Bologna '09: Tag 1

Flight (USA 1929)

Was tun, wenn man zum Witz der Nation geworden ist? Natürlich, man meldet sich beim Marine Corps, wird Pilot und stellt während der Invasion zentralamerikanischer Länder seine Männlichkeit wieder her. Jener Logik folgt Ex-Footballer ‘Lefty’ Phelps (Ralph Graves), nachdem er bei einem Spiel einen Touchdown errungen hat – nur leider für die gegnerische Mannschaft. Mit dem Ausbilder ‘Panama’ Williams (Jack Holt) verbindet ihn bald eine enge Freundschaft, doch spätestens in Nicaragua kommt es zu Komplikationen, als beide des Faktes gewahr werden, dass sie in die selbe Dame verliebt sind. Frank Capras “Flight” ist nicht gerade eine Ausgeburt liberaler Außenpolitik. Der Film, der als recht amüsante Komödie losgeht und sich dann gen Actiondrama wendet, kann aber durchaus die ein oder anderen Pluspunkte für sich verbuchen. Zum einen sind das – bedenkt man das Entstehungsjahr – ziemlich beeindruckende Doppeldeckerflüge, welche entsprechend dynamisch und schwindelerregend als Ton- wie Bildattraktion eingefangen werden. Einzig die Landungen kommen nicht ohne unfreiwillig komische Modell-Action aus. Zum anderen beweist sich Capra schon hier als Regisseur mit einem feinfühligen Auge für die unterdrückten und doch ausgedrückten Emotionen seiner Figuren. Der misslungene Heiratsantrag Jack Holts allein lohnt schon, die 110 Minuten für den Film aufzuwenden.

Track of the Cat – Spur in den Bergen (USA 1954)

Ödipale Komplexe, eine Variation des Western-Genres, eine auffällige Farbgestaltung und zu allem Überfluss noch Robert Mitchum: William A. Wellmans “Track of the Cat” bietet alles, was das (Kritiker-)Herz begehrt. Nicht zuletzt deswegen wird der Film hier noch näher besprochen werden, daher soviel erstmal vorab: Kammerspiel und Frontierdrama samt unerbittlicher Natur kombiniert der Regisseur zu einer aufreibenden Studie einer Familie, die noch immer unter dem Schatten ihrer Schuld, verkörpert durch einen Panther in den Wäldern, lebt. Die innerfamiliäre Dynamik, geprägt von der dominanten Mutter und einem tyrannischen Sohn (Mitchum) kontrastiert Wellman mit den drohenden Bergen vor der Haustür, die eigentlich nur eines sagen: Ihr gehört hier nicht her. Die Abrechnung mit dem Gründungsmythos der USA ist nur ein weiterer Beleg für die künstlerische Größe des unterschätzten Wellman (“The Public Enemy”).

Rain or Shine (USA 1930)

Ein zerhäckseltes Vergnügen ist “Rain or Shine”, der zweite frühe Capra des Tages. Die Tonfilmfassung wurde überstürzt aus dem ursprünglich als Stummfilm gedachten Film und wahllos aneinandergereihten Dialogeinlagen zusammengeschnitten. So endet der Film unvermittelt, ohne – wie es sich für das klassische Hollywoodkino eben gehört – auch nur einen Konflikt aufgelöst zu haben. Dabei besitzt “Rain or Shine” durchaus das Potential, als eine akzeptable, wenn auch flache, Zirkuskomödie mit melancholischen Untertönen abzuschneiden. Kern und eigentlicher Hauptdarsteller des Films ist der Broadway-Star Joe Cook, ein fulminanter Alleinunterhalter allererster Güte. Nicht nur die gewagtesten Drahtseilakte und andere akrobatische Leistungen meistert der Alleskönner, sondern ein Händchen für flinke Dialoge und das wichtigste von allem – die Schauspielerei – hat er auch noch. Einen traurigen Clown spielt der Mime, der es im Kino seltsamerweise nie zum Star gebracht hat, nämlich, einer der die ewig scherzende Fassade fast zwanghaft nicht ablegen kann, selbst wenn er seine insgeheim Angebetete damit abstößt.

