K&K: Edizione Speciale I

Eigentlich verdient jeder auf dem Festival in Bologna gezeigte Film eine ausführliche Kritik. Dem ein oder anderen werde ich hier auch etwas mehr Zeit widmen. Vorerst beschränken sich die Ausführungen aber auf einen mehrteiligen Überblick der beim Cinema Ritrovato gesehenen Filme. Auf Los geht’s los…

Marlene Dietrich in Blonde Venus Blonde Venus (USA 1932)

Marlene Dietrich spielt in ihrem fünften Sternberg-Film zum wiederholten Male eine Nachtclubsängerin, die hier ihren Job für Mann und Kind an den Nagel gehängt hat. Während ihr Ehemann Ned (Herbert Marshall) aus Gesundheitsgründen nach Europa reist, lernt sie den reichen Nick (ein junger Cary Grant) kennen. Als Ned von ihrer Untreue erfährt, flieht die “Blonde Venus” mit ihrem Sohn in den Süden der USA.

Wenn Ned vor dem vom Schatten zersplitterten Hintergrund, das Gesicht ins Dunkel getaucht, seiner untreuen Frau gegenübersteht, ist das Sternbergs Ästhetizismus in seiner Reinkultur. Vergleiche zum Expressionismus der 20er sind angebracht, doch Sternbergs Vermögen mit dem Licht das melodramatische Geschehen auszumalen, kann nicht auf die Integration in irgendeine Filmtradition reduziert werden. Seine später auf dem Festival gezeigten Filme beweisen: Sternbergs Licht- und Schattengestaltung, sein Einsatz des detaillierten Dekors sind einmalig.

Unvergesslich auch die Nummer Hot Voodoo, in deren Verlauf sich die Dietrich aus einem Gorillakostüm schält und damit die scheinbare Stärke ihrer am Ende stets ergebenen Filmmänner bloßlegt. Eine erstaunlich menschliche Komponente für einen Sternberg bildet dagegen die enge Beziehung von Mutter und Sohn, die jede Liebelei überdauert.

Die Seltsamen Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiki

Die Seltsamen Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiki (UdSSR 1924)

So absurd der Titel auch erscheint, getoppt wird er durch die Story des ersten Spielfilms von Lew Kuleschow. Sein berühmtes Montageexperiment kennt jeder Filmstudent, seine Spielfilme dagegen sind weitestgehend vergessen. Mr. West ist da noch sein bekanntestes Werk, vielleicht auch sein unterhaltsamstes. Kuleschow, der fasziniert war vom amerikanischen Unterhaltungskino, brachte diesen Film im Todesjahr Lenins, kurz nach Ende des Bürgerkrieges heraus.

Den Titelhelden Mr. West, dessen Äußeres mit der großen, runden Brille verdächtig an Harold Lloyd erinnert, verschlägt es in die Sowjetunion. Mit Vorurteilen über die “barbarische” Bevölkerung beladen, trifft er auf eine gewiefte Verbrecherbande, während sein Bodyguard, der Cowboy Jeddy, sich durch die Stadt prügelt und ballert, so dass der ein oder andere Passant schon mal per Lasso am Laternenpfahl endet.

Natürlich nimmt Kuleschow hier Amerikas Bild im Rest der Welt auf die Schippe, doch geschieht das auf eine liebevolle Art. Mr. West in seiner naiven Großäugigkeit ist ein Sympathieträger, gleichsam Jeddy, der sich, seiner anarchischen Art entsprechend, an Kabeln über Häuserschluchten hangelt und für etliche andere Schauwerte sorgt. Satire und Hommage zugleich sind die Abenteuer des Mr. West.

Sie offenbaren dank ihres Verzichts auf eine platte dialektische Vorgehensweise zeitnaher Filme eine andere Seite des sowjetischen Films. Sie verweisen auf eine Lust am Überschwang, an der Ironie, die zehn Jahre später nicht nur aus dem Werk des Regisseurs verschwinden sollte.

Clive Brook in UnterweltUnterwelt (USA 1927)

Sternbergs erstes Stummfilmmeisterwerk wird gern als Vorläufer der Gangsterfilme der dreißiger Jahre gesehen. Abgesehen von solchen filmhistorischen Ritterschlägen ist Underworld (so der Originaltitel) einer der wenigen Sternberg-Filme, dessen männliche Protagonisten eine Wandlung durchmachen.

