Dieses Mal werde ich meine Leser nicht mit der elendig langen Beschreibung meiner Hin- und Rückfahrt nerven, schließlich kann man während einer 10-minütigen Straßenbahnfahrt nur wenige Dinge erleben, die nicht komplett langweilig sind.
Aber zum Thema: Von 22. bis 26. April fand in Jena zum nunmehr zehnten Male das Kurzfilmfestival „Cellu l’art” statt. Bereits ab 20. bis 22. April gab es ein Black Box-Kino im Einkaufszentrum Goethe Galerie zu bestaunen, bevor am 22. April die Jubiläums-Eröffnungs-Gute-Laune-Party, die zwar von reichlich Lokal-Prominenz, jedoch nicht von mir besucht wurde, angesagt war. Dafür war ich dann aber beim Open Air in der Goethe Galerie dabei, wo mit kurzen, meist skurrilen Filmen auf einer Leinwand ab 21 Uhr schon einmal auf das Festival eingestimmt wurde.
Abgesehen davon, dass „Open Airs” normalerweise draußen und nicht in einem Gebäude stattfinden, gab es vor allem bei der Akustik etwas zu meckern. Während man die Dialoge etc. der Kurzfilme immerhin noch mit sehr viel Mühe verstehen konnte, nervten die basslastigen Schallüberlagerungen beim Auftritt der Band „Indicat” vor 21 Uhr und während der Pausen dann endgültig, so dass man selbst 10 Meter von ihnen entfernt nicht ausmachen konnte, was und vor allem: in welcher Sprache da gesungen wurde. Doch die Stimmung war gut, die kostenlose Veranstaltung rege besucht und schon ein kleiner Erfolg.
Am Freitag, den 24. April stand dann ab 17.30 Uhr der Erste Wettbewerbsblock an. Den Auftakt bildete mit Der Untermieter eine skurrile Komödie um einen ziemlich rasch neu einziehenden Mieter, der ein Pärchen durch seine Privatsphären nicht respektierende Lebensweise in den Wahnsinn treibt. In diesem insgesamt neun Kurzfilme umfassenden Wettbewerbsblock folgten u. a. noch der spätere Publikumspreisgewinner Hundesöhne, der reich an Klischees Armut, Vernachlässigung und häusliche Gewalt in Ostdeutschland thematisiert, wie man hier nachlesen kann, sowie der köstliche Moving Camera, in welchem ein exzentrischer Filmemacher per Audiokommentar sein dümmliches Erstlingswerk um einen Besoffenen, der im Wald herumirrt, analysiert.
Zwischen den einzelnen Wettbewerbsblöcken wurden – so auch hier – jeweils sechs Kurzfilme des Länderschwerpunkts gezeigt. Im diesjährigen Fokus stand dabei mit Spanien ein Produktionsland, welches schon in den vergangenen Jahren mit starken Filmen wie dem tragischen Episodenfilm Diente por ojo, der sehr menschlich-sympathischen Dokumentation El hombre Feliz oder dem abstrakt-romantischen Animationsfilm Broken Wire beim „Cellu l’art” vertreten war und nun längst überfällig auserkoren wurde. Dabei soll der Länderschwerpunkt Polen im Jahre 2008 jedoch keineswegs mies gemacht werden: Filme wie das das intensive Adoleszenzdrama Männersache oder die assoziative Kurz-Doku um die Frage(n) des Lebens Talking Heads von Krzysztof Kieslowski hinterließen durch ihren moralischen Realismus einen nachhaltigen Eindruck.
Es schloss sich der Zweite Wettbewerbsblock, welcher von 22 bis 0 Uhr dauern sollte, an. In ihm waren dieses Mal nur noch acht Filme zu sehen; darunter:
Freies Land: Gut gespieltes Drama um einen Pfarrer in der DDR der 80er Jahre, welcher – trotz der Möglichkeit auszureisen – im Arbeiter- und Bauernstaat für seine Überzeugungen kämpfen will. Die Konstellation seiner zwiegespaltenen Familie und eines IM-Stasi-Freundes fängt dabei seine hin- und hergerissene Gefühlslage zwischen Heimatverbundenheit und potenzieller Benachteiligung seiner Kinder im Bildungsweg glaubhaft ein. Gelegentlich anstrengend, aber der 3. Platz im Wettbewerb geht in Ordnung.
Made in Germany: Ein assoziativer Dokumentarfilm, der die Parallelen im Bewegungsablauf von Mensch und Maschine sowie den Hightech-Produktionsprozess in Großunternehmen darstellt. Dabei kann er sich in Sachen formaler Geschlossenheit mangels Stringenz nicht mit dem in dieser Hinsicht mustergültigen Film „Koyaanisqatsi” messen, dem es mit Philip Glass’ minimalistischer Musik gelang, die Botschaft pervertierter Lebensumstände zu manifestieren. Eine Botschaft mag diese anstrengende Collage aus Sprachfetzen und Maschinen-Rhythmik schon haben, allerdings fiel es mir gegen 23.30 Uhr eher schwer, darüber nachzudenken.
