Exground Shorts (4)

Das 22. Exground Filmfest ist vorbei, die Sieger stehen fest, doch bevor hier der abschließende Festivalbericht gepostet wird, geht es noch einmal kurz zu. Gestern nachmittag fand zum Abschluss des Festivals in Wiesbaden der Deutsche Kurzfilm-Wettbewerb statt, dessen Gewinner die Zuschauer jeweils an zwei Tagen (Dienstag und Sonntag) wählen konnten. Aus einer vielfältigen Auswahl mit einigen Hochs und Tiefs entschieden sich die Besucher durchweg für die lustigsten, aber nicht unbedingt tiefsinnigsten Filme, was schon viel über die Qualität der Konkurrenz aussagt. Auf Platz zwei und drei landeten die beiden Animationsfilme “Bob” und “Judas und Jesus”. Die Auszeichnung für den besten deutschen Kurzfilm ging an Il Giardino von Michael Ester, der übrigens auch meine Stimme bekommen hat und deshalb zur Feier des Tages an dieser Stelle präsentiert wird. Zartbesaiteten Menschen mit einer Abneigung gegen Gewalt-Blut-Tod-Kabumm sei vom Genuss des Films abgeraten.

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Exground Shorts (3)

Als Vorfilm der Doku “Not Quite Hollywood: The Wild Untold Story of Ozploitation”, die australische Expolitationfilme beleuchtete – oder sagen wir besser: ohne jeden Sinn für Geduld deren Geschichte durchblätterte – lief am Dienstag ein deutscher Animationsfilm mit dem knuffigen Titel Der Conny ihr Pony. Was Connies Pony und ein Linienbus in Schaffhausen mit dem Untergang der Schweiz zu tun haben, erzählt Robert Pohle in seinem fünfminütigen Kurzfilm.

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Humpday (USA 2009)

Judd Apatow-Filme sind mir ein Graus, das sei hier warnend erwähnt. Nicht dass Humpday von Lynn Shelton zu dieser gehypten Spezies der Buddy/Teenie/Twen-Komödie gehört, aber meine Abneigung gegen die Apatow-Crew, deren Filme und ihre Hauptdarsteller, mag vielleicht erklären, warum mir „Humpday“ so zusagt. Dabei hätte die Grundidee des Films problemlos auch für einen weiteren Eintrag in der Filmografie eines Seth Rogen oder Jonah Hill herhalten können. Nach Jahren besucht der Freigeist Andrew (Joshua Leonard) eines Nachts seinen Kumpel Ben (Mark Duplass) aus heiterem Himmel. Ben ist verheiratet, lebt in einem Einfamilienhaus und plant bereits seine Vaterschaft, während Andrew noch immer ohne Abschluss durch die Welt reist und tut, was er gerade will. Ben ist der Domestizierung, des Albtraums jeder Buddy-Komödie, anheim gefallen und Andrew erfreut sich weiterhin seiner Freiheit.

„Humpday“ wäre nicht der erste Film, welcher aus diesen Zutaten ein paar Lacher und eine oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Erwachsenwerden mixt. Vor nicht allzu langer Zeit hat Todd Phillips’ The Hangover genau dieses Schema recht vieldeutig, aber immer noch in Gestalt einer Klamotte, umgesetzt. Ähnlich wie auch „The Hangover“ hat „Humpday“ einen High Concept-Einschlag, der allein dem Film schon den ein oder anderen Besucher bescheren wird. Auf einer Künstlerparty fordern die beiden nun betrunkenen und bekifften Freunde nämlich einander heraus: Ein Kunstporno-Filmfestival steht an und sie werden ein ganz besonderes Projekt an den Start bringen. Ben und Andrew, zwei heterosexuelle Buddies, werden miteinander Sex haben und es filmen. Eine revolutionäre Idee in ihren alkoholisierten Augen und die Möglichkeit, einander die eigene Freiheit und Selbstständigkeit zu beweisen. Mit anderen Worten: Nur weil man verheiratet ist, heißt das nicht, dass man kein Porno mit seinem Kumpel drehen kann. Am nächsten Morgen heißt es Aufwachen, sich übergeben, den Kater überstehen und entscheiden, was aus dem Plan werden soll. Auch bei klarem Verstand will keiner nachgeben, stehen hier doch zwei Lebensentwürfe auf dem Prüfstand und so schaukeln sich die beiden hoch mit Sticheleien bis sie sich gemeinsam mit einer Kamera in einem Hotelzimmer wiederfinden.