The Night of Counting the Years – Al-mummia (ET 1969)

An Avantgarde im weitesten Sinne erinnert der vom Ägypter Shadi Abdel Salam gedrehte “Al-mummia”, welcher in seinem Stil an europäische “Kunst”filme der 60er Jahre erinnert. Antonioni hätte seine Freude an den langen Einstellungen und den vielen beobachtenden, nicht erzählenden “Zeitbildern” gehabt. Den Zuschauer entfremdet und fasziniert der Niedergang eines Wüstenclans, welcher von dem Verkauf alter Pharaonenschätze lebt, zugleich. Basierend auf einer wahren Geschichte meditiert der Film über das Aufkommen der Moderne und die damit einhergehenden Generationskonflikte, die eskalieren, als der junge Hauptdarsteller nicht länger am exploitierenden Lebensunterhalt seiner Ahnen teilhaben will. Selbst wenn der Film (besonders für europäische Zuschauer) nicht bis ins letzte zu entschlüsseln ist, deswegen als anstrengend in Erinnerung bleibt, fällt es schwer die Augen wegzureißen von der flimmernden, archaischen Wüstenlandschaft, die selbst wie eines der vielen Gräber wirkt, welche sie beherbergt.

Kritische Jahre – Anni difficili (I 1948)

Es muss nicht einfach gewesen sein, diesen Film im Nachkriegs-Italien zu drehen. Noch schwieriger aber war es wohl für die Italiener damals, den symbolischen Zeigefinger von Luigi Zampa zu ertragen, ohne zusammen zu zucken. “Kritische Jahre” ist eine Anklage von Opportunimus und Nichtstun, gegen die Mitläufer und Wendehälse des Mussolini-Regimes. Aus der Sicht einer sizilianischen Familie erzählt die Satire über den Vater, der in die Partei eintritt, um seine Rente zu sichern und in Lächerliche gezogene faschistische Rituale mitmachen muss; die Stupidität der Masse, immer der aus den Lautsprechern schallenden Stimme des Duce lauschend (im ganzen Film gibt es nur eine Großaufnahme des Diktators); den Hinterzimmer-Kommunisten, denen andauernde Diskussionen alles sind, Zivilcourage aber zu aufwendig scheint. Ihr alle tragt die Schuld – das ist die Lehre des Films; und dass keiner gedenkt, die Rechnung zu zahlen. Zunächst eine reine Satire, kann sich “Kritische Jahre” nach Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht mehr der Tragik der unweigerlich zu verkraftenden Opfer verschließen. Die Familie Piscitello muss den Preis des Faschismus bezahlen, während ihre Umgebung in die kollektive Ignoranz verfällt. Was Zampas Regie auszeichnet, ist seine Vermeidung der ausdrücklichen Verachtung für seine Figuren. Letztere schließt so ein filmischer Vorwurf nicht gerade von vornherein aus. Einen liebevollen Blick wirft er stattdessen auf ihre kauzigen Eigenheiten und das macht alles noch viel schlimmer.

Vergessen, wiedergefunden, restauriert: Il Cinema Ritrovato 2009

Die Nebenwirkungen des Kinos sind unerträgliche Kopfschmerzen, permanente Schweißausbrüche, marternder Muskelkater, ermattende Müdigkeit, stets schwankende Stimmungen und in die Höhe schießende Cholesterinwerte. Zumindest wenn man ein Filmfestival in Italien besucht. Von einer Bahn zur nächsten geht es da, dann ab ins Flugzeug, wieder der Bus und als Abrundung nochmal die Bahn. All das nicht etwa um die äußerst schöne, mit Arkadengängen und einem zuverlässigen Sommerwetter gesegnete Stadt zu erkunden, sondern den ganzen Tag in dunklen Höhlen eine Wand anzustarren. Filmfestivals können offensichtlich zur grausamen Tortur ausarten, für deren Besuch man eigentlich bezahlt werden müsste.

Ein klitzekleines bisschen dramatisiert mag das erscheinen, doch nach zwölf bis dreizehn Stunden Anreise, die nachts um drei ihren Anfang nahm, kann eigentlich nur eine Ansammlung von Ausrufezeichen das Gefühl der Ankunft am Ziel adäquat beschreiben. Das seltsame an der Sache ist nur, dass es sich nach all dem wieder einmal gelohnt hat.

