Die wirtschaftliche Depression wütet im Land und die wie auch immer gearteten Großen sind daran schuld. Da verbündet sich der Zuschauer im Geiste gern mit jenen, die Bossen und Politikern ohne Rücksicht auf Verluste Paroli bieten. Dieses filmhistorische Erklärungsmuster ist eine wunderbare Allzweckwaffe, wann immer die meist fatal endenden Abenteuer eines Gangsters die Zuschauermassen an die Kinokassen locken. Raoul Walshs Die Wilden Zwanziger gibt sich als so etwas wie der lebhafte Niederschlag solch einer Logik auf Zelluloid. Gänzlich vom Tisch kann man diese Art von Begründung sicher nicht fegen, denn manches Mal zwingen die Trends der Genrefabrik Hollywoods auf der einen und der gesellschaftlichen Entwicklung auf der anderen Seite dem um Erklärung Bemühten solche Kausalitäten mit aller Gewalt auf. Die frühen dreißiger Jahre des klassischen Hollywoodkinos sind exemplarisch dafür. Kein Buch über die Filmindustrie während der Großen Depression kann man aufschlagen, ohne einen Paragraph zu diesem Thema zu finden. Demnach barg, folgt man der gängigen Interpretation, die Zeit vor dem Amtsantritt Franklin D. Roosevelt fruchtbaren Boden für gewissenlose Gangster aus Einwandererfamilien, die Könige der Welt sein wollten, doch ihren zusammengeklau(b)ten Reichtum schlussendlich im tödlichen Kugelhagel aufgeben mussten. Stichwortartig sind die geballten Argumente für diese Entwicklung skizziert: Nicht nur Post-Börsenkrach, auch Prä-New Deal; Bank Runs wechseln sich mit Schließungen von Kinos im ganzen Land ab; der Production Code für die Selbst-Zensur der Filmindustrie existiert (seit 1930), wird aber nicht durchgesetzt (erst 1934); also auch noch eine Prä-Breen-Office-Zeit. Auf filmtechnischer Ebene ist da natürlich noch der Ton, der die hämmernden Maschinengewehrsalven endlich spürbar in den Kinosaal transportiert. Gleichzeitig: Bonnie & Clyde ziehen durch das Land. John Dillinger und Baby Face Nelson sind auch on the road. Kein Alkohol legal zu kaufen im Laden, der Kater aber am Morgen nach dem abrupten Ende der Roaring Twenties ist gewaltig. Al Capone trägt den Titel “öffentlicher Feind”, doch das Gefängnis wartet bereits.
Die große Zeit der psychotischen Gangster ist kurz, Howard Hawks’ “Scarface” für’s erste ihr krönender Abschluss. So will es die Filmgeschichtsschreibung, welche im wirtschaftlichen Wiederaufbau des ersten und zweiten New Deal, sowie der sich schließlich in Gestalt katholischer Moralwächter doch noch realisierten Zensur die Zugpferde ihrer Argumentation sieht. Deshalb werden aus den glorifizierten Monstern plötzlich Opfer der gesellschaftlichen Umstände, aus den antisozialen und gewalttätigen Ehrgeizlingen der Unterwelt gute Männer, die in die Ecke getrieben werden. Verbrechen lohnt sich nicht. Der öffentliche Feind und der kleine Caesar verwandeln sich in Engel mit schmutzigen Gesichtern. Noch immer stammen die Stories aus den Schlagzeilen der Zeitungen. Allerdings ist früher oder später jede Neuigkeit Geschichte. Als Edward G. Robinson nach Vorbild Al Capones seinen Rico Bandello spielte, war das reale Gegenstück noch auf freiem Fuß. So unmittelbar fußten die Filme auf dem Zeitgeschehen, dass die Effizienz und Dynamik der Studios Bewunderung hervorruft. Wenige Jahre und geschichtliche Meilensteine später ist James Cagney noch immer der Leinwandgangster par excellence, “Die Wilden Zwanziger” allerdings im Gestus ganz klar ein Rückblick auf eine vergangene Epoche und eine filmische Grenzziehung innerhalb des Genres.
Dokumentarisch angehaucht durch News-Meldungen, welche den Erzähler zunächst in der Gegenwart – Roosevelt an der Macht, der Krieg steht vor der Tür – lokalisieren, dann den Blick zurück werfen auf den letzten Weltkrieg und uns Stück für Stück durch die folgenden Jahre die historischen Entwicklungen (Prohibition, Börsenkrach – die alte Leier) näherbringen. Der exemplarische Gangster, an Hand dessen der Film den Wandel Amerikas in diesen Jahren abhandelt, heißt Eddie Bartlett (James Cagney). Ein guter Kerl ist er, der für den Rest seines Lebens Autos reparieren will. Doch als er aus dem Krieg heimkehrt, sieht er sich von der ehemaligen Heimatfront verlassen. Arbeitslos und von der Gesellschaft, für die er sein Leben auf’s Spiel gesetzt hatte, enttäuscht, gerät er durch einen Zufall in den Kreis von Alkoholschmugglern. Was folgt, ist klar. Das erzählerische Muster dahinter greift mit der Feinheit eines Vorschlaghammers. Der Sündenpfuhl der Zwanziger verführt Bartlett wie einst der Apfel im Paradies. Er macht Geld, verliebt sich in die falsche Frau und sucht sich – anscheinend ein ehernes Gesetz des Gangsterfilms – irgendwann die falschen Freunde aus (u.a. Humphrey Bogart), die ihr Geschäft zu weit treiben.
Cagney zeigt sich hier zumeist von seiner wachsweichen Seite, nicht ganz die pure Aggression, nicht ganz die nette Musical-Persona, die man sonst von ihm kennt. Klar ist: “Die Wilden Zwanziger” ist ein Cagney-Film, was nicht suggerieren soll, dass Walshs Leistung mangelhaft ist. Zum Vergleich: Cagneys größte Rolle, die gleichzeitig seine Rückkehr zum Gangsterfilm bedeutete, kann in “White Heat” (1949) bestaunt werden. Den kann man aber getrost einen ‘Raoul Walsh-Film’ nennen, keinen ‘Cagney’. “Die Wilden Zwanziger” hingegen überzeugt als souverän abgelieferte Studiokost, die nach allen Regeln der damaligen Kunst definiert, was dieses Urteil zu bedeuten hat: ein Gangsterfilm mit Star-Aufgebot, doppelbödigen Dialogen, Gesangseinlagen, komischem Sidekick und einer wasserdichten Message. Das alles wird homogen verpackt zu einem kinematografischen Produkt, welches durch seine didaktische Vorgehensweise einen manchmal nostalgischen, manchmal hysterischen Blick auf die grenzenlose Genusssucht der Zwanziger wirft (betrunkene High School Kids, die erst knutschen und dann ihr Auto gegen einen Baum fahren!), um anschließend die Geschichte mit Wirtschaftskrise und FDR in die Ausnüchterungszelle zu werfen. So wie die Gesellschaft im Film schließlich geläutert wird, verkörpert “Die Wilden Zwanziger” gleichsam den Gangsterfilm der besonnenen Sorte, der ein bisschen fad geraten kann.