Im letzten und ersten Beitrag zur Klärung filmwissenschaftlicher Grundbegriffe hatte ich ja noch angekündigt, dass es sich hier primär um formales Fachgesimpel handeln würde, d.h. die Fachbegriffe zur Beschreibung formaler filmischer Darstellungsweisen im Blickpunkt der Aufmerksamkeit stehen würden. Diese werden auch weiterhin das Hauptaugenmerk der Kategorie darstellen. Heute soll jedoch eine Ausnahme gemacht werden für den ominösen Begriff des “Auteurs”.
Man könnte ihn schlicht und sehr deutsch als Autor oder Urheber bezeichnen, aber das wäre ziemlich langweilig und mit französischen Wörtern lässt sich ein selbstverliebter Studentenintellektualismus wesentlich leichter zelebrieren.
Jeder, der schon mal eine Filmkritik schreiben musste oder wollte, hat zu einem hohen Prozentsatz zumindest indirekt auf den Auteur zurückgegriffen. Denn anders als bei einem literarischen, musikalischen oder einem Werk der bildenden Kunst, ist der Urheber eines Films nur schwer auf einen einzigen Namen festzunageln.
Schreibt man also eine Kritik mit der Absicht, nicht seitenweise auf den Kameramann, den Cutter, den Drehbuchautor, den Rigging Gaffer oder gar den Best Boy einzugehen, sondern irgendwann mal zum Punkt zu kommen, wird man schnell zum einfachen Ausweg verleitet: Der Regisseur ist schuld.
Dem Inhaber des Regiestuhls wird die künstlerische Verantwortung, Lob und Tadel, der Einfachheit halber zugeschoben, da ein differenzierteres Urteil für den Zuschauer aus nachvollziehbaren Gründen meist schon bei Schnitt, Drehbuch und Kamera an seine Grenzen stößt. Der Regisseur hält schließlich alle Fäden in der Hand. Aber hat nicht gerade in Hollywood der Produzent die eigentliche Macht?
Hier in Europa sei einmal Bernd Eichinger in Gedächtnis gerufen, der zwar mit einigen namhaften Regisseuren (a.k.a. Auteurs) zusammengearbeitet hat, wie Tom Tykwer oder Bernardo Bertolucci, aber seinen Großproduktionen immer auch den eigenen Stempel aufdrückt. Sein Hang, die komplette deutsche Schauspielelite in einen Film zu quetschen, ist eines der auffälligeren Merkmale, ebenso seine Vorliebe für literarische Stoffe wie “Das Parfüm” oder “Der Baader-Meinhof-Komplex”.
Um das Problem mit einer viel zu oft genutzten Floskel zu fokussieren: Die Grenzen sind fließend. Während Thomas Mann eindeutig für den “Zauberberg” verantwortlich ist und auch an der Urheberschaft J.M.W. Turners an seinem “Sklavenschiff” niemand ernsthaft zweifelt, kann jeder Hitchcocks Vertigo begutachten und dem Hitch-Fan entgegenhalten: Ja, aber die Musik stammt doch von Bernard Herrmann, die Kamera hat er nicht selbst geführt und das Drehbuch auch nicht geschrieben. Dennoch ist Alfred Hitchcock eines der Paradebeispiele für die Auteur-Theorie.
Als Wurzel allen Übels bzw. als die Advokaten der Erleuchtung werden heute die französischen Filmkritiker der Cahiers du Cinema angesehen. Beeinflusst durch die Schriften ihres Mentors Andre Bazin stellten junge Kritiker wie Francois Truffaut oder Jean-Luc Godard in den 50er Jahren die Forderung, eine persönliche moralische oder philosophische Handschrift solle in Filmen erkennbar sein. Später wurde das Konzept in der englischsprachigen Welt durch Andrew Sarris als Auteur-Theorie bekannt.
Eine “subjektive Haltung” war für Godard, Truffaut und andere in den Filmen Jean Renoirs, Howard Hawks und eben Alfred Hitchcocks zu erkennen. Viele der so wiederentdeckten Regisseure waren zuvor v.a. als Handwerker der Massenware bekannt gewesen, schließlich schreien die Western Anthony Manns oder Samuel Fullers weniger offensichtlich nach der Aufmerksamkeit von Kritikern als die Filme Roberto Rosselinis.
Stets zu beachtender Hintergrund dieser Wendung zum Auteur war und ist der Wunsch, das relativ junge Medium Film neben den alteingesessenen Künsten zu etablieren. Ein auf industrieller Arbeitsteilung beruhender, im nachhinein kaum zu überblickender Entstehungsprozess ist da nicht gerade hilfreich.