Wie auch seine 22 Vorgänger hat sich diese Ausgabe von “Il Cinema Ritrovato” in Bologna der Bewahrung des internationalen Filmerbes verschrieben. Vor allem das Fachpublikum (Filmwissenschaftler, Restauratoren, Archivare) hat sich vom 27. Juni bis zum 4. Juli in der italienischen Stadt eingefunden, um frisch restaurierte Kopien von Klassikern ebenso wie vergessenen Werken zu betrachten und jeden Abend auf der Piazza Maggiore mit den Bewohnern der Stadt Meisterwerke zu genießen. In drei Kinos (zwei Sälen der Cineteca und dem Cinema Arlecchino) wurden tagsüber Filme aus den verschiedensten Reihen gezeigt.

Letztes Jahr war es Josef von Sternberg, dieses Jahr Frank Capra, der zum Director in Focus erkoren wurde. Mr. Capra Goes to Town hieß die Reihe und bot die seltene Möglichkeit, die frühen Stumm- und Tonfilme des Meisters zu sehen, darunter seine Arbeiten mit Barbara Stanwyck. Gerade diese war eine außergewöhnliche Entdeckung, rettete sie mit ihrer bloßen Präsenz doch so manch unglaubwürdiges Happy End über die Spielzeit. Capras bekannteste Filme aus dieser Zeit – “The Bitter Tea of General Yen” und “Platinum Blonde” – wurden ihrem Ruf gerecht, doch überstrahlt wurden beide von “Forbidden”, welcher die für den Regisseur typische unterschwellige Melancholie und seine melodramatischen Elemente nahezu perfekt mit dem üblichen Capra-Witz verbindet. Alles in allem reichte die Qualität der Filme zwar nicht an die der Sternberg-Reihe heran, schließlich wurden die Amerika-Trilogie (über Mr. Smith, Mr. Deeds und John Doe) und andere übliche Verdächtige aus gutem Grund ausgespart. Die Sternberg-Reihe hatte sich jedoch letztendlich als qualitativ konsistenter erwiesen, denn dessen Stummfilme konnten Seite an Seite mit den berühmten Dietrich-Filmen brillieren.

Im Rahmen der jährlichen Reihe Ritrovati & Restaurati sowie der Präsentationen der von Martin Scorsese gegründeten World Cinema Foundation fanden sich dagegen unzählige Highlights wie z.B. eine neue, vollständige Fassung von Die Ferien des Monsieur Hulot, die großartige Tragiksatire Kritische Jahre über den italienischen Faschismus, der vierstündige Cut von Edward Yangs “A Brighter Summer Day” mit dem jungen Chang Chen in der Hauptrolle und “Al-mummia”, der einzige Film des Ägypters Shadi Abdel Salam.

Am leichtesten lassen sich die Ergebnisse der Restauration für Laien wohl an der Farbe erkennen. Dementsprechend erscheint es nur logisch, dass In Search of the Color of Film sich allein diesem Thema widmete. Als Lieferant für allerhand Festival-Höhepunkte erwies sich diese Reihe, schließlich wurde im dafür ausgewählten Cinemascope-Kino Arlecchino nicht nur Godards “Pierrot le Fou” gezeigt. Gerade die weniger bekannten Werke stellten sich als wahre Perlen des Festivals heraus. Zu den besten Filmen zählten William Wellmans Frontier-Drama Track of the Cat mit Robert Mitchum, John Fords erster Farbfilm Drums along the Mohawk, in dem sich Henry Fonda und Claudette Colbert gegen Indianer und John Carradine erwehren müssen und Albert Lewins Pandora & the Flying Dutchman, der Ava Gardner und James Mason als mythisches Liebespaar vor einem surrealistischen Hintergrund vereint.

Gekrönt wurden die Kinotage von den täglich ab 22 Uhr beginnenden Vorstellungen auf der Piazza Maggiore. So zeigte King Vidor am Dienstag die urbane Massengesellschaft der 20er Jahre in “The Crowd”, am Donnerstag war an Hand von drei Kurzfilmen ein unmittelbarer Vergleich zwischen Charlie Chaplin und Buster Keaton möglich (Keaton hat gewonnen) und am Freitag konnte man Alida Vallis und Farley Grangers Hassliebe in “Senso” bewundern.