Bei einem Judd Apatow neigen die Figuren dazu, sich hinter dick jokes und popkulturellen Vulgarismen zu verstecken, was nicht nur auf Dauer nervt, sondern in Erinnerung ruft, wie viel mehr einer wie John Hughes mit seinen augenscheinlich simplen Klischees anstellen konnte, ohne die Tatsache überzustrapazieren, dass er gerade eine clevere Komödie präsentiert. Lynn Shelton lässt uns die Klischees allenfalls in der Synopsis erahnen und ist deshalb nicht genötigt, sie wegzuwischen. Das Eheleben Bens wird schon in den ersten Minuten nicht als Vorstadt-Gefängnis gezeichnet. Hingegen betont Shelton die angenehmen Seiten des gewohnheitsmäßigen Beisammenseins, eben desjenigen Alltags, der noch nicht dem Trott der Langeweile erlegen ist. Dagegen erscheint Andrew als heimatloser Vagabund, dessen Lebensstil man vielleicht bewundert, aber nicht am eigenen Leib kennen lernen will; ein entfernter, intelligenterer Seelenverwandter von Zack Galifianakis’ Alan in „The Hangover“.

„Humpday“ hebt sich jedoch nicht nur dank realistischer Charakterisierungen von anderen Filmen des Genres ab, sondern durch die nicht aufgesetzt, sondern natürlich wirkende Situationskomik. Aus sich selbst heraus generieren die Dialoge ihre Pointen, Spitzen und abseitigen Höhepunkte, beherbergen im selben Moment die Abgründe und die Absurditäten des alltäglichen Lebens, wirken echt, realistisch, lebensnah. Zu keiner Zeit mutieren Andrew und Ben zum Alter Ego eines verkappten Comedians, der lustig sein will. Nicht zufällig spielt sich ein großer Teil des Films in der Küche und im Bett ab, was „Humpday“ zu so etwas wie einer amerikanischen kitchen sink comedy macht, in welcher der filmische Realismus nicht Stil, nicht Imitation, stattdessen selbstverständlicher Lebensraum ist. In diesem entfaltet sich Sheltons Annäherung an die komplexe Männerfreundschaft, die irgendwo zwischen Konkurrenz, Neid und (platonischer?) Liebe zu situieren ist. Ben und Andrew stellen diese und ihre Vorstellung von sich selbst auf die Probe. Es ist eine Prüfung. Ganz besonders für Ben, der womöglich bald die mit der Vaterrolle einhergehende Verantwortung übernehmen muss, es ist ein rite de passage, ein selbstgeschaffener Übergangsritus mit zwei verschiedenen Abläufen, jeweils verkörpert durch ein „Ja“ und ein „Nein“ und einem ungewissen Ausgang. In „Humpday“ stehen im übertragenen Sinne zwei Leben auf dem Spiel und wie in einem Duell auch, kann nur einer als Sieger vom Platz gehen.

Exground Shorts (2)

Weiter geht es mit einem Kurzfilm, der beim Exground Filmfest 2009 in Wiesbaden lief und zwar im Rahmen des Intervideo-Nachwuchspreises. In den Bereichen Dokumentarstil, Freie Arbeiten und Fiction wurden am Sonntag die Auszeichnungen verliehen. Erstere ging an die urkomische Mockumentary Nicht nur der Himmel ist blau, die unten zu sehen ist. In den anderen beiden Feldern wurden die ersten Preise jeweils “Imaginary Solutions” und “Sight” verliehen.

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Kontrapunkt: Exground Filmfest 2009

Ich habe dieses Jahr the gaffer zumindest an den ersten beiden Tagen auf dem 22. Exground Filmfest in Wiesbaden Gesellschaft geleistet – hier der Beweis. Und da ja immer Filmbesprechungen und das (Independentfilm-)Festival selbst in einem Festivalbericht die größte Rolle spielen sollten, will ich meiner Leserschaft Anmerkungen zur Hin- und Rückfahrt (danke dir noch mal, Christoph! Hat je nur 3,5 Stunden auf der Autobahn gedauert), den kulinarischen Genüssen (Schümli-Kaffee rockt und Brunchen am Sonntag im Café Klatsch ist echt sehr studentisch-keimig-geil-üppig!) weitestgehend ersparen. Nun also zu den Geschehnissen am 13. und 14. November dieses Jahres, die mit dem Exground zu tun haben in chronologischer Abfolge.

Um 21 Uhr ging es erst einmal mit den mobilen Kurzfilmfestival „A Wall Is a Screen“ aus Hamburg auf Tour quer durch Wiesbaden und seine Häuserwände. Das Thema der Filme dieses Jahr orientierte sich am Datum des 13. Novembers: Freitag, dem 13., um genauer zu sein. Besonders im Gedächtnis haften geblieben ist dabei ein australischer Kurzfilm namens „Spider“. Ich möchte nicht zuviel verraten, aber: Unverhofft kommt oft, soviel ist mal sicher! Seht selbst:

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Leider kollidierte diese Veranstaltung mit dem Programm in der Caligari Filmbühne (dem schönsten Kino wo gibt), weswegen wir nur wenige Kurzfilme sehen konnten und dann auch schon wieder kehrt machen mussten. So begann schon um 22.15 nach dem Vorfilm “Spider“ (den ich so innerhalb von anderthalb Stunden zweimal sah) zum Abschluss des Abends jener Film, auf den ich schon sehr gespannt war:

I Sell the Dead (USA 2008)

