Das Jahrzehnt ist zwar nicht vorbei, aber da ich in den nächsten Wochen dank meiner Magisterarbeit sowieso nicht wirklich viel Zeit für Kino/Videoabende/Sozialleben habe, gibt es jetzt schon einen äußerst subjektiven Rückblick auf die vergangene Dekade. Betont wird, dass es sich hierbei um eine Art Lieblings-, nicht Bestenliste handelt. Die ausgewählten 15 Filme haben das ausgehende Kinojahrzehnt für mich in vielerlei Hinsicht geprägt. Größtenteils handelt es sich um Werke, die seit Jahren in meiner ewigen Bestenliste Staub fangen und diesen Status auch nach unzähligen Sichtungen – im Gegensatz zu anderen – nicht verloren haben. Wieder andere mögen noch jung im Gedächtnis sein, haben dort aber einen beträchtlichen Eindruck hinterlassen, von dem natürlich nicht sicher ist, ob er auf Dauer bestehen wird. Für den ein oder anderen gibt es hier vielleicht ein paar Empfehlungen zu entdecken oder einfach eine Anregung, sich selbst mal Gedanken über die Filme der letzten Jahre zu machen und der Welt seine Lieblinge mitzuteilen. Über unverständliche Platzierungen darf natürlich trotzdem diskutiert werden.
Auf geht’s mit Teil 1!
In the Mood for Love (HK/F 2000)
Ob Wong Kar-Wai nach seinem ge- scheiterten Amerikaausflug “My Blueberrry Nights” zu alter Form zurückfindet, wird die Zeit und sein Ip Man-Biopic “The Grand Master” zeigen. Unbestritten ist jedoch, dass sein Einstand zum neuen Jahrtausend, “In the Mood for Love”, ihn auf dem Höhepunkt seiner Kunst zeigt. Wongs Vorliebe für die – nicht nur chinesische – Popkultur, fast ausnahmslos tragische Liebesgeschichten und das Hongkong seiner Jugend, welches er bereits im inoffiziellen Vorgänger “Days of Being Wild” besucht hatte, werden hier noch einmal rekapituliert. Doch anstatt sich in der Reflexion des eigenen Werkes zu verlieren, lässt Wong seine gehetzte Großstadtromantik fallen und erzählt auf geradezu spartanisch engem Raum von zwei Gefangenen, die die offen stehenden Türen ihrer Zellen einfach nicht durchschreiten können. Stilistisch ein großartiger Beweis für die gern übersehene Vielfalt in Wongs Oeuvre. Schauspielerisch ausgezeichnet mit einem der schönsten unter den ikonischen Liebespaaren der Filmgeschichte: Maggie Cheung und Tony Leung.
Unbreakable (USA 2000)
Die Geschichte von M. Night Shyamalans Aufstieg und Niedergang ist schon ein alter Hut. Abnutzungsspuren, die daher rührten, dass das damalige Wunderkind sich selbst mangels abwechslungsreicher Filmauswahl unter eine Tonne Klischees und Erwartungen (Wo bleibt der Twist?) hat begraben lassen, wurden spätestens bei “Signs” sichtbar. Doch davor wandte er sich einem Genre zu, welches das Jahrzehnt auf damals ungeahnte Weise dominieren sollte. “Unbreakable” ist ein Film über Superhelden und das Medium, in dem sie groß geworden sind: Comics. Doch es ist eine Heldengeschichte, deren Wurzeln weniger in einem alternativen Universum als dem grauen, größtenteils ereignislosen Alltag liegen. David Dunn (Bruce Willis) steckt immherin in einer betäubenden Midlife Crisis, die von unerfüllten Träumen und einer zerütteten Ehe genährt wird. Shyamalan folgt bei der Schilderung der Genese des Superhelden der bekannten Konstruktion des Initiationserlebnisses, dem die widerwillige Entdeckung der eigenen Kräfte folgt und schließlich die Erkenntnis und Verwirklichung der eigenen Berufung. Doch “Unbreakable” ist eben auch ein Film über einen Mann, der den Sinn seines eigenen Lebens vergessen hat und neu entdecken muss. Der eingängige Score von James Newton Howard, sowie die Shyamalan-typische, auf erfrischender Statik aufbauende Kameraarbeit von Eduardo Serra mit einem Hang zum Formalismus, bilden weitere Pluspunkte des Films. Ohne Fehler ist dieser bestimmt nicht; das Ende ist überstürzt, der Plot bewegt sich auf dünnstem Eis. Aber auch mit zehn Jahren Abstand bleibt “Unbreakable” eine der ungewöhnlichsten Umsetzungen eines in den Jahren danach (zu) oft beackerten Genres.