Dem Film als Kunst Anerkennung zu verschaffen, das schien zu dieser Zeit nur durch die Angleichung des Vokabulars an die Literatur möglich. So wurde mit dem Konzept des Auteurs letztendlich die Annahme auf den Film übertragen, dass ein künstlerisches Genie hinter einem Film stehen kann.
Für die Kritiker der Cahiers war jedoch nicht jeder Regisseur zugleich ein Auteur. Unterschieden von diesem wurde noch der “Réalisateur”. Der Réalisateur ist, wenn man so will, der Kino-Handwerker. Seine Filme können auf inhaltlicher oder formaler Seite der Perfektion zustreben, doch sein künstlerischer Einfluss geht selten über die Vorlage des Drehbuchautors hinaus.
Der Auteur kann hingegen an seinem Größenwahn scheitern oder nur ein unvollkommenes Meisterwerk drehen und doch ist in jeder Einstellung seine Persönlichkeit, seine Haltung spürbar. Deshalb sind seine gelungenen Filme dazu in der Lage, den Zuschauer auf besondere Weise zu berühren.
Da ist schon mal von der “enormen Zärtlichkeit” gegenüber ihren Figuren und “kleinen Schönheiten”, die es zu entdecken gibt, die Rede. Formale Innovationen etwa der Mise en Scène gehören naturgemäß ebenfalls zu den Merkmalen, die den Stil eines Auteurs prägen können.
Vom Kritiker und Filmliebhaber zum Regisseur war in den 50er Jahren der Weg nicht weit, so dass aus Eric Rohmer, Jean-Luc Godard und eben Francois Truffaut sehr bald selbst Autorenfilmer wurden, die den Grundstein für die Nouvelle Vague legten. Das Konzept des Auteurs ist gerade bei Ansicht ihrer Filme nachvollziehbar. Betrachten wir beispielsweise Die Amerikanische Nacht von Truffaut, fällt – mal abgesehen vom Fakt, dass Truffaut hier einen Regie-Handwerker, also nicht sich selbst, spielt – die Thematisierung seiner eigenen Cinephilie ins Auge.
Sinnbild dafür ist eine Traumsequenz, in welcher Ferrand (Truffaut) als kleiner Junge zu sehen ist, wie er Aushangfotos für Citizen Kane aus einem Kino stiehlt. Dieser Moment ist tatsächlich höchst berührend und natürlich zugleich subjektiv geprägt. Schließlich offenbart Truffaut hier seine Verehrung für den großen Auteur Orson Welles.
Die subjektive Haltung des Auteurs äußert sich nicht nur in der Selbstreferenzialität des Mediums. Nicht jeder Auteur muss das Kino selbst thematisieren, wie es Godard in Die Verachtung tut, wenn er der Regielegende Fritz Lang eine Rolle gibt.
In Sie küssten und sie schlugen ihn verarbeitet Truffaut seine eigene Jugend bis ins Detail. So lebt sein Film-Alter Ego Antoine Doinel genau wie er selbst bei seiner Großmutter bis diese stirbt, um dann mit seiner Mutter und seinem Stiefvater zusammen zu wohnen, regelmäßig die Schule zu schwänzen, Diebstähle zu begehen usw.
Ein Auteur präsentiert nich zwangsläufig seine privaten Probleme auf dem Tablett, wie es Truffaut oder Godard getan haben. Wiederkehrende Themen, die sich durch ihre ganzes Werk ziehen und damit einhergehend eine gewisse künstlerische Kontrolle, machen den Auteur jedoch aus. Man denke nur an Hitchcocks Vorliebe für kühle Blondinen, die komplizierten Mutter-Sohn-Beziehungen und sein beliebtes Handlungsschema über einen unbescholtenen Bürger, der zu Unrecht verfolgt wird.
In den Filmen eines modernen Auteurs wie Michael Mann lassen sich ebensolche Konstanten auffinden, während die Filme eines Handwerkers wie Brett Ratner uninspirierte Auftragsarbeiten darstellen. Auch wenn die Titulierung als Handwerker eine abwertende Note trägt, wurde die Unterscheidung zwischen Auteur und Réalisateur ursprünglich nicht auf einer wertenden Ebene genutzt. Dennoch wurden die Filme eines Auteurs dem steril perfekten (französischen) Kino der damaligen Zeit vorgezogen.
