#245 – Napoleon von Ridley Scott

Martin Scorsese ist nicht der einzige Filmemacher, der bei Apple TV+ ein Historienepos in epischer Länge verfilmt hat. Ridley Scott reist aber noch ein bisschen weiter in der Geschichte zurück und landet im Jahr 1793, in dem Film-Napoleon der Hinrichtung von Marie Antoinette beiwohnt. Wie Scott und Autor David Scarpa danach den Privatmenschen und Feldherrn vereinen (oder eben nicht), diskutieren wir in der neuen Folge. Dabei überlegen wir, in welcher Phase seiner Karriere sich Scott gerade befindet – und was uns Napoleon über den Zustand seiner Filmemacherei verrät.

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#181 – House of Gucci von Ridley Scott

Nach The Last Duel legt Regisseur Ridley Scott seinen zweiten Film des Jahres vor, die True Crime-Story House of Gucci. Darin heiratet Lady Gagas Patrizia in die prestigeträchtige Mode-Dynastie ein und drängt, ehrgeizig wie sie ist, den introvertierten Gucci-Sohn Maurizio (Adam Driver), auf sein Erbe zu bestehen. Warum House of Gucci Ridley Scotts Der Pate ist und ob Jared Letos Overacting-Eskalation dem Film schadet oder ihn stärkt, erklären wir in dieser Folge. Viel Spaß!

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Wollmilchcast #49 – Die Filme von Tony Scott

Tony Scott: Man on Fire

Vor sechs Jahren ist Tony Scott gestorben. Aus diesem Anlass blicken wir im neuen Wollmilchcast zurück auf die Filmografie des Regisseurs. 1983 gab der gelernte Maler sein Langfilmdebüt mit The Hunger und sollte in den kommenden Jahrzehnten einige der prägenden Blockbuster und auch Kultfilme seiner Zeit drehen, von Top Gun bis hin zu True Romance. Im Podcast sprechen Matthias von Das Filmfeuilleton und ich über die vielen, sich überschneidenden Phasen der Karriere des Tony Scott, diskutieren, wann unser “Lieblings-Scott” zum Vorschein kommt (erst nach True Romance!) und fragen uns, was von dem Filmemacher hinsichtlich seines Einflusses geblieben ist, auch in den Filmen seines Bruders Ridley. Viel Spaß beim Zuhören!
Shownotes:

Hört euch den Wollmilchcast an:

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Der Wollmilchcast bei Twitter: @Beeeblebrox + @gafferlein.
Der Wollmilchcast als Feed und bei iTunes.


Intro und Outro: Kai Engel – Slum Canto (aus dem Album Sustains)
Nutzung im Rahmen der CC BY 4.0-Lizenz. (Homepage des Künstlers)
Copyright Titelbild: Paramount

Schlamm und Zufall – Prometheus (USA 2012)

Vor 7 Jahren war es Königreich der Himmel, welcher sich nicht entscheiden konnte. Immer wieder wurden Heldentum und Heldenverehrung als protofaschistische Sackgassen deklariert. Immer wieder endete alles in großangelegten Feiern von Heldenmut und Führerpersönlichkeiten. So stellt er sich mehr als einmal selbst das Bein und landete schlussendlich vor der Wand. Prometheus kann sich anscheinend ebenfalls nicht entscheiden. Doch da wo es Königreich der Himmel zum Verhängnis wird, öffnet sich hier der Film und begeht erst gar nicht den Versuch, den Zuschauer belehren zu wollen. In Zeiten, in denen sich Busse mit Botschaften über die Existenz und Nichtexistenz Gottes verfolgen, sucht Prometheus nicht die Konfrontation, sondern taumelt unentschlossen und suchend zwischen den Positionen hin und her.

Damit ist die Katze aus dem Sack. Wenn sich das Raumschiff Prometheus in die Weiten des Weltraums begibt, befindet es sich auf der Suche nach dem Ursprung der Menschheit und deren Schöpfer. Die Weyland Corporation („die Firma“) schickt es los, um Archäologin Elizabeth Shaw (Noomi Rapace) auf der Suche nach Schöpferwesen zu unterstützen, die sie auf Sternenkarten untergegangener Kulturen abgebildet gefunden hat. Doch anders als Shaw, die Gott und Sinn sucht, will der uralte Vorstand der Firma, Peter Weyland (Guy Pearce), einfach nur den Tod überwinden. Ridley Scott ist dabei wenig an der Vorgeschichte von Alien interessiert oder an der Richtigstellung der Uminterpretationen dieses unheimlichen Wesens aus dem All in den folgenden Teilen. Er begibt sich stattdessen auf einen holprigen Parallelpfad zu 2001 – Odyssee im Weltall, der Klaustrophobie und Sex (Alien) beziehungsweise ausufernde Ästhetik und Psychedelik (2001) gegen Epik, Thrill und Abenteuer eintauscht. Doch da wo Kubrick die Lücke zwischen Tier, Mensch und Maschine mit einem schwarzen Quader füllt, da findet Scott den Ursprung des Lebens in schwarzem Schlamm. Schwarzem Schlamm, der in außerirdischen Tempeln aus Urnen tropft und wie konzentrierte Evolution wirkt. Er zerstört brutal und ist der Tod. Er dringt in einen ein, frisst einen auf und verändert die Zusammensetzung jedes Lebewesens bis am Ende etwas komplett anderes ausgespuckt wird. Er erschafft Neues, Erschreckendes und taucht die Furcht vor unaufhaltsamer Veränderung/Entwicklung in totale Düsternis.