Am Samstag, den 25. April fand ab 15 bis 17 Uhr eine Fragestunde mit Kult-Kurzfilmregisseur Felix Stienz (Nenn mich einfach Tobi B., Antje und wir) statt, deren Ende ich noch mitbekommen konnte. Anscheinend auf das Schweigen seitens des Publikums reagierend, sparte er einige zynische Kommentare nicht aus, was einen extrem unsympathischen Eindruck von ihm bei mir hinterließ. Es schloss sich wiederum ab 17.30 Uhr der dritte Wettbewerbsblock an, bei dem folgende der neun Filme am meisten Eindruck hinterließen:
Schäfchen zählen: Frank Plötzer ist Schäfer und erzählt mit einigem Augenzwinkern aus 30 Jahren Berufserfahrung allerlei Anekdoten um Tier-Exkremente, seine Herde und seinen Beruf. Eine sehr kurzweilige Kurzdokumentation, der man gerne noch länger als 15 Minuten Laufzeit gegeben hätte, um Herrn Plötzer zu lauschen.
Das grüne Schaf: Eine Schafsdame aus der „Textilbranche” berichtet davon, wie sie einen gedrungenen Froschherren mit tollem Akzent („Quak-e”) kennengelernt hat und wie aus dieser Verbindung ihr Sohn entstand, der es im bisherigen Leben nicht leicht hatte: ein grünes Schaf. Also: Kauft mehr grüne Wolle, damit auch Tier-Mischlingskinder in die Textilbranche einsteigen können! Köstlich.
Neben Jade, den ich ja schon von der Berlinale kannte und aufgrund seiner Intensität immer wieder schauen könnte, lief auch noch Porque hay cosas que nunca se olividan um zwei Kinder, die im Italien der 1950er Jahre durch ihr Fußballspiel den Unmut einer alten Dame auf sich ziehen und sich an ihr rächen. Der italienische Nationalspieler Fabio Cannavaro gab sich in diesem originell erzählten und sehr humoristischen Kurzfilm sogar die Ehre und Regisseur Lucas M. Figueroa war gar mit Boletos por favor um einen Schwarzfahrer, der im Zug einem sinistren alten Mann mit Pistole begegnet, im Länderschwerpunkt mit einem weiteren Film vertreten.
Aus dem vierten Wettbewerbsblock, welcher am Samstagabend von 22 bis 0.00 Uhr gezeigt wurde, blieb vor allem die Animation Our Wonderful Nature um das Paarungsverhalten von Wasserspitzmäusen, die Martial Arts-Kämpfe im „Matrix”-Stil veranstalten, um das Herz eines Weibchens für sich zu gewinnen, in bleibender Erinnerung. Wer sich von der Klasse dieses Films überzeugen oder wieder einmal herzhaft lachen möchte, kann das hier tun:
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=0aFKSvw4bjU]
Wettbewerbsblock Nummer 5: am Sonntag, den 26. April, von 16.30 Uhr bis 18.30 Uhr. Die Highlights:
Teleportation: Am 9. November 1989 experimentieren drei Kinder mit allerlei Technik und denken, dass sie nach einem Stromausfall alle Bewohner ihrer Stadt in den Westen teleportiert haben, da die Straßen und ihre Schule leer sind. Eine sympathische Spielerei und Ode an die Macht kindlicher Fantasie mit einigem Ostalgie-Charme und autobiografischen Zügen, wie der anwesende Regisseur Markus Dietrich verriet, der sich nach seinem Film geduldig den Fragen des Publikums stellte.
Schautag: Ein Drama um Schuld, Verdrängung und Sühne mit einer verstörenden Pointe. Die drei Erzählstränge werden am Ende sinnvoll zusammengeführt, auch wenn das Ergebnis letztlich nicht allen logischen Prüfungen standhält. Warum dieser Film von Marvin Kren letztlich den mit 1500 Euro dotierten 1. Preis des Festivals gewonnen hat, ist mir aufgrund einiger anderer Filme, die mir wesentlich besser schienen, etwas schleierhaft.
Nach dem abschließenden Länderschwerpunkts-Block erfolgte dann ab 21 Uhr die Preisverleihung, bei der alle Gewinnerfilme nochmals gezeigt wurden. Die Reihen des Saals im schön restaurierten Astoria-Kino, welches aufgrund der Schließung des vormaligen Veranstaltungsortes Capitol wieder zu neuem Leben erweckt wurde, hatten sich schon etwas gelichtet. Und so fand diese Abschlussveranstaltung, zu der ich einen eigens für das Festival kreierten, köstlichen „Cellu l’art X”-Cocktail genoss (Matthias und Kratzi, ihr seid die Besten! *hicks*), in einem eher kleinen Rahmen mit einem Fototermin mit den Jury- und „Cellu l’art”-Vereinsmitgliedern gegen 23 Uhr ihr offizielles, gegen 5 Uhr morgens (so munkelt man) nach einem Besuch in der Kneipe nebenan und der Rückkehr zum Ort des Geschehens ihr inoffizielles Ende.
Alles in allem war dieses 10-jährige Festival-Jubiläum in Sachen Organisation und Programmgestaltung sehr gelungen, über ein paar technische Pannen („Hundesöhne” wurde im selben Block zweimal angespielt; bei einem spanischen Film verschwanden plötzlich die Untertitel) und die zum Teil etwas schläfrige Moderation (Christoph, nicht “Wolverine”-Gastkritik-Martin, der toll war) kann man dabei großzügig hinwegsehen.
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