Man nehme eine Idee aus einem eigenen Kurzfilm und blase sie zu einer streckenweise langatmigen, hin und wieder ermüdenden, phasenweise ironischen und immer atmosphärisch dichten Referenz an die Hammer-Filme der 60er Jahre auf. So lässt sich diese Horrorkomödie um einen Grabräuber (Dominic Monaghan – Merry der Hobbit aus „Der Herr der Ringe“), der im 19. Jahrhundert kurz vor seiner Hinrichtung allerlei Anekdoten vom Friedhof um Untote und Leichen zu erzählen hat, wohl am besten zusammen fassen. Neben der überraschenden Schlusspointe und Larry Fessendens Ähnlichkeit mit Jack Nicholson bleibt insbesondere Ron „Hellboy“ Perlmans Auftritt als Priester in bleibender Erinnerung – auch wenn er darin nicht viel zu spielen hat. Eine etwas detailiertere Einschätzung des Films gibt es hier von mir.

Tag 2: Um 17.30 Uhr liefen im sog. 3-er Programm drei deutsche Kurzfilme, welche alle Migration zum Inhalt hatten. Jenny hat alle Einschätzungen (die ich auch teile) schon in ihrem ersten Festivalbericht angemerkt. 20 Uhr folgte dann ein weiteres, wenn nicht eines der Highlights schlechthin:

Humpday (USA 2009)

Zwei heterosexuelle Kumpels aus Jugendzeiten beschließen, an einem Amateurpornofestival teilzunehmen und miteinander Sex vor der Kamera zu haben. Was wie die Synopsis von der 10. Fortsetzung von „American Pie“ klingt, entpuppt sich als originelle Ausgangsidee für eine Komödie, die neben Situationskomik und witzigen Dialogen auch ernstere Untertöne um unerfüllte Wünsche und individuelle Freiheit im Leben bereithält. Dabei ist es vor allem dem Drehbuch von Regisseurin Lynn Shelton sowie der intensiven Inszenierung (mit vielen Großaufnahmen und dem Verzicht auf Filmmusik) zu verdanken, dass die Ereignisse wie aus dem Leben gegriffen wirken. Ein enorm witziger Indie-Film, der auch zum Nachdenken anregt.

Danach sollte eigentlich die Sichtung von Captain Berlin vs. Hitler erfolgen. Doch die unglückliche zeitliche und logistische Abstimmung bescherte Jenny die letzte Karte im dann ausverkauften Kulturpalast (mit geringem Platzkontingent), während Christoph und ich leer ausgingen und zurückhetzten ins nicht einmal halb gefüllte Caligari, wo 22.15 Uhr unsere letzte Vorstellung für den Abend laufen sollte:

The Good American (D 2009)

Jochen Hick, der Dokumentarfilmer in der Schwulenszene, porträtiert mit Tom Weise den HIV-positiven Mitbegründer des größten schwulen Online-Escortservices rentboy.com. Weises bewegtes Leben um HIV, Hepatitis C und als illegaler Einwanderer in den USA, seine anstehende Rückkehr nach Deutschland und der Verstoß durch seine Eltern hätten genügend Stoff hergegeben für eine kritische Reflexion dieses ambivalenten Charakters. Doch Weise wirkt durch seine professionelle, selbstdarstellerische Fassade, die auch Hick trotz aller Behutsamkeit in über einem Jahr Drehzeit nicht durchbrechen konnte, als Person stets wenig greifbar. So verwundert es nicht, dass der Film aufgrund dieser Umstände oberflächlich wirkt und sich auch mit der Escort-Szene in den USA oder den Hustlaball-Sexparties – als dessen Mitbegründer Weise auch gilt – beschäftigt. Insbesondere gegen Ende verliert Hick dabei seine Hauptfigur bei der expliziten Dokumentation eines Porno-Drehs oder Bühnenshows ein ums andere Mal aus den Augen. Ein interessanter Einblick in die Szene der schwulen Escort-Szene, aber leider kein intimes Porträt.

Thats all – nächstes Jahr wieder! Das Exground Filmfest findet noch bis 22. November statt und ist in jedem Fall einen Besuch wert. Warum? Hier noch einmal knapp zusammengefasst die Pros und Contras nach 2 Tagen Festival:

+ große Vielfalt in der Filmauswahl: Dokumentationen, Spielfilme, Kurzfilme – für jeden Geschmack etwas dabei

+ Kurzfilme als Vorfilme vor jedem Spielfilm

+ tolles Kino: die Caligari Filmbühne allein ist schon sehenswert

+ gute Moderatoren/Filmankündiger/Interviewer der Filmemacher

+ zahlreiche Filmemacher anwesend und auskunftsbereit

+ zahlreiche Verlosungen und hübsche Merchandise-Artikel

– zahlreiche Verlosungen und deshalb oftmals verspäteter Filmstart

– ausbaufähige zeitliche und organisatorische Abstimmung zwischen den Veranstaltungen und Veranstaltungsorten