Mit Hilfe von Unmengen an Espressos, Cola-Dosen und italienischen Spezialitäten galt es tagtäglich den Energiehaushalt aufzufrischen. Neun Uhr morgens standen nämlich die ersten Vorstellungen an und zumeist endete der Tag auch erst Mitternacht, anschließendes Beisammensein samt Bierchen nicht mit eingerechnet. Filmfestivals sind eben kein Pappenstiel und vor allem nichts für Langschläfer, besonders wenn einem die Anreise noch drei Tage später in den Knochen steckt. Soviel zur um Mitleid heischenden Dramatisierung der Reise. Schlussendlich verliert das alles aber an Bedeutung, wenn man die seltene Möglichkeit geboten bekommt, vier bis fünf Filme am Tag zu sehen, von denen 60-70% bisher nicht einmal eine DVD-Auswertung erhalten haben und ein nicht geringer Teil diese wohl gar nicht erhalten wird. Bologna ist nicht zuletzt deswegen eine äußerst empfehlenswerte Destination für Cineasten und Cinephile, die verloren geglaubtes Kino wiederfinden wollen und das in einem einzigartigem intimen Kinoambiente abseits der kommerziellen Erwägungen von Filmmärkten und Gala-Premieren.

Alle beim Festival in Bologna gesehenen Filme werden, wie schon vor einem Jahr, demnächst an dieser Stelle mehr oder weniger ausführlich besprochen werden. Beiträge zur letzten Ausgabe findet man nach etwas Gescrolle hier.

Wichtige Informationen zu später Stunde

Da ich mich in wenigen Stunden auf die beschwerliche, von diversen Zugfahrten und Flughäfen gesäumte Reise nach Bologna begebe, sei hier nur kurz erwähnt, dass es diese Woche bei the gaffer etwa ruhiger wird. Das heißt, dass Lutz mit seinem neuen Kontrapunkt wohl einsam die Stellung halten muss. Stammleser werden vielleicht merken, dass genau vor einem Jahr eine ähnliche Meldung hier gepostet wurde. In der überaus hübschen italienischen Stadt findet dieses Jahr nämlich wieder das Festival Il Cinema Ritrovato statt und eben jenes werde ich im Rahmen eines Exkursionsseminars erneut besuchen. Diesmal werden u.a. Filme von Frank Capra, King Vidor, Jean-Luc Godard, Luchino Visconti (“Senso” – Open Air!), John Ford und Jacques Tati (“Die Ferien des Monsieur Hulot”- ebenfalls Open Air!) zu sehen sein.

Wenn innerhalb der nächsten Woche also der ein oder andere Kommentar nicht freigeschaltet wird, liegt es daran. Wer mehr über das Festival erfahren möchte, kann sich den Bericht vom letzten Jahr durchlesen. Mir bleibt ansonsten nur noch, allen Lesern eine schöne, möglichst sonnige Woche zu wünschen! Arrivederci!

Trailer Update: Cannes

Seit gestern ist es offiziell eröffnet, das wichtigste Filmfestival im Universum, wenn man dem Tenor der Berichterstattung  glauben darf. Vor einiger Zeit habe ich ja die Filme, die sich dieses Jahr in Cannes im Wettbewerb die Ehre geben, gepostet und bei Ansicht der großen Namen quasi virtuell den Beitrag vollgesabbert.

Nun müssen sich die Kinogötter jeden Tag der Kritikerwelt stellen. Bei wem es wohl Standing Ovations gibt? Rennen bei Ansicht des neuen Films von Gaspar Noé wieder alle Zuschauer aus dem Saal? Wer wird als erstes ausgebuht? Diese und andere Fragen stellt sich der Festivalinteressierte im Vorfeld.

Informationen zum Verlauf gibt es jeden Abend auf meinem Lieblingssender arte, denn arte Kultur sendet täglich 20 Uhr live von der Croisette. Auf deren Homepage ist daher ein Special zu finden und hat man mal eine Folge verpasst, kann man sie online nachholen. Kulturzeit auf 3Sat wird zwar auch darüber berichten, aber denen fehlt sowohl der Esprit als auch der Humor der französisch-deutschen Nachbarn.

