Domino mal wieder gesehen. Ein Film, den man generell eher sehen als verstehen sollte. Notizen gemacht für die Kritik. “Notizen” heißt in diesem Fall: zunächst eine Aufzählung von Stilmitteln. Erdrückend saturierte Bilder, auffällig in die Länge gezogene Überblendungen und natürlich das Spiel mit den Verschlusszeiten. Die avantgardistische Variation von Bewegung und Farbe gehört zu den Zutaten von Tony Scotts Stil. Das wissen wir spätestens seit den guten alten 90ern, etwa seit “True Romance”, der nicht nur die hysterisch übertriebenen Wurzeln mit “Domino” teilt. Doch was sonst noch über “Domino” schreiben? Es fällt schwer. Vielerorts wird Scott als reiner Stilist abgehakt. Das ist nicht falsch, aber keine erschöpfende Annäherung an einen der prägenden Mainstream-Regisseure unserer Tage. Scott ist mehr als nur ein Vertreter einer mittlerweile schon klassisch gewordenen Videoclip-Ästhetik, deren unvermeidlicher Aufstieg in Film und Fernsehen Tonnen an Wortsalat für Feuilleton, Filmkritik und Freizeitcineasten in den letzten zwanzig Jahren bereit gestellt hat. Liefert Scott in seinem noch immer andauernden Denzel Washington-Zyklus seit Jahren routiniert kleine und mittelgroße Blockbuster ab, kann man “Domino” als sein künstlerisches Manifest sehen.
Stilist – sicher. Aber die Unterscheidung zwischen Form und Inhalt muss angesichts eines Filmes wie diesem nichtssagend geraten. “Domino” ist kein Biopic einer Schauspielertochter, die zum Model und schließlich zur Kopfgeldjägerin wird. “Domino” ist Oberfläche. Über ihre grellen Farben, schnellen Schnitte und willkürlichen Handlungswendungen bewegt sich der Film, umzingelt gewissermaßen sich selbst in den 127 langen Minuten seiner Laufzeit. Keine wahre Geschichte (“irgendwie wahr” trifft es besser) wird da erzählt. “Erzählen” ist schon eine Übertreibung. Domino Harvey (Keira Knightley) ist ein Farbton, den Tony Scott neben vielen anderen auf die Leinwand wirft. Seine schönste Schattierung erhält er in den rahmenden Verhör-Szenen mit Lucy Liu. Da ist das knochige Gesicht der Knightley schon ikonisch wie Guevara zum Postermotiv geworden, zu einem giftgrüngelben Poster, welches von Anfang an das Kratzen an der Oberfläche – die heiligste Aufgabe aller Biopics – von sich weist. Anstatt die reale Fassade dieses wilden, kurzen Lebens zu durchblicken, baut “Domino” einfach eine neue auf – mit Domino-Elementen gewissermaßen und ganz anderen, fremden.
Fernsehen ist hier das Stichwort. Ganz am Anfang werden wir hineingeworfen in einen Job der Kopfgeldjäger (Knightley, Edgar Ramirez, Mickey Rourke), d.h. in die Mitte des Films, der sich danach stichpunktartig Dominos Kindheit und Jugend annehmen wird. Eine drohende Schießerei. Im Hintergrund läuft “The Manchurian Candidate”. Klar: Laurence Harvey, neben Frank Sinatra Hauptdarsteller des Films und früh verstorbener Vater der kleinen Domino, wird scheinbar als Leitmotiv des Folgenden ausgegeben. Doch eigentlich trägt dieser offensichtliche Verweis auf die abwesende Vaterfigur einen Brückenschlag mit sich. Der führt vom Schauspieler, der zum Hollywoodstar wurde, zu seiner Tochter, die in einer Zeit lebt, in der “Berühmtheit” im Reality TV erlangt wird. Zu eben dieser kommt sie, als ein exzentrischer TV-Produzent (Christopher Walken) eine Serie über die Kopfgeldjäger ins Rollen bringt. Mit zwei “Beverly Hills 90210”-Stars als Moderatoren im Schlepptau.
Das Drehbuch stammt von Richard Kelly. Das sei betont. Ein deutlicher Hauch “Southland Tales” weht gelegentlich durch das mediensatirische Blattwerk des Films. Was “Domino” zu solch einem wahnsinnig seltsamen Experiment geraten lässt, ist genau diese Verschmelzung von Kellys Wille zur absurden Verzerrung und Scotts nicht weniger wahnwitziger Bildsprache, die hier ganz klar ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen wird. Man könnte nach einer Stunde abschalten, vielleicht genervt von den schrillen, kaum sympathischen Figuren – mit und ohne Migrantenhintergrund – oder dem Amok laufenden Schnitt, der die letzten Reste der sowieso schon spärlich vorhandenen Linearität zerhäckselt. Sich “Domino” zumuten, heißt nicht, dafür belohnt zu werden. Doch die Art und Weise, wie jedwede Konvention aus dem Fenster geworfen wird, wie zwei Autoren ihre Vorstellung von Rock ‘n’ Roll und Freiheit auf die Leinwand bannen und gleichzeitig der Künstlichkeit dieses Zeitalters ein aberwitzig flaches Spiegelbild vorhalten, ja, die ist irgendwie zu bewundern. Im Grunde haben sie Shakespeare wörtlich genommen: “Die ganze Welt ist Bühne/Und alle Fraun und Männer bloße Spieler/Sie treten auf und geben wieder ab/Sein Leben lang spielt einer manche Rollen/Durch sieben Akte hin.”