Der joviale Unterweltboss Bull Weed (George Bancroft) erscheint zu Beginn mit seiner bulligen Statur und seinen ausgeprägten Lachattaken wie eine Karikatur, ein Cartoon. Fehlt nur noch eine riesige Zigarre und ein Nadelstreifenanzug. Das in diesem Film nicht jeder Mensch dem ersten Eindruck entspricht, verdeutlicht schon die Wandlung des Säufers Rolls Royce (Clive Brook) unter den Fittichen des Bosses zum Gentleman. Prompt verliebt er sich in Feathers (Evelyn Brent), die Freundin seines Gönners.

Die recht einfach gestrickte Eifersuchtsstory gerät durch den moralischen Konflikt der Liebenden gegenüber ihres Freundes zwar zu keiner Charakterstudie. Die weitgehende Unvorhersehbarkeit des Endes deutet aber auf eine vergleichsweise komplexe Figurenzeichnung hin, die in Bancroft und Brook dankbare Projektionsflächen für die zahlreichen Großaufnahmen findet.

Wie immer bei einem Sternberg sind Belanglosigkeiten, wie Figuren oder Story, auch hier nicht der Kern der Sache. Der Regisseur profiliert sich wieder einmal durch seine formale Gestaltung, besonders in den Gefängnisszenen. Wichtiger noch sind diese typisch Sternberg’schen Momente, die durch ihre Intensität den Zuschauer vollkommen überrumpeln.

In diesem Film ist eindeutig die große Party das Highlight, ein Motiv, das später z.B. in The Devil is a Woman wieder auftauchen würde. Die rapide Schnittfolge der Großaufnahmen, die den Rausch versinnbildlicht, wird gefolgt vom betrunkenen Bull Weed, der in Rage durch die Konfettiwüste stampft. Selbst ein nur durchschnittlicher Film hätte durch diese Sequenz an Niveau gewonnen. Allein auf eine herausragende Sequenz zu setzen, hat Sternberg, im Gegensatz zu einigen Kollegen hier nur nicht nötig. Im Nachhinein bleibt Underworld gerade deswegen mein liebster Film des Regisseurs im Festivalprogramm.


Zum Weiterlesen:

 

Il Cinema Ritrovato in Bologna 2008.
Eine Erklärung des berühmten Kuleschow-Effektes, der die Sinnbildung durch das Aneinanderfügen von Bildern nachwies, d.h. das Grundprinzip der Montage.
Ein kurzer Text über Unterwelt von Kristin Thompson.

Octopus und Marlene Dietrich – Il Cinema Ritrovato in Bologna

Cinema Ritrovato BolognaDie Blogpause ist vorbei. Nach einer Woche Internetabsenz und rund 20 auf dem Filmfestival Il Cinema Ritrovato in Bologna gesehenen Filmen meldet sich the gaffer zurück, wie man so sagt.

Bei steten 35 Grad ohne auch nur einen Hauch eines erfrischenden Lüftchens liegt die Flucht in den kühlen Kinosaal nicht gerade fern. Hinsichtlich des Klimas erscheint Bologna daher als idealer Ort, einen Filmmarathon zu präsentieren.

Da beginnt der Tag um neun mit einer Vorstellung im Cinema Arlecchino, schaut man etwa einen CinemaScope-Film, und endet gegen Mitternacht, wenn die cinephilen Massen nach dem Open-Air-Kino auf der Piazza Maggiore in alle Richtungen der Stadt ausströhmen, über die grandiose Effizienz Hitchock’scher Inszenierung und unbequeme Plastikstühle sinnierend.

Das Cinema Ritrovato ist dem üblichen Festivalzirkus dadurch enthoben, dass es sich um die Bewahrung des Filmerbes dreht und ganz ohne Premierenfeiern, Blitzlichtgewitter und vergoldete Bären und Palmen auskommt. Vielleicht sieht man hier nicht die angesagtesten Starlets. Dafür aber feiert das Festival die tatsächlich legendären Stars der Vergangenheit und die Künstler hinter der Kamera.

So erwies sich das “wiedergefundene Kino”, das dieses Jahr vom 28. Juni bis zum 5. Juli im italienischen Bologna stattfand, wirklich als Entdeckung.