Dutzende Filmkritiker werden mit Hilfe von Blogs usw. ihren Senf zum Festival abgeben, so z.B. die Variety, der A.V. Club, der Guardian, Twitch hoffentlich auch, artechock und die Auteurs.

Als Einstimmung auf das Festival gibt’s hier ein paar Trailer für die Highlights der Meisterregisseure. Einfach auf die Filmtitel klicken und angucken:

Lars von Triers Antichrist mit Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg. [Wettbewerb]

Park Chan-Wooks Vampirfilm Thirst, der derzeit in Südkorea die Kinokassen klingeln lässt. [Wettbewerb]

Mother, der neue Film von Bong Joon-Ho (“The Host”) wird ebenfalls gezeigt werden. [Un Certain Regard]

The Map of the Sounds of Tokyo von Isabel Coixet, in dem u.a. Rinko Kikuchi (a.k.a. das beste an “Babel”) auftritt. [Wettbewerb]

Pedro Almodóvar hat auch nix anderes zu tun und Penélope Cruz ist da nicht weit: Broken Embraces. [Wettbewerb]

Quentin Tarantino lässt Brad Pitt und Eli Roth in Inglourious Basterds Nazis verkloppen, was grundsätzlich ja schon mal zu loben ist. [Wettbewerb]

Ang Lee beschäftigt sich in Taking Woodstock mit Blumenkindern. [Wettbewerb]

Drag Me To Hell von Sam Raimi ist auch am Start. [Midnight Screenings]

Und Johnnie To lässt mit Vengeance mein Fangirl-Herz höher schlagen. [Wettbewerb]

Kontrapunkt: Cellu l'art X – Das 10. Jenaer Kurzfilmfestival

Dieses Mal werde ich meine Leser nicht mit der elendig langen Beschreibung meiner Hin- und Rückfahrt nerven, schließlich kann man während einer 10-minütigen Straßenbahnfahrt nur wenige Dinge erleben, die nicht komplett langweilig sind.

Aber zum Thema: Von 22. bis 26. April fand in Jena zum nunmehr zehnten Male das Kurzfilmfestival „Cellu l’art” statt. Bereits ab 20. bis 22. April gab es ein Black Box-Kino im Einkaufszentrum Goethe Galerie zu bestaunen, bevor am 22. April die Jubiläums-Eröffnungs-Gute-Laune-Party, die zwar von reichlich Lokal-Prominenz, jedoch nicht von mir besucht wurde, angesagt war. Dafür war ich dann aber beim Open Air in der Goethe Galerie dabei, wo mit kurzen, meist skurrilen Filmen auf einer Leinwand ab 21 Uhr schon einmal auf das Festival eingestimmt wurde.

Abgesehen davon, dass „Open Airs” normalerweise draußen und nicht in einem Gebäude stattfinden, gab es vor allem bei der Akustik etwas zu meckern. Während man die Dialoge etc. der Kurzfilme immerhin noch mit sehr viel Mühe verstehen konnte, nervten die basslastigen Schallüberlagerungen beim Auftritt der Band „Indicat” vor 21 Uhr und während der Pausen dann endgültig, so dass man selbst 10 Meter von ihnen entfernt nicht ausmachen konnte, was und vor allem: in welcher Sprache da gesungen wurde. Doch die Stimmung war gut, die kostenlose Veranstaltung rege besucht und schon ein kleiner Erfolg.

Am Freitag, den 24. April stand dann ab 17.30 Uhr der Erste Wettbewerbsblock an. Den Auftakt bildete mit Der Untermieter eine skurrile Komödie um einen ziemlich rasch neu einziehenden Mieter, der ein Pärchen durch seine Privatsphären nicht respektierende Lebensweise in den Wahnsinn treibt. In diesem insgesamt neun Kurzfilme umfassenden Wettbewerbsblock folgten u. a. noch der spätere Publikumspreisgewinner Hundesöhne, der reich an Klischees Armut, Vernachlässigung und häusliche Gewalt in Ostdeutschland thematisiert, wie man hier nachlesen kann, sowie der köstliche Moving Camera, in welchem ein exzentrischer Filmemacher per Audiokommentar sein dümmliches Erstlingswerk um einen Besoffenen, der im Wald herumirrt, analysiert.

Zwischen den einzelnen Wettbewerbsblöcken wurden – so auch hier – jeweils sechs Kurzfilme des Länderschwerpunkts gezeigt. Im diesjährigen Fokus stand dabei mit Spanien ein Produktionsland, welches schon in den vergangenen Jahren mit starken Filmen wie dem tragischen Episodenfilm Diente por ojo, der sehr menschlich-sympathischen Dokumentation El hombre Feliz oder dem abstrakt-romantischen Animationsfilm Broken Wire beim „Cellu l’art” vertreten war und nun längst überfällig auserkoren wurde. Dabei soll der Länderschwerpunkt Polen im Jahre 2008 jedoch keineswegs mies gemacht werden: Filme wie das das intensive Adoleszenzdrama Männersache oder die assoziative Kurz-Doku um die Frage(n) des Lebens Talking Heads von Krzysztof Kieslowski hinterließen durch ihren moralischen Realismus einen nachhaltigen Eindruck.

Es schloss sich der Zweite Wettbewerbsblock, welcher von 22 bis 0 Uhr dauern sollte, an. In ihm waren dieses Mal nur noch acht Filme zu sehen; darunter:
Freies Land: Gut gespieltes Drama um einen Pfarrer in der DDR der 80er Jahre, welcher – trotz der Möglichkeit auszureisen – im Arbeiter- und Bauernstaat für seine Überzeugungen kämpfen will. Die Konstellation seiner zwiegespaltenen Familie und eines IM-Stasi-Freundes fängt dabei seine hin- und hergerissene Gefühlslage zwischen Heimatverbundenheit und potenzieller Benachteiligung seiner Kinder im Bildungsweg glaubhaft ein. Gelegentlich anstrengend, aber der 3. Platz im Wettbewerb geht in Ordnung.

Made in Germany: Ein assoziativer Dokumentarfilm, der die Parallelen im Bewegungsablauf von Mensch und Maschine sowie den Hightech-Produktionsprozess in Großunternehmen darstellt. Dabei kann er sich in Sachen formaler Geschlossenheit mangels Stringenz nicht mit dem in dieser Hinsicht mustergültigen Film „Koyaanisqatsi” messen, dem es mit Philip Glass’ minimalistischer Musik gelang, die Botschaft pervertierter Lebensumstände zu manifestieren. Eine Botschaft mag diese anstrengende Collage aus Sprachfetzen und Maschinen-Rhythmik schon haben, allerdings fiel es mir gegen 23.30 Uhr eher schwer, darüber nachzudenken.

Am Samstag, den 25. April fand ab 15 bis 17 Uhr eine Fragestunde mit Kult-Kurzfilmregisseur Felix Stienz (Nenn mich einfach Tobi B., Antje und wir) statt, deren Ende ich noch mitbekommen konnte. Anscheinend auf das Schweigen seitens des Publikums reagierend, sparte er einige zynische Kommentare nicht aus, was einen extrem unsympathischen Eindruck von ihm bei mir hinterließ. Es schloss sich wiederum ab 17.30 Uhr der dritte Wettbewerbsblock an, bei dem folgende der neun Filme am meisten Eindruck hinterließen:
Schäfchen zählen: Frank Plötzer ist Schäfer und erzählt mit einigem Augenzwinkern aus 30 Jahren Berufserfahrung allerlei Anekdoten um Tier-Exkremente, seine Herde und seinen Beruf. Eine sehr kurzweilige Kurzdokumentation, der man gerne noch länger als 15 Minuten Laufzeit gegeben hätte, um Herrn Plötzer zu lauschen.
Das grüne Schaf: Eine Schafsdame aus der „Textilbranche” berichtet davon, wie sie einen gedrungenen Froschherren mit tollem Akzent („Quak-e”) kennengelernt hat und wie aus dieser Verbindung ihr Sohn entstand, der es im bisherigen Leben nicht leicht hatte: ein grünes Schaf. Also: Kauft mehr grüne Wolle, damit auch Tier-Mischlingskinder in die Textilbranche einsteigen können! Köstlich.
Neben Jade, den ich ja schon von der Berlinale kannte und aufgrund seiner Intensität immer wieder schauen könnte, lief auch noch Porque hay cosas que nunca se olividan um zwei Kinder, die im Italien der 1950er Jahre durch ihr Fußballspiel den Unmut einer alten Dame auf sich ziehen und sich an ihr rächen. Der italienische Nationalspieler Fabio Cannavaro gab sich in diesem originell erzählten und sehr humoristischen Kurzfilm sogar die Ehre und Regisseur Lucas M. Figueroa war gar mit Boletos por favor um einen Schwarzfahrer, der im Zug einem sinistren alten Mann mit Pistole begegnet, im Länderschwerpunkt mit einem weiteren Film vertreten.