Vor allem ist dieser Schlamm aber extrem eigenwillig. Die Crew der Prometheus ist auf der Suche nach Schöpfern mit einem Plan. Sie wollen Fragen stellen. Warum sind wir hier? Auf dem Planeten angekommen, den die Karte als Ziel angibt, entdecken sie einen Tempel, der sich in einer kaninchenbauartigen Anlage befindet. Sie finden aber keine höheren Wesen, zumindest keine lebenden. In den Gängen liegen höchstens Leichen. Und Hologramme der Vergangenheit zeigen der Mannschaft wie die außerirdischen Schöpfer vor etwas davonlaufen. Zunehmend soll ihnen klar werden, dass niemand den Schlamm kontrollieren kann. Wie die Schöpfer muss die Crew bald vor Wesen davonlaufen, die aus der Tiefe des Schlamms hervorkommen. Prometheus lässt einem alle Vorstellung von Planung wie Sand zwischen den Händen zerrinnen. Jeder ist dem Leben ausgesetzt und niemand kann es kontrollieren. Alles prallt aufeinander und nur der Stärkste überlebt. Auf dem Planeten findet sich kein Gott, sondern nur kondensierte, brutale Evolution.

Aber Gott ist eh nicht von dieser Welt, weshalb Elizabeth Shaw und der Zuschauer keine Antworten bekommen, sondern nur Fragen. Was größenteils aber nicht am Konzept zu liegen scheint, sondern an der Unentschlossenheit von Drehbuch und Regie. Wie so oft in den letzten Jahren gibt Scott den epochalen Geschichtenerzähler, aber verhaspelt sich immer wieder in seinen Ansprüchen und seiner, wie es manchmal scheint, Angst auf etwas festgenagelt zu werden. Teilweise wirkt das Drehbuch von John Spaihts und Damon Lindelof auch extrem hölzern, wenn in schaurig offensichtlichen Dialogen* der Zuschauer für religiöse Themen sensibilisiert werden soll. Aber sobald Ridley Scott und Kameramann Dariusz Wolski die Bilder sprechen lassen und einfach die Handlung vorantreiben, dann ist Prometheus nicht nur interessant, sondern auch ein mitreißender Sci-Fi-Thriller, der das Beantworten aller aufgeworfenen Fragen aus der Hand verliert/gibt.

Gott und Evolution sind aber nicht die einzigen, die Schrecken und Probleme verbreiten werden. Viel ruhiger, subtiler und effektiver ist da die Figur des Androiden David (Michael Fassbender). Im Gegensatz zu Ash wissen diesmal alle, dass er eine Maschine ist und behandeln ihn dementsprechend. Er möchte sich den Menschen anpassen, erntet dafür aber nur Hohn und Verachtung. Er wird zunehmend grimmiger unter seiner ausdruckslosen Fassade. Jedenfalls lassen das seine Handlungen und Anspielungen vermuten, da nie mit Sicherheit geklärt wird, was in ihm vorgeht. Wie HAL 9000 deutet er an, dass es kein Selbstbewusstsein ohne Gefühle geben kann und dass es aber umso verstörender wird, wenn eine scheinbar gefühllose Maschine einem mit Sarkasmus, Verbitterung und Verschlagenheit begegnet. Er ist es, der zwischen all dem wirren Gore, fahrigen Anspruch und unausgegorenen Suspense den bedrohlichen Ruhepol bildet. Er steht vielleicht nicht im Zentrum der Geschichte, aber innerhalb der ganzen genre-inhärenten Konflikte zwischen den Teammitgliedern der Prometheus und dem ganzen metaphysischen Klimbim entwickelt er eine sachte Gravitation, welche die losen Enden zusammenhält.

*Schrecklich offensichtliche Dialoge sind natürlich auch oft einfach nur realistische Dialoge.

