„Die Welt ist schlecht, das Leben schön, was ist daran nicht zu verstehn?“ (Der Plan)
(Halb)nackte Soldaten werden durch die russische Steppe gejagt. Schießwütige Soldaten sind hinter ihnen her. Eigentlich hat Csillagosok, katonák (im deutschen Sprachraum originalgetreu als Sterne an den Mützen veröffentlicht, etwas freier übersetzt als „The Red and the White“ im englischen) kaum mehr an Handlung zu bieten. Weißgardisten nehmen irgendwo in der Nähe der Wolga im Jahr 1919 Rotgardisten gefangen und weil eine einfache Exekution nicht genug Lust an der eigenen Macht verspricht, wird den Gefangenen befohlen, sich auszuziehen und zu fliehen. Vorher wird ihnen aber noch mitgeteilt, dass in 15 Minuten die Jagd auf sie beginnt. Nicht dass die Rotgardisten anders handeln würden, sobald sie die Oberhand gewännen, denn nicht Hass oder (konter-)revolutionärer Eifer treibt den allgemeinen Sadismus an, sondern schlicht und einfach die Möglichkeit, die Macht es tun zu können. So beginnt die Jagd in einer verfallenen Palastanlage, die mehr Mythos als Realität ist. Eine verlassene Anlage voller griechisch-römisch anmutender Säulen, mit einer erhabenen russischen Kirche und anderen Bauten, welche Bilder oder nur das Gefühl einer längst vergangene Epoche voll Weisheit, Liebe und Gerechtigkeit im Zuschauer aufkeimen lässt, als ob es eine solche je gegeben hätte. Durch diese Abbildungen von vergangener Erhabenheit laufen Menschen, welche den profansten ihrer Gefühle folgen. Sinnlos demütigen sie sich und ihr Umfeld.
Jancsó Miklós verzichtet bei der Darstellung dieses Reigens fast komplett auf eine Diegese, eine mehr oder weniger abgeschlossene Erzählung. Ständig wechselnde Darsteller laufen durch die unwirklichen Bilder. Je nach Situation versuchen sie den Qualen zu entgehen, deren Hauch sie schon auf sich spüren, oder sie sind es, die ihr Gegenüber malträtieren. Ihr Handeln wird dabei nicht von den Uniformen, in denen sie stecken, bestimmt, sondern durch Willkür. Folglich bleibt unberechenbar, was als Nächstes geschehen wird. Werden die Gefangenen skrupellos getötet, gejagt oder freigelassen oder werden sie einfach nur zu einem Walzertanz in den Wald mitgenommen? Die quasi Auftragsarbeit zum 50jährigen Jubiläum der Oktoberrevolution zeigt keine guten Kommunisten, welche den Weißen menschlich überlegen sind (auch wenn sie tendenziell etwas besser davon kommen). Jancsó verzichtet auf Propaganda. Die Soldaten sind beiderseits verabscheuenswürdig und mitleiderregend. Er wandelt den russischen Bürgerkrieg in ein absurdes Trauerspiel… über den Krieg, die Menschen und die Willkür der Macht. Er entwirft ein absurdes Puzzle, das keinen Sinn ergibt und genau darin seinen Sinn findet. Denn der Fluchtpunkt der Menschen verliert sich im nirgendwo. Die Soldaten flüchten, doch das Ziel der Flucht zerrinnt ihnen immer wieder zwischen den Fingern. Denn egal wohin sie fliehen, nirgends finden sie Ruhe. Folglich ist Sterne an den Mützen nicht nur ein Film gegen den Krieg. Er handelt von Menschen auf der Suche nach Frieden und Freiheit. Doch überall finden sie nur Gewalt und Unterdrückung… entweder als Opfer oder als Täter, denn sobald sie die Macht haben, sind sie nur auf Vergeltung und Machtausübung aus. Die Perspektive des Films wird somit umso hoffnungsloser, denn er verortet das Problem nicht im Krieg, sondern im Menschen.
Doch so hoffnungslos, wie der Blick auf die Handlungen vermuten lässt, ist Sterne an den Mützen nicht, schließlich erzählen die Bilder eine andere Geschichte. Eine Geschichte angefüllt mit Schönheit und voller Geheimnisse. Vor allem die langen, ballettartigen Einstellungen – hier taucht Jancsós Markenzeichen das erste Mal auf – sind das komplette Gegenteil von Realismus. Die dargestellte Welt wird durch diesen sich nicht abwendenden Blick nicht fester, sondern rätselhafter. Schnitte haben meist den Sinn, die Szenerie auszuleuchten… Fragen über das Umfeld erst gar nicht aufkommen zu lassen. Doch statt zu zeigen, wer den Menschen im Bild solche Angst einjagt, auf wen hinter oder neben der Kamera sie schauen, wer dort spricht, was dort passiert, hält die Kamera auf das, was sie uns sehen lassen will. Der Rest bleibt der Phantasie überlassen. Auf diese Weise entsteht nicht nur eine eigenwillige Art von Spannung, sondern auch eine mystische Aufladung der Bilder, welche mehr denn je nicht bleiben können, was sie sind, sondern Rätsel werden, welche durch unsere Vorstellungen gefüllt werden.
Eingeklammert von zwei Trauer erfüllten Bildern über das Schicksal der Menschen (in dem Film) zeigt Jancsó uns gleichmütig eine wunderschöne Welt, die keinen Sinn ergibt … außer wir geben ihr einen. Am originellsten geschieht dies in der Mitte des Films in einem dichten Birkenwald. Wie ein Gefängnis wirkt er, wie eine riesige, nicht enden wollende Ansammlung von Gitterstäben, welche die Menschen gefangen hält. Doch dies wirkt nicht bedrückend, sondern leicht und voll süßer Zärtlichkeit. So zwingen die Weißgardisten einige Krankenschwestern in diesem Wald zu einem Tanz… einen Tanz der Pflegerinnen, welchen sie sich nur anschauen. Am Ende dürfen die Damen gehen und verschwinden genauso in diesem mythischen Gefängnis der Natur, wie der Offizier, welcher es anordnete. Doch was dieser Tanz sollte, dass bleibt sein Geheimnis. Er nimmt es mit in dieses luftige Verlies seiner Seele, welches wir vor uns sehen. Was sich darin befindet, können wir nur erahnen.