Die Einführung des Auteur-Begriffes führte in Europa letztendlich zu einer Bedeutungsverlagerung von narrativer Perfektion zur Betonung der subjektiven und damit womöglich ungewöhnlichen Perspektive auf die Welt. In Hollywood wurden die wiederentdeckten Auteurs der Studiozeit durch das New Hollywood abgelöst.
Berühmte Beispiele für für heutige amerikanische Regisseure, deren distinkter Stil und thematische Konstanten zur Nutzung des A-Wortes herausfordern, sind Steven Spielberg und Martin Scorsese.
Ersterer, ein Scheidungskind, dreht z.B. seit über 20 Jahren immer wieder Filme mit problematischen Vaterfiguren, letzterer schafft es, in so gut wie jedem Werk seine italo-amerikanische Einwandererherkunft und den Katholizismus anzusprechen.
Abgesehen von der Therapiefunktion, die das Filmemachen für einige Auteurs anzunehmen scheint, sollte er in der Lage sein, seinen Stil trotz unterschiedlichster Vorlagen erkenntlich zu machen. Scorsese schaffte eben das auch ohne seinen Stammautor Paul Schrader. Nicht zufälligerweise vertrauen berühmte Auteurs oftmals auf dieselbe Crew. Spielbergs Filme werden seit 1979 von Michael Kahn geschnitten, von John Williams komponiert und seit rund 10 Jahren steht Janusz Kaminski hinter der Kamera.
Einfacher, den Stil an einer Person festzumachen, ist es da noch bei Stanley Kubrick, dessen Filme kaum jemals denselben Cutter oder Kameramann hatten. Dennoch ist die Handschrift des Regisseurs sofort erkennbar, ob man nun “Wege zum Ruhm”, “Uhrwerk Orange” oder “Eyes Wide Shut” heranzieht.
Dem Auteur-Konzept ist eine gewisse Idealisierung der Position des Regisseurs im Prozess des Filmemachens zu eigen. Gleichfalls verkennt seine Überhöhung des Künstlergenius’ andere Einflüsse auf die Autorschaft. Der oben genannte Paul Schrader könnte das Siegel als Drehbuchautor ebenso verdienen. Oder man stelle sich Lost in Translation in den Händen eines anderen Regisseurs vor. Mit Bill Murray wird die Veränderung kaum auffallen. Ohne ihn ist der Film unvorstellbar. Seine Persönlichkeit ist für die emotionale Wirkung prägend, nicht die Sophia Coppolas.
Ausgehend von der Tendenz, Regisseure hierarchisch nach “Auteur” und “nur Réalisateur” zu werten, hat die offenkundige Unschärfe der Theorie in Folge also zu einiger Kritik geführt. Schließlich wird dem Handwerker ein gewisser Grad an Originalität abgesprochen, sofern er keine Nabelschau betreibt. Auch verleitet die Unterscheidung zu unverdienter Nachsicht gegenüber dem gescheiterten Auteur. Von der Missachtung der künstlerische Leistungen Anderer während des Prozesses des Filmemachens ganz zu schweigen.
Der Poststrukturalist Roland Barthes verkündete 1968 sogar den Tod des Autors. Bezogen war sein Aufsatz auf die Literatur. Er ist aber auch anwendbar auf den Film. Demnach besteht jeder Text aus einer Vielzahl anderer Texte aus einer Reihe von Kulturen. Erst beim Leser (sprich: Zuschauer) werden die Bedeutungseinheiten zusammengesetzt.
In den letzten zwanzig Jahren wird die Titulierung “Auteur” bewusst zur Vermarktung von Filmen eingesetzt. Bestes Beispiel hierfür ist Quentin Tarantino, der Filme auf DVD-Hüllen “präsentiert”, mit deren Produktion er nicht das geringste zu tun hatte.
Für den Filmkritiker bleibt das Konzept jedenfalls Anlass zur Reflexion. Denn auch wenn man dem Kult des Regisseurs nicht verfallen ist, kann man die persönliche Note und Wiedererkennbarkeit in den Filmen von Guillermo Del Toro, Terrence Malick oder Darren Aronofsky kaum ignorieren. Der Auteur ist eben noch lange nicht verschieden. Von Zeit zu Zeit geistert er nur unter dem Pseudonym des “großen Regisseurs” durch den Blätterwald.
Literatur:
Koebner, T. (Hrsg.): Reclams Sachlexikon des Films, Stuttgart 2002