Einen Film aus Robert Zemeckis’ Digitalschmiede im Anschluss an den visuellen Genuss des Billion Dollar Babies “Avatar” vorgesetzt zu bekommen, ist ein schwieriges Los. Liest man die vielen positiven Kritiken über Die Legende von Beowulf, fällt es aus heutiger Sicht schwer, die geäußerte Begeisterung für die fortschrittlichen Effekte nach zu empfinden. “Beowulf” ist nämlich mehr noch als viele andere Effekt-schwangere Werke ein historisches Erlebnis, ganz einfach weil der Film so schnell überholt wurde von der Zeit. Man könnte sagen, er sei schlecht gealtert, man könnte aber auch einwerfen, dass bereits zu seiner Veröffentlichung vor rund drei Jahren “Beowulf” ein technisch gescheitertes Werk gewesen ist. Im Gegensatz zum “Polarexpress” und der späteren “Weihnachtsgeschichte” von den selben Machern, ist Zemeckis’ “Beowulf” ein Film für Erwachsene, keinesfalls ein Abenteuer für Jung und Alt. Die Altersfreigabe (FSK 12) mag dem widersprechen, doch die erotisierte Stimmung im Film, deren Personifizierung – ja sinnbildliche Verkörperung – Angelina Jolies wohlgeformter Wasserdämon darstellt, wird durch eine für den Animationsfilm überraschende Brutalität ergänzt. Psychoanalytisch ausgedrückt: Eros und Thanatos, Lebens- und Todestrieb, machen in diesem Falle jedes unschuldige Märchen zu Nichte.
All das ist natürlich von den Verantwortlichen gewollt. Durch die Schilderung des ausschweifenden Lebens der Krieger und ihrer unzähligen Frauen führt der Film uns ein in die Welt um 600 n. Chr., in welcher der betrunkene König (Anthony Hopkins) halbnackt zur Freude aller vor seinem Thron hin uns her wankt. Das laszive heidnische Leben wird natürlich in der selben Sequenz bestraft durch den brutalen Angriff des Monsters Grendel (Crispin Glover), welches von den lauten Feierlichkeiten in Rage versetzt wird. Grendel ist einerseits ein Sagenwesen, für welches das sich annähernde Christentum keinen Platz hat außer jenem im Grab, doch im selben Moment fungiert es als Racheengel für eine moralische Übertretung, für eine Versündigung. Denn einst hatte der König Grendel gezeugt mit einer Hexe (Jolie). Er war der Verführung der Frau (Eva und Schlange zugleich) verfallen. In seiner Not ruft der Schuldige nach einem Helden, der sein Volk befreit von dem Monster und siehe da! Beowulf (Ray Winstone – digital geliftet und leider kaum wiederzuerkennen) kommt mit seinen Mannen (u.a. Brendan Gleeson), um sich diesem zu stellen. Beowulf ist ein nordischer Krieger durch und durch, ein jüngeres Abbild des Königs. Zemeckis’ Film treibt diesen Aspekt weiter als die Vorlage, um eine im Mainstream-Kino obligatorische erzählerische Einheit zu schaffen. Zwar erlegt Beowulf Grendel, doch damit ist das Übel längst nicht ausgestanden.
In der mitleidigen Darstellung des deformierten Grendel findet sich eine nachvollziehbare Modernisierung des Stoffes, sind wir doch heutzutage nach ambivalenten Widersachern scheinbar süchtig. Die gleiche Vielschichtigkeit kommt auch dem Helden in der zweiten Hälfte des Films zu, so dass die Story etwas Vertiefung erlangt abseits des klassischen Held-erschlägt-Monster-Motivs, welches an dem Heiligen Georg denken lässt. Die Drehbuchautoren Neil Gaiman und Roger Avary betonen außerdem mit Hilfe erzählerischer Freizügigkeiten die christliche Moral des Films. Nicht von ungefähr steht der verführerischen Hexe (lies: Hure), deren Höhle vor Sexualmetaphern nur so strotzt, die unter ihren wollüstigen Männern leidende Königin (Robin Wright Penn) gegenüber, welche gegen Ende des Films, von einem Geistlichen begleitet, zum Symbol christlicher Tugend, zur symbolischen Mutter ohne Kind wird. Im Aussehen Grendels zeigt sich, wo der Samen des Mannes hingehört hätte.
“Beowulf” ist dank des Drehbuchs nicht nur auf Schauwerte aus, wenn auch die Technik mit jeder Speerspitze, jeder Träne auf den Wangen der animierten Figuren in den Vordergrund gerückt wird. Doch all das nützt nichts, denn die “Legende” kommt nie über den Widerspruch zwischen jenen technischen Kinderschuhen, in denen sie steckt und ihrer, wenn auch mit Action geladenen, vor allem ernsten Thematik hinweg. Abseits der Großaufnahmen herrscht in dem Film das Gewusel lebloser Augen, unglaubwürdiger Oberflächen (Diese schreckliche aufgemalte Haut!) und unnatürlich langsam gleitender Bewegungen. Als hätte Zemeckis 1907 ein Musical gedreht, ist sein Film ein dramaturgisch-technisches Himmelfahrtskommando. Animierte Drachen, Stop-Motion-Drachen, gezeichnete Drachen bergen in sich allenfalls ein Problem des Bedrohungspotenzials für den Zuschauer. Menschen aber, die müssen durch Menschen als Menschen akzeptiert werden. Kein Wunder eigentlich, das Jolies Wasserdämon in Frauengestalt hier noch das glaubwürdigste Geschöpf auf zwei Beinen ist.