmkomiker und Charakterdarsteller zum weltweiten Superstar. In diesen Jahren dreht er zwei seiner berühmtesten Filme: Stanley Kubrick’s Lolita und Blake Edwards’ The Pink Panther.

Seiner Herkunft und seinen Ambitionen bleibt er dabei noch treu. So kennzeichnet diese Phase ein Ausflug in ernstere Rollen (mit unterschiedlichem Erfolg), sowie eine Reihe von Gaunerkomödien und Satiren, wie sie auch in den 50ern hätten entstehen können.

Noch hat die counter culture nicht auf die Leinwand abgefärbt und die 11 (!) Kinofilme, die er in dieser Zeit dreht, haben kaum etwas revolutionäres oder hippes in Machart und Thema an sich. Wäre da nicht eine gewisse Literaturverfilmung…


Eine Auswahl…

1. Never Let Go (1960) Regie: John Guillermin

Das Jahrzehnt beginnt mit einem Paukenschlag – oder einem Desaster, je nachdem, wen man fragt. Unter der Regie von Guillermin spielt Sellers zum ersten und letzten Mal in seiner Karriere (die immerhin mehr als 60 Filme umfasst) einen reinen, fiesen, unsympathischen, unkomischen, verrückten Bösewicht, wenn nicht gar Bastard, schließlich zertritt er in einer Szene die geliebten Schildkröten eines harmlosen alten Mannes.

Als Lionel Meadows fletscht Sellers 90 Minuten psychopathisch seine Zähne. Er ist kein stilsicherer Pate, sondern ein Ganove, der gern einer sein würde. Seine manische, unkontrollierbare Energie durchbricht bald seine legale Fassade und führt ihn zwangsläufig in den Untergang.

Die unscheinbare Story um einen Vertreter (Richard Todd), der sein gestohlenes Auto wieder haben will, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen, war ein Flop und erhielt sogar ein X-Rating in Großbritannien. Die Zurückweisung von Publikum und Kritikern veranlasste Sellers dazu, nie wieder ein solches Risiko einzugehen.

Für mich bleibt Lionel Meadows eine seiner besten Rollen, auch wenn er sie leicht übertrieben hat. Jedweder Sellers-typischer Manierismus verschwindet hier, kein lustiger Akzent verwässert das monsterhafte Wesen, auch spielt er seinen Bösewicht nicht (wie etwa Basil Rathbone) elegant, trotz der angenommen Intelligenz.

Meadows ist kein Hannibal Lecter, auch kein Hans Gruber. Nein, er ist einfach nur ein abstoßendes Scheusal.

2. Only Two Can Play (1962) Regie: Sidney Gilliat

Kontrastprogramm! Wieder eine sehr gute britische Rolle für Sellers, doch der Unterschied zu Never Let Go könnte kaum größer sein. Inspiriert von den Innovationen der British New Wave erzählt Only Two Can Play die Geschichte des walisischen Bibliothekars John Lewis (Sellers), der durch die glamouröse Liz zum Ehebruch verleitet wird.

Die Story an sich gibt nicht viel her, dafür glänzt der Film mit einer beeindruckend subtilen Leistung von Sellers und einigen kautzigen Provinzlern (u.a. Richard Attenborough und Kenneth Griffith). Dazu gibt’s dieses undefinierbare wohlige Gefühl, das einem nur britische Filmkomödien verschaffen.

3. Lolita (1962) Regie: Stanley Kubrick

Ein Standout wäre dieser Film in jeder Schauspielerkarriere, doch Sellers’ Clare Quilty brennt sich ins Zelluloid der Filmgeschichte auf ewig ein. Muss ich noch anmerken, das ich diesen Film toll finde? Trotz seiner Überlänge. Trotz des abrupten, unbefriedigenden Endes. Kubrick lieferte eine geniale, skandalträchtige Literaturverfilmung mit satirischen Untertönen ab. Das war nach Spartacus ein Befreiungsschlag erster Güte (Nimm das, Kirk Douglas!).

James Mason und Shelley Winters (keine spielt hysterische Frauen, wie sie!) präsentieren sich auf dem Höhepunkt ihres Könnens und was tut Sellers? Kubrick, der Egomane, der Kontrollfreak, der Take-after-Take-Foltermeister, er lässt Sellers tun, was er will.

Die Freiheit, mit der er improvisiert, sagt mehr über das Können Kubricks als Filmemacher aus, als irgendein fliegender Knochen. Er wusste, wann er Gold in den Händen hielt und wie es zu nutzen war. Kaum ein Regisseur hat Sellers in solche Höhen navigiert.

4. The Pink Panther (1963) Regie: Blake Edwards

Zwei Wochen vor Drehbeginn hatte Peter Ustinov keine Lust mehr, also nahm man einen anderen Briten. Der Rest ist Filmgeschichte. Sellers stiehlt den Film, er ist die einzige, beeindruckende Auffälligkeit abgesehen von Henry Mancini’s Musik. Warum liste ich den Film überhaupt auf?
Ganz einfach weil die ersten beiden Teile der Franchise sich durch die Zurückhaltung im Spiel des Hauptdarstellers auszeichnen. Ein überdrehter Sellers ist durchaus witzig, aber ein subtiler – mit anderen Worten “normaler” – Sellers macht mehr Spaß. Bevor die Pink Panther-Filme zu comicartigen Slapstickkomödien wurden, hatten sie Stil.

Der melancholische Kleinbürger Clouseau aus Teil eins und zwei wird nur noch durch Chance the Gardener und Hrundi V. Bakshi übertroffen. Sellers ist hier mehr Schauspieler als Komödiant. Vergleiche mit Stan Laurel sind angemessen.