Aus dem vierten Wettbewerbsblock, welcher am Samstagabend von 22 bis 0.00 Uhr gezeigt wurde, blieb vor allem die Animation Our Wonderful Nature um das Paarungsverhalten von Wasserspitzmäusen, die Martial Arts-Kämpfe im „Matrix”-Stil veranstalten, um das Herz eines Weibchens für sich zu gewinnen, in bleibender Erinnerung. Wer sich von der Klasse dieses Films überzeugen oder wieder einmal herzhaft lachen möchte, kann das hier tun:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=0aFKSvw4bjU]

Wettbewerbsblock Nummer 5: am Sonntag, den 26. April, von 16.30 Uhr bis 18.30 Uhr. Die Highlights:
Teleportation: Am 9. November 1989 experimentieren drei Kinder mit allerlei Technik und denken, dass sie nach einem Stromausfall alle Bewohner ihrer Stadt in den Westen teleportiert haben, da die Straßen und ihre Schule leer sind. Eine sympathische Spielerei und Ode an die Macht kindlicher Fantasie mit einigem Ostalgie-Charme und autobiografischen Zügen, wie der anwesende Regisseur Markus Dietrich verriet, der sich nach seinem Film geduldig den Fragen des Publikums stellte.
Schautag: Ein Drama um Schuld, Verdrängung und Sühne mit einer verstörenden Pointe. Die drei Erzählstränge werden am Ende sinnvoll zusammengeführt, auch wenn das Ergebnis letztlich nicht allen logischen Prüfungen standhält. Warum dieser Film von Marvin Kren letztlich den mit 1500 Euro dotierten 1. Preis des Festivals gewonnen hat, ist mir aufgrund einiger anderer Filme, die mir wesentlich besser schienen, etwas schleierhaft.

Nach dem abschließenden Länderschwerpunkts-Block erfolgte dann ab 21 Uhr die Preisverleihung, bei der alle Gewinnerfilme nochmals gezeigt wurden. Die Reihen des Saals im schön restaurierten Astoria-Kino, welches aufgrund der Schließung des vormaligen Veranstaltungsortes Capitol wieder zu neuem Leben erweckt wurde, hatten sich schon etwas gelichtet. Und so fand diese Abschlussveranstaltung, zu der ich einen eigens für das Festival kreierten, köstlichen „Cellu l’art X”-Cocktail genoss (Matthias und Kratzi, ihr seid die Besten! *hicks*), in einem eher kleinen Rahmen mit einem Fototermin mit den Jury- und „Cellu l’art”-Vereinsmitgliedern gegen 23 Uhr ihr offizielles, gegen 5 Uhr morgens (so munkelt man) nach einem Besuch in der Kneipe nebenan und der Rückkehr zum Ort des Geschehens ihr inoffizielles Ende.

Alles in allem war dieses 10-jährige Festival-Jubiläum in Sachen Organisation und Programmgestaltung sehr gelungen, über ein paar technische Pannen („Hundesöhne” wurde im selben Block zweimal angespielt; bei einem spanischen Film verschwanden plötzlich die Untertitel) und die zum Teil etwas schläfrige Moderation (Christoph, nicht “Wolverine”-Gastkritik-Martin, der toll war) kann man dabei großzügig hinwegsehen.

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