Kontrapunkt: Berlinale 2011

Vom 17. bis 20. Februar weilte ich in Berlin zum größten Publikums-Filmfestival der Welt. Neben den folgenden Kritiken sei Folgendes resümierend notiert:
1.) „Berlinale Shorts“ sind zu 75% gewöhnungsbedürftig, was die Filmauswahl angeht.
2.) Filme nur aufgrund ihres Handlungsortes (Berlin) aufzuführen, ist kein Argument.
3.) Etwas weniger International- und mehr Glamour-Politik würde bei der Filmauswahl nicht schaden.

Rundskop (B 2011)
Bullhead
, Sektion: Panorama

Von einer nichtsnutzigen, ihre Kinder verziehenden Alkoholikerfamilie, die in „Die Beschissenheit der Dinge“ nur Unsinn im Kopf hat, über eine Band in „Ex Drummer“, dessen Mitglieder kranke, abgestumpfte Familienmitglieder daheim haben und perverse sexuelle Veranlagungen aufweisen bis hin zum am Asperger-Syndrom leidenden Online-Rollenspieler in „Ben X“: Menschliche Abgründe und schwelende Ängste sind im belgischen Kino jüngeren Datums keine Seltenheit. So auch nicht in „Rundskop“, hinter dessen spannender Thrillerfassade sich ein tiefgreifendes Psychodrama verbirgt. Viehzüchter Jacky (Matthias Schoenartz) hat nach einer schicksalsträchtigen Auseinandersetzung in seiner Kindheit (welch verstörende Sequenz!) seiner Männlichkeit und mit Hormonen zu kämpfen, die er nicht nur seinen Tieren verabreicht. Mit dem eigenen zum Scheitern verurteilten sexuellen Begehren und den Machenschaften der Hormonmafia konfrontiert, gerät er in einen tödlichen Strudel aus Fleisch, Gewalt und Tod. Einige einen Kult an der Körperlichkeit abfeiernde Nahaufnahmen (auch in Zeitlupe) atmen in dem etwas inhaltsarmen Langfilmdebüt von Videoclip-Regisseur Michael R. Roskam eine archaische visuelle Kraft, welche ebenso wie die schwermütige Streichermusik meist das düstere, jederzeit entfesselbare, aggressive Temperament der Hauptfigur greifbar macht, ab und an jedoch etwas zu bedeutungsschwanger daherkommt. Ein zum Teil verstörend gewalttätiges Spiegelbild männlicher Urgewalt. Intensiv spürbares, physisches Kino in Reinkultur!

Lipstikka (IL/GB 2010)
Odem
, Sektion: Wettbewerb

Dass es nicht unbedingt einen Karriereexodus darstellen muss, wenn man in seiner Jugend in einer peinlichen Erotikklamauk-Reihe schauspielerisch begonnen hat, beweisen Heiner Lauterbach mit diversen „Schulmädchen-Report“-Auftritten und Jonathan Sagall, der in allen acht „Eis am Stiel“-Filmen mitwirkte. In seinem Langfilmdebüt „Kesher Ir“ und auch mit „Lipstikka“ blieb er dem Sujet zwischenmenschlicher Sexualbeziehungen zwar treu – jedoch stets auf dem Niveau einer gewichtigen Auseinandersetzung. Mit geschickt eingesetzten, zahlreichen Rückblenden erzählt er hier die Geschichte zweier palästinensischer Frauen, die in Ramallah zusammen zur Schule gehen, sich anfreunden, ineinander verlieben, sich trennen und schließlich Jahre später in London wieder aufeinander treffen. Doch während die ehemals schüchterne Lara (Clara Khoury) in einer scheinbar glücklichen, aber von Körperlichkeiten freien Ehe liebt, sucht die freimütige Inam (Nataly Attiya) immer noch nach Halt und Sicherheit im Leben. Prägend für beide ist die abweichende Erinnerung an eine Begebenheit in Jerusalem mit zwei israelischen Soldaten während der ersten Intifada. Subtil und leise, aber dennoch aufwühlend und verstörend fernab jeglicher Romantik erzählt Sagall eine traumatische Geschichte, die die Leben der beiden Frauen auf verschiedene Arten zerstörte. Ein schweres Thema und ein Film, der in Israel hitzige Debatten auslöste, aber in ausgeblichenen Bildern unprätentiös umgesetzt.

Life in a Day (USA 2011)
Das Leben in einem Tag
, Sektion: Panorama

Ca. 4600 Stunden von Privatpersonen eingesandtes, selbstgedrehtes Videomaterial wurde für dieses filmische Experiment gesichtet, knapp 90 Minuten davon schafften es in diese Aneinanderreihung kurzer Alltagepisoden verschiedener Menschen am 24. Juli 2010. Ist Regisseur Kevin Macdonald seit „The Last King of Scotland“ schon kein Unbekannter mehr, so sind es Produzent Ridley Scott und die Internetseