Schwarz-Weiß können die Bilder kaum genannt werden. Schwarz-Dunkelgrau trifft es eher. Selbst wenn in Red Angel die Sonne scheint, ist die Leinwand wie von Schmutzrückständen bedeckt. Lediglich die weißen Verbände oder Ärztekittel leuchten aus der Düsternis der Bilder. Der Blick auf den japanisch-chinesischen Krieg ist der Blick in einen Abgrund, in einen dunklen, enigmatischen Krater. Mit stöhnenden und schreienden Körpern überfüllte Krankhäuser und Lazarette bilden den ständigen Hintergrund des Geschehens. Das schummrige Licht gibt einem gerade so viel zu erkennen, dass dieses verworrene, undurchdringliche Regen der Glieder von einem Loch voller Insekten unterschieden werden kann. Der siebente Kreis der Hölle scheint um die Ecke zu liegen.
Krankenschwester Nishi Sakura (Wakao Ayako) wird 1939 an diesen verdammten Platz versetzt. Oder vielmehr sind es zwei Plätze: das Armeekrankenhaus weit hinter der Front und ein Feldlazarett direkt hinter der Linie. Während das Grauen in Ersterem eher dezent und unterschwellig daherkommt, ist es im Zweiten unerträglich in seiner Deutlichkeit. Regisseur Masumura Yasuz? lässt seine Hauptdarstellerin zwischen diesen beiden Polen pendeln. Immer wieder erhält sie die Möglichkeit, sich von der Front zu erholen. Immer wieder sucht sie nach Wegen, das Erlebte geistig gesund zu überstehen. Einen Sinn scheint sie nur in hingebungsvoller, selbstverleugnender Hilfe zu finden. Sie wird zum titelgebenden roten Engel. (Akai tenshi, so der Titel im Original, wurde im Österreichischen Filmmuseum als „Der rote Engel“ gezeigt, aber da es bisher zu keiner deutschen Veröffentlichung kam, verwende ich weiter den englischen Titel „Red Angel“)
Für die Soldaten im Krankenhaus ist sie nur ein Stück Fleisch, ein Objekt für ihren irren, verzweifelten Eros. Die Berichte von chronischen Dauererektionen in den Lazaretten der Weltkriege macht Masumura zur fürchterlichen Realität. Gleich zu Beginn wird Nishi vergewaltigt … ohne Konsequenzen für den Täter. Womit soll dieser auch noch bestraft werden? Doch sie akzeptiert die Umstände. Durch den Schmerz der Anderen verliert sie den Blick auf sich selbst. Oder kann sie ihre Identität nur durch Helfen und Vergeben retten, durch das Hintenanstellen der eigenen Empfindungen? Jedenfalls versucht sie diesen erbärmlichen Teufeln etwas Erlösung zu verschaffen, physisch und metaphysisch. Aber retten kann sie niemanden, die einen sterben, die anderen dürfen nicht nach Hause zurück, weil Krüppel, die Kriegsmoral untergraben würden. Die Welt (des Krieges) widersteht Nishis Rettungsversuchen. Die Welt (des Krieges) schaut auf alle herab und zerdrückt sie wie Insekten zwischen den Fingern.
Doch das wahre Grauen wartet an der Front. Dort liegen Unmengen an Verwundeten einfach rum, Unmengen werden unaufhörlich angeliefert und da keine Zeit und keine Medizin vorhanden sind, wird schlicht und einfach amputiert. Unaufhörlich amputiert. Die Gliedermasen stapeln sich schon in überfüllten Fässern. Doch Masumura braucht keine Bilder, um den Schrecken einzufangen. Sein Sounddesigner Tobita Kimio unterlegt alles mit markerschütternden Stöhnen, Schreien, Ächzen, Schluchzen, Knacken und Sägen. Das, was die elegisch dahin schwelgenden Bilder an Explizität doch noch vermeiden, das bringt der Ton um so deutlicher ins Bewusstsein. Statt zu zeigen, lässt Red Angel die Phantasie walten. Und das nicht zu knapp.
Entmenschlichter und aufreibender wurde Krieg vielleicht nie dargestellt. Das Würgen der Cholera-Infizierten, die Schreie des unfassbaren Schmerzes, die Verrohung des Menschen, das magische Schwarz des Blutes (wie lächerlich würde rot an dieser Stelle wirken). Und trotzdem ist Red Angel wunderschön. Masumura erhebt nie den Finger. Er zeigt das persönliche Leiden Nishi Sakuras in einem enigmatischen Kunstwerk, das alle Grenzen des gezeigten hinter sich lässt. Es geht nicht darum zu zeigen, das Krieg fürchterlich ist. Es wird nach Erklärungen gesucht, wie Menschen unter solchen Bedingungen existieren können, wie sie weiterhin Glück empfinden können, wie sie vor der sie umgebenden Hölle bestehen können. Er zeigt eine Frau auf der Suche nach Rettung … für sich und alle anderen. Eine Hölle, in der sich Nishi in einen morphiumsüchtigen Arzt verliebt. Einen Arzt, der ihr Hoffnung, verzweifelte, unerreichbare Hoffnung schenkt. Wenn sie ihn trifft ist die Szenerie von getragener barocker Musik untermalt. In dieser Musik liegt alles, was den Film ausmacht: Schönheit, Geborgenheit, Resignation und Tod.