Da nicht jeder Mensch in seiner Jugend mit den Cahiers du Cinéma aufgepäppelt wird, verläuft die Entwicklung zum Cineasten meist auf einem holprigen, selbst auserkorenen Weg durch die Filmgeschichte. Bei mir läuft und lief das immer über Umwege, d.h. über die Verästelungen der Produktionsmachinerie, über Regisseure, SchauspielerInnen, Kameraleute usw. Ich habe z.B. irgendwann zum zweiten mal in meinem Leben “Dr. Seltsam” gesehen und war plötzlich arg begeistert. Daraufhin wühlte ich mich durch die umfangreiche künstlerische Hinterlassenschaft von Peter Sellers, entwickelte einen Faible für britische Filme der Fünfziger und Sechziger, entdeckte auf diesem Wege Michael Powell und Emeric Pressburger, David Lean, und schließlich Hal Ashby, um am Ende nach einer weiteren Sichtung von “Dr. Seltsam” die Stanley Kubrick -Box im örtlichen Müller zu erstehen. Umwege, wie gesagt. Alles aus dem Wunsch heraus nach einem tiefgreifenden Kick die Sucht nach der Droge zu stillen, um es einmal reißerisch auszudrücken.
Mit Billy Wilder ging es nach dem gleichen Prinzip vonstatten. Nach der obligatorischen Sichtung von “Ein seltsames Paar” mussten natürlich Jack Lemmon und Neil Simon dran glauben und wer ersteren kennt, weiß, Wilder ist da nicht weit. Nur blieb die Reaktion… Ich sage es einmal so: Mehr als drei Filme habe ich mir von Wilder nicht angesehen und relativ schnell mit dem “China-Syndrom” weitergemacht. Womöglich sollte ich seinen (Tragik-)Komödien noch eine Chance geben, schließlich bleibt kaum ein Filmgeschmack über Jahre hinweg gleich. Das hoffe ich zumindest. Bis auf Manche mögen’s heiß hatte es mir Wilder jedenfalls nicht angetan, so dass sich seine Präsenz in meinem imaginären Filmtagebuch auf eine Fußnote belief. Später dann, aus einem längst vergessenen Grund, landete Sunset Boulevard in meiner Sammlung und irgendwie sah der ganz und gar nicht nach dem Wilder aus, der Lemmon und Tony Curtis in Frauenkleider stecken würde. Vielleicht lag es an der Geschichte über einen Drehbuchautor, der auf eine alternde Filmdiva trifft, die gerade dabei ist, die Beerdigung ihres Schimpansen vorzubereiten. Mit “Zeugin der Anklage” verhielt es sich – trotz der wesentlich konventionelleren Story – ähnlich und nun reiht sich Frau ohne Gewissen (OT: “Double Indemnity”) ein in die vorwiegend düsteren Werke des Wilder-Kanons, welche mich wenigstens belehrt haben, warum er als großer Regisseur gefeiert wird.
Dem Zuschauer sei es verziehen, wenn er bei Double Indemnity im nachhinein v.a. an drei Dinge denkt: Schatten. Eine Fußkette. Und Barbara Stanwycks blonde, schrecklich billig aussehende Perücke. Stanwyck ist die Femme Fatale und an ihrer offensichtlich falschen Haarpracht kann man ihre zwielichtige Motivation, ihr doppeltes Spiel leicht ablesen. Der Versicherungsverkäufer Walter Neff (Fred MacMurray) verfällt der schönen Kundin und auch ihrem Fußbändchen, so dass die beiden schon bald den Mord an Phyllis’ (Stanwyck) reichem Ehemann planen, um die Versicherungsprämie abzukassieren. Wie ein Unfall soll es aussehen, doch bald nach der Tat meldet sich nicht nur Walters Gewissen zu Wort, sondern auch sein Kollege Barton Keyes (Edward G. Robinson), der Zweifel an der Unschuld der Ehefrau hegt, einen Versicherungsbetrug wittert. Erzählt wird die auf einem Roman von James M. Cain (“Wenn der Postmann zweimal klingelt”) basierende Geschichte in Flashback- Form von einem angeschossenen Walter, der sein für Keyes gedachtes Geständnis aufzeichnet.
Eine Femme Fatale. Eine auffällige Licht- und Schattengestaltung. Vom Verlangen nach Geld/Sex in den Abgrund getriebene Figuren, statt klassische Helden. Ein Erzähler. Klingt nach Film Noir und ist es auch. “Double Indemnity” gilt als eines der ersten Meisterwerke dieser sagenumwobenen (und mal wieder von französischen Kritikern erdachten) Stilrichtung und erfüllt den Tatbestand weitestgehend. Mal abgesehen davon, dass die Geschichte hier verständlich, der Plot dank des Drehbuchs von Wilder und Raymond Chandler ziemlich geradlinig ist. Ihre Grundzüge kennt man heutzutage wohl aus jeder zweiten “C.S.I.”-, “Columbo”- oder “Monk”-Folge, doch zu Zeiten als in Hollywood dank des Hayes- Codes noch eine strenge Zensur herrschte, war die in “Double Indemnity” aufzufindende moralische Verwerflichkeit der Hauptfiguren äußerst gewagt. Auch wenn er nicht an die morbide Dichte von “Sunset Boulevard” herankommt, beeindruckt der Film v.a. durch einzelne, aussagekräftige Momente, die noch einmal auf das Können der Drehbuchautoren verweisen und eben den guten Noir von all den schlechten Kopien (Hallo Brian DePalma) unterscheiden.
Mit äußerster Effizienz schildert der Film etwa, wie Walter seiner neuen Bekanntschaft Phyllis verfällt. Es ist das glitzernde Fußkettchen, als sie die Treppe herabsteigt, welches sein Verhängnis – die Gier nach der Frau und dem Geld – vorwegnimmt, noch ehe wir den Rest seiner Geschichte gehört haben. Es ist Barbara Stanwycks kaltes, zufriedenes Lächeln, während ihr Liebhaber den Ehemann umbringt, das mehr Brutalität in sich birgt, als es eine offenherzig gefilmte Mordszene je könnte. Psychologische Finessen, wie Walters wachsender Verfolgungswahn ganz im Sinne Edgar Allan Poes, stellen in Double Indemnity trotz aller stilistischer Auffälligkeiten an den Figuren orientierte Bedeutungsebenen her.
Billy Wilders erste große Regiearbeit profitiert allerdings nicht nur von einem erstklassigen Drehbuch, das einiges aus dem nicht gerade neuen Plot herausholt. Einen Film mit Barbara Stanwyck und Edward G. Robinson gegen die Wand zu fahren, müsste auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vergolten werden. Stanwyck mit ihrem geradezu surrealem Äußeren ist die Sirene, die Walter ins Verderben lockt und uns als Zuschauer gleich mit ihm. Robinson ist der Gute und darf einige geistreiche Reden von sich geben, die ihm wie auf den Leib geschrieben scheinen. Als ausgebuffter Veteran im Versicherungsgeschäft und Freund von Walter nimmt er aber auch die Rolle der Moral ein, des strafenden Gewissens, an das Walter in seinem Geständnis appelliert. Nur ist es nicht das Gewissen, das mit langweiligen Predigten die Filmzeit verschwendet. Eines des enttäuschten Freundes ist’s, ein hochgradig wirkungsvolles noch dazu.