Donnie Darko (USA 2001)
Ein Kultfilm via DVD, speist sich die Faszination um Richard Kellys am- bitioniertem Erstling natürlich zunächst einmal aus der Deutungsvielfalt der stellenweise kryptischen Geschichte, für deren Verständnis Grundkenntnisse in der Zeitreisephilosophie nicht gerade störend sind. Nachdem ich mir damals den Film mühsam als UK-Import besorgt und mich durch die englischen Untertitel noch mit Hilfe eines Wörterbuchs gequält habe, wurden erstmal die Message Boards bei der IMDb konsultiert, um die Verwirrung zu lindern. Die Geschichte um einen psychisch labilen Jugendlichen (Jake Gyllenhaal), dem das Ende der Welt prophezeit wird, ist eine seltsame Sci Fi-Mischung aus “Die letzte Versuchung Christi” und “Der Fänger im Roggen” und gleichzeitig etwas ganz anderes, monumentales, unbeschreibliches. Kellys Entscheidung, die späten 80er Jahre als Hintergrund zu nehmen, erweist sich nicht nur dank des großartigen Soundtracks (Echo & the Bunnymen, Joy Division, Duran Duran) als Geniestreich. So unwirklich und verträumt die damalige Vorstadtwelt im Film wirkt, überzeugt dieser v.a. durch seinen Coming of Age-Hintergrund, was ihn zu einem düsteren Bruder der John Hughes-Filme macht. Anders als Kellys überladener Nachfolger “Southland Tales” verharrt “Donnie Darko” trotz der komplexen Geschichte nicht auf dem Status eines sterilen Forschungsobjekts, ist stattdessen vielmehr einer der besten Teenagerfilme der letzten Jahre.
Lantana (AUS/D 2001)
Eine Frau liegt tot in den Büschen von Sydney. Ihr Gesicht sehen wir nicht. Das ist der Auftakt von “Lantana”, einem Beziehungsfilm mit einem Krimigerüst. Denn in den nächsten zwei Stunden wird uns Regisseur Ray Lawrence einige Paare mit all ihren Problemen und Geheimnissen vorstellen, uns raten und bangen lassen, wer da am Ende in den Sträuchern liegen wird. Unspektakulär, aber mit einer unheilschwangeren Stimmung versehen, lässt uns Lawrence die von Fehlern gepflasterten Irrwege seiner Hauptfiguren folgen, von denen nur manche am Ende eine zweite Chance erhalten werden. Mittelpunkt des Ensemblefilms ist Anthony LaPaglia, der, wenn er mal nicht das Fernsehen in “Without A Trace” mit seiner Anwesenheit beehrt, im Kino nur selten Gelegenheit hat, zu beweisen, was in ihm steckt. LaPaglia spielt den in die Jahre gekommenen Cop Leon, der sein Familienleben mit einer Affäre auf’s Spiel setzt und aus Frust Verdächtige schon mal zusammenschlägt. Unzufriedenheit und wohl auch Schuldgefühle scheinen diesen Mann von innen dermaßen zu verzehren, das jederzeit die Implosion droht. Es ist die Meisterleistung LaPaglias, dass wir Leons abstoßende Seite zuerst präsentiert bekommen, diese auch nie ganz verschwindet und er uns dennoch nicht vom Geschehen entfremdet. Leon ist eben, wie die anderen Figuren in “Lantana” auch, ein Mensch aus Fleisch und Blut.
Der Herr der Ringe: Die Gefährten (USA/NZ 2001)
“Die Gefährten” habe ich viermal im Kino und zwischen fünfzehn und zwanzig Mal auf Video, im Fernsehen und auf DVD gesehen. Von den anderen beiden Teilen kann ich das nicht behaupten. Vielleicht liegt es daran, dass ich die Bücher von J.R.R. Tolkien erst nach Kenntnis dieses Films gelesen habe und die Überwältigung des ersten Kinobesuchs einfach nicht reproduzierbar ist, wenn man die ganze Geschichte kennt, anfängt über Auslassungen nachzudenken usw. Vielleicht ist “Die Gefährten” aber auch der beste Teil der Filmreihe von Peter Jackson. Howard Shores Score ist gepflastert von Melodien für die Ewigkeit. Die Gefährten sind noch neun an der Zahl. Wir sehen Bilbo, das Auenland, das von den Ringgeistern heimgesucht wird, Bruchtal, das Nebelgebirge, Moria, Galadriel, bis hin zum Blick auf das ferne Mordor, das den Zuschauer als dunkle Bedrohung in den Abspann geleitet. Es ist der Teil mit dem geringsten Pathos, den wenigsten Schlachten, dem kleinsten Arwen-Aragorn-Anteil und der längsten Reise. Eine, die uns Mittelerde mit all seinen Völkern, ob gut oder böse, kennen und lieben lernen lässt. Peter Jackson hat mit diesem Film das Fantasy-Kino wieder salonfähig gemacht und zu Beginn des neuen Jahrtausends bewiesen, dass der Umgang mit digitalen Effekten auch anders funktionieren kann als beim leblosen Kitsch eines George Lucas. Mittelerde ist zum Anfassen nah und vielleicht macht es ja auch deswegen soviel Spaß, immer wieder dorthin zurück zu kehren.