Teil drei wird sich um die Jahre 1964-1966 drehen. Vom Höhepunkt Dr. Strangelove bis zum Flop Caccia alla volpe.


Peter Sellers [1955-1959]

Denkt man an Peter Sellers so werden die Swinging Sixties immer das Jahrzehnt sein, welches zuerst in den Assoziationen auftaucht. Mit Filmen, wie Dr. Strangelove (1964), Lolita (1962) oder The Pink Panther (1963) wurde er nicht nur zum erfolgreichsten Komiker dieser Jahre neben Jerry Lewis.

Er schuf auch die Figuren, die noch heute seine Unsterblichkeit zementieren: Den unfähigen Inpektor Clouseau, den verdorbenen Clare Quilty und natürlich den manischen Dr. Strangelove himself. Betrachtet man den Verlauf seiner Karriere von der anonymen Radiostimme zum Superstar dutzender Kinofilme, so liegen alle entscheidenden Ereignisse, die ihn vom Erfolg in einem Medium zum Erfolg im nächsten führten, in den langweiligen, prüden, die Welt mit identischen Vororten verseuchenden Fünfziger Jahren.

Zwischen 1951 und 1960 revolutionierte er zusammen mit Spike Milligan und Harry Secombe die britische (Radio-)Comedyszene mit der ebenso verrückten, wie satirischen Welt der Goon Show.
Zur gleichen Zeit entwickelte er sich vom klassischen britischen Charakterdarsteller, der dem “Hintergrund” eines Filmes Farbe verleiht, zum Star internationaler Produktionen.


5 Filme, die diese Phase seiner Karriere definieren:

1. The Ladykillers (1955) Regie: Alexander Mackendrick

Die letzte große Komödie, die den Zusatz “Ealing-” verdient. Fünf Gangster ziehen bei einer alten Dame ein, um einen Überfall zu planen. Alles scheint glatt zu gehen, doch Mrs. Wilberforce hat da noch ein Wörtchen mitzureden…
Angeführt vom genialen Alec Guinness, glänzt Sellers in seiner ersten größeren Nebenrolle als Teddyboy Harry in diesem Klassiker der schwarzen Komödien.

2. The Smallest Show on Earth (1957) Regie: Basil Dearden

Ein, im besten Sinne des Wortes, “sentimentaler” Film, in dem ein Ehepaar ein altes Kino – inkl. der drei Angestellten – erbt und es wieder auf Vordermann bringt. Die drei mürrischen älteren Herrschaften werden gespielt von Sellers, Bernard Miles und Margaret Rutherford. Eine Ensemblekomödie ohne Stars, im Geiste der Ealingfilme. Kein Klassiker, aber eine der erinnerungswürdigeren Komödien dieser Zeit.

3. The Naked Truth (1957) Regie: Mario Zampi

Entertainer Wee Sonny MacGregor (Sellers) wird vom Herausgeber eines Skandalmagazins erpresst. Zusammen mit anderen “Opfern” versucht er sich des Erpressers (Dennis Price) zu entledigen. Der Erfolg ist nicht gerade vorprogrammiert.
Sellers übernimmt in dieser Krimikomödie erstmals den Part des Protagonisten und spielt sogleich (und nicht zum letzten Mal) seinen Filmpartner Terry-Thomas an die Wand.

Eine weitere Neuheit: Sein Charakter schlüpft von Mordversuch zu Mordversuch in immer neue Rollen, um seinen Gegner zu überlisten. Sellers legt hier die – noch nicht gänzlich erfolgreiche – Grundlage für sein späteres Markenzeichen: Mehrere Charaktere in einem Film zu spielen.

4. I’m All Right Jack (1959) Regie: John Boulting

Der erste wirkliche Höhepunkt in der Filmkarriere des Peter Sellers. Einen BAFTA-Award gabs für die Rolle des inkompetenten sozialistischen Gewerkschaftlers Fred Kite in dieser Satire der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen der Fünfziger. Kite wird mit einem etwas zu fleißigen, weil naiven Arbeiter (Ian Carmichael) aus der Oberschicht konfrontiert, dessen Arbeitsmoral die Fabrik in den Streik stürzt. Der korrupten Geschäftleitung kommt dieser nicht ungelegen.

Der überragende Sellers wird mit der nuancierten Darstellung des Fred Kite in die erste Liga der britischen Schauspieler katapultiert. Anstatt den Gewerkschafter zum karikaturartigen Hassobjekt verkommen zu lassen, spielt Sellers ihn sympathisch menschlich.
Mit von der Partie sind Dennis Price, Richard Attenborough, Margaret Rutherford und Terry-Thomas.

5. The Mouse that Roared (1959) Regie: Jack Arnold

Sellers’ internationaler Durchbruch ist diese Satire auf den Kalten Krieg. Ein Zwergstaat erklärt den USA den Krieg, um an finanzielle Hilfe zu gelangen (beim Marshall-Plan hat’s doch auch funktioniert!) und … gewinnt.
Sellers mimt erstmals drei vollkommen verschiedene Charaktere in einem Film: Großherzogin Gloriana, Premier Mountjoy und Tully Bascombe, den eigentlichen Protagonisten. Erstere ist allerdings der heimliche Star des Films. Natürlich fehlt diesem Film der Biss und (noch) die schauspielerische Perfektion eines Dr. Strangelove, unterhaltsam ist er jedoch allemal.


Teil Zwei [1960-1963]