Twilight – Biss zum Morgengrauen (USA 2008)

Diese seltsamen Teenie-Mädchen. Auf was für Zeug die abfahren? Alles Hormone, nix im Kopf. Blah. Das Twilight-Phänomen hat mich bis vor ein paar Monaten nicht wirklich tangiert. Allenfalls saß da mal eine Frau gegenüber in der Straßenbahn, die ihren Kopf tief in eines dieser “Bis(s)”-Bücher verborgen hatte. Hier und da ein paar Witze über schlecht gephotoshop’te Filmposter, nichts ernstes. Seit Anfang Januar sieht das allerdings anders aus. Wenn man die Welle an hauptsächlich männlicher Abscheu gegenüber Teenie-Phänomenen wie “Twilight” oder Justin Bieber immer wieder in Kommentarform mitbekommt, ist eine steigende Neugier unausweichlich. Warum, wieso, weshalb dieser Hass auf ein paar Filme, zu deren Zielgruppe man nicht einmal gehört? Warum bei “Twilight” und nicht bei “Harry Potter”? Eine Antwort auf alle Fragen habe ich nach Ansicht des ersten Teils ganz sicher nicht, aber ein paar Ideen, welche die Kritik des zugegebenermaßen unterdurchschnittlichen Films ein wenig anreichern. Für alle, die weder zu Team Edward, noch zu Team Jacob gehören, lässt sich die handlungsarme Adaption des ersten Romans von Stephenie Meyer folgendermaßen zusammenfassen: Ein klassisches Motiv des Coming of Age-Films eröffnet Twilight – Biss zum Morgengrauen. Bella (Kristen Stewart) wechselt den Wohnort und ist die Neue in der Schule. Dort lernt sie Edward (Robert Pattinson) kennen. “Lust auf den ersten Blick” beschreibt die Beziehung der beiden recht gut. Doch Edward ist ein Vampir, der seinen Bedürfnissen nicht nachgeben kann/will. Ein paar böse Blutsauger verkomplizieren die Story in der zweiten Hälfte, damit der Film nicht nur aus schmachtenden Blicken besteht.

Regisseurin Catherine Hardwicke (Dreizehn) beweist im ersten Viertel ihr weitgehend vergeudetes Händchen für ernsthafte Mädchenfilme. Denn Bella steht zwischen ihren Eltern. Ihr Heim ist im sonnigen Arizona bei ihrer Mutter, doch da diese etwas Zeit mit dem Stiefvater verbringen will, zieht Bella zu ihrem leiblichen Dad ins ewig herbstliche Forks, das von Blautönen durchtränkt ist. Warm und kalt, weiblich und männlich, Gefühl und Ratio. Twilight greift auf uralte Klischees der Geschlechterdarstellung zurück, welche naturgemäß zu einer konservativen Deutung des Films beitragen. Der Umzug ist gleichbedeutend mit Bellas sexuellem Erwachen. Ein davor gibt es nicht. Ins männlich konnotierte Forks (ihr Vater, Jacob, der Freund aus Kindertagen, Edward natürlich) kommt sie und verdreht allen den Kopf. Ausgerechnet auf den Vampir fällt ihre Wahl, für den die Libido gleichbedeutend mit dem Blutdurst und damit der Todessehnsucht ist. Eros und Thanatos vereint in einer Figur, dargestellt von einer hölzern agierenden Frisur auf zwei Beinen. Catherine Hardwicke muss zu Gute gehalten werden, dass sie hier einen der wenigen amerikanischen Mainstream-Filme gedreht hat, der sich tatsächlich auf die Sicht einer jungen Frau in der Pubertät konzentriert. Denn dieses Terrain ist im US-Kino meist männlichen Protagonisten überlassen. Frauen sind die scheinbar unerreichbaren Objekte der Begierde, während die Jungs ihre Libido in den Griff bekommen müssen, um zu Männern, d.h. erwachsen, zu werden. Von “American Pie” bis “Superbad” und noch weiter reichen die Beispiele. Die weibliche Sexualität wird meist in den Objektstatus gezwungen, entweder weil sie bedrohlich oder weil sie schlicht unverstanden ist. Man kann es sich aussuchen. Die feministische Filmtheorie der 70er lässt grüßen, doch leider ist das auch heute die Realität.

Twilight ist bis aus den Handlungsstrang rund um die bösen Vampire Bellas Geschichte. Wie Catherine Hardwicke viele Minuten der ersten Hälfte damit füllt, Bellas Begierde in Blickkonstruktionen auszuloten, ist für Hollywood-Maßstäbe fast schon subversiv, obwohl der Schnitt ein ums andere Mal holprig ist. Eine “Liebesgeschichte” ist “Twilight” nicht wirklich, ist doch zu keinem Zeitpunkt zu erahnen, was die beiden ineinander sehen. Die meiste Zeit sehen sie einander nur an, während sich die Gespräche darum drehen, dass sie ihrer Libido nicht nachgeben können, da dies Bella den Tod, Edward die Schuld daran verheißen würde. Sinnbild für die Fleischeslust ist der Wald rund um Forks. Abseits der Zivilisation gehen die beiden ihrer Ersatzhandlung nach, d.h. er fliegt mit ihr von Baumwipfel zu Baumwipfel. Das ist die einzige Aufregung, die er ihr abgesehen vom vorsichtigen Händeschütteln bieten kann. Bella bleibt uneinsichtig in ihrem Begehren, womit man noch so ein ungewohntes Motiv im Hollywood-Film vorfindet.

Doch der Wald als magischer Ort eines unschuldigen, paradiesischen Zustands wird visuell jäh durchbrochen und das wiederum ausgerechnet durch das Haus der Familie Cullen. Abgelegen und wie ein Fremdkörper steht das Glasgebilde zwischen den Bäumen, so unterkühlt wie seine Besitzer. Aus der Wildheit des Waldes (und ihres Begehrens) wird Bella in die funktionale  Ersatzfamilie der Vampire eingeführt, ein blutleeres Gegenstück nicht nur zur ihrer sonnigen, wenn auch zerütteten Heimat, sondern vor allem auch zu ihr selbst. Dass “Twilight” zuallererst aus Sicht einer werdenden Frau erzählt wird, hat den Erfolg und das Ausmaß der Hasstiraden gleichermaßen zu verantworten.  Schließlich scheint die Beurteilung des irrationalen Verhaltens von männlichen und weiblichen Teenagern arg geschlechtsabhängig zu sein. Die Entscheidung, Bellas natürliches Begehren durch einen älteren, weiseren und natürlich rationaleren Anti-James Dean in Schranken weisen zu lassen, verwandelt Twilight – Biss zum Morgengrauen schlussendlich in ein seltsam reaktionäres Zwitterwesen irgendwo zwischen ungezügelter Begierde und Selbsthass.


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