Es gibt Menschen, die schalten Filme von Godard nach spätestens einer Viertelstunde ab. Pierrot le fou gehört im besonderen Maße dazu, denn schon der Produzent Dino de Laurentiis meinte, dass es kein Film sei. Dabei gibt es viele, sehr viele Gründe ihn zu lieben. Aber im Grunde gibt es einen einzigen: Ferdinand Griffon, der sich selbst nie als Pierrot sieht, aber eben der Verrückte, der Narr ist, der dem Film seinen Namen gibt.
Er ist ein Spinner und Phantast … voller Zärtlichkeit für seine Umwelt. Gänzlich wirr im Kopf überschlagen sich seine Gedanken. Es scheint, als ob er brennt und alles verstehen, alles lesen, alles sehen muss, als ob an den kleinsten Dingen der Welt alles hängt. Doch er ist nicht überdreht. In all seinem Handeln verliert er nie die Ruhe. Belmondos lakonische Gelassenheit, Mitte der 60er Jahre die Definition von Coolness, feiert hier ihren einzig wahren Ausdruck. Gleichzeitig lacht und weint er als Ferdinand und sieht keine Möglichkeit, beides zu trennen. Er ist naiv … in seiner Freude und in seinem Vertrauen. Nie kann er im Hier und Jetzt sein, weil das zu klein für ihn wäre. Schmerz und Heiterkeit zerreißen ihn innerlich und schaffen dort eine Wildnis, ein Abenteuer. Er liebt die hohe Literatur, kann sich aber nicht von seinen Kindercomics trennen. Eine Trennung zwischen Hochkultur und Trash kann es nicht geben. Er eint die Dinge. Deshalb scheint es, als ob er die ganze Welt umarmen möchte und doch bleibt er von ihr entfremdet zurück. Seine Umwelt treibt er in den Wahnsinn mit seinem endlosen Rezitieren aus Büchern, die ihm die Welt bedeuten, die er mit den Menschen teilen möchte. Er möchte mit den Menschen reden, doch er versteht sie nicht, wie sie ihn auch nicht verstehen.
Die Größe von Pierrot le fou liegt schlichtweg darin, dass Godard uns die Welt durch Ferdinand Griffons Augen sehen lässt. Der Blick eines Kindes wird uns zurückgegeben. Der naive Blick auf eine wunderschöne, rätselhafte Welt voller Mythen. Er hat einen Film geschaffen, der nur so vor Irrsinn sprüht, der ein Feuerwerk an unfassbaren Ideen abbrennt, wie sie davor und danach nie wieder zu sehen waren. Die Einsamkeit auf der Party von Ferdinands Frau scheint erdrückend und absurd, da alle nur Werbeslogans von sich geben, doch genau das ist die Realität, die Ferdinand wahrnimmt. Kurzzeitig wird die Handlung in einem repetitiven, unchronologischen Schnittfeuerwerk zerlegt, weil die Realität, die Gegenwart, das Leben nicht immer regelmäßig sind, sondern auch aus den Angeln gerissen werden können. Besonders wenn man aufhört die Welt nur hinzunehmen.
Das Wichtigste ist aber die Leichtigkeit mit der Godard inszeniert. Die Luftigkeit und Freude mit der Ferdinand die Welt sieht, ist die des Filmes. Nur gegen Ende verliert Pierrot le fou diese Unbeschwertheit, doch nur weil sein Protagonist sie verloren hat. Zurück bleibt ein Film voll Freudentaumel, Lebenslust, tiefer Trauer, Melancholie, Ernsthaftigkeit und Albernheit … oh ja jede Menge göttlicher Albernheit … ein Film voll empfindsamen, fröhlichen Wahnsinn. Alleine die Szene als er vor einem Kornfeld steht und mit diesen wunderbarsten aller Worte fragt, was Marianne wohl denkt, wenn sie sagt: „Es ist schönes Wetter“ … Allein diese Szene gehört zum traurigsten, poetischsten und schönsten was das Kino je hervorgebracht hat.
Dieser Text wurde bereits bei der Aktion Lieblingsfilm auf moviepilot.de veröffentlicht.