Die restaurierte Fassung von Max Ophüls letztem Film, Lola Montès, war in seiner ganzen opulenten Schönheit auf der Piazza zu sehen gewesen. Wenig später lief am selben Ort die selten gesehene Stummfilmfassung von Alfred Hitchocks Blackmail, musikalisch begleitet von einem Orchester.

Cinema Ritrovato Bologna

Verschiedene thematisch zusammen hängende Reihen durchzogen die Festivaltage. Josef von Sternberg wurde mit einer Retrospektive geehrt, die seine Schaffensperiode zwischen seinem ersten Film und seiner letzten Zusammenarbeit mit Marlene Dietrich umfasste.

Sternbergs Stummfilme der 20er Jahre im direkten Vergleich mit seinen Dietrich-Filmen zu betrachten war eines der Highlights des Festivals, zeigte sich doch seine formale Finesse im Umgang mit Licht und Dekor schon in frühen Werken wie Underworld. Ebenso konnte man von Film zu Film den durch den Regisseur forcierten Wandel der Dietrich zur Stilikone und Diva nachvollziehen.

Die Möglichkeit, die Entwicklung eines Künstlers über Jahrzehnte hinweg in kürzester Zeit zu beobachten, bot auch die Werkschau des Vaters des russischen Kinos, Lew Kuleschow, die besonders durch dessen offenkundige Vorliebe für das amerikanische Unterhaltungkino auffiel. Nicht gerade selbstverständlich für einen Regisseur, der nach der Oktoberrevolution Karriere gemacht hatte.

Filmfestival Bologna

Publikumslieblinge waren sicherlich die Warner-Retrospektive der Dreißiger Jahre, die regelmäßig zur Sitzplatznot im Lumiére 2 führten und die fünfte Auflage der oben erwähnten CinemaScope-Filme.

Das Arlecchino, das seinerzeit extra für das neue Breitwandformat gebaut worden war, bot eine ungemein bequeme Atmosphäre für die Filme von Anthony Mann, Budd Boetticher und John Sturges.

Das Gefühl, in der dritten Reihe von vorn in den weichen, gelben Sesseln des dunklen Saals zu versinken und die in satte Farben getauchten Abenteuer von Gary Cooper oder Spencer Tracy zu bestaunen, ist ganz einfach durch kein Multiplex, keine Lasershow und auch kein IMAX-Kino dieser Welt ersetzbar.

Diese Liebe zum Film vereint die Mischung aus Cineasten, Einheimischen und Filmwissenschaftlern, die sich jedes Jahr in Bologna zusammenfindet. Hier genießt jeder das seltene Erlebnis, einen Stummfilm Chaplins live auf dem Klavier begleitet zu sehen und zu hören. Ob man nun mit seinen Nudeln und der Pizza auf den Stühlen der Piazza Platz nimmt oder auf deren warmen, ebenso unbequemen Steinboden.

Da war es auch dieses Jahr nur ein kleines Übel, wenn man zur Mittagszeit ins Hotel rennen musste, um das vom Schweiß durchweichte T-Shirt zu wechseln oder der Sitznachbar im Cinema Lumiére 1 in variierenden Lautstärken vor sich hin schnarchte.

Die Pausen, die nicht mit der Joggingtour zum Kleidungswechsel verbracht wurden, widmeten sich den üblichen Aufputschmitteln, vorrangig dem italienischen Espresso, der hier auf dem Platz vor der Cineteca schon mal in den Rachen gewuchtet wurde wie der Whiskey am Tresen des Saloons.

Bis auf den ein oder anderen exotischen Snack blieb da kaum Zeit zur Nahrungsaufnahme, schließlich ging’s sofort in den nächsten Film, z.B. aus der Reihe der Stummfilme aus dem Jahr 1908.

Fiel man endlich nachts müde aufs Bett des Hotelzimmers, wohlgemerkt nach dem vierten Film, dem dritten Espresso und der x-ten Dusche des Tages, dann begleiteten einen die Beine Marlene Dietrichs als sie Gary Cooper in die Wüste Marokkos folgt oder die auf den dünnen Seilen des Zirkus’ balancierende Lola Montès in den Schlaf. Oder aber der Cowboy Jeddy, der in voller Montur durch Moskaus verschneite Straßen rennt. Das gibt’s eben nur im Kino.


Das waren die ersten Eindrücke vom Festival.

 

Näheres zu allen in Bologna gesehenen Filmen wird hier in den nächsten Tagen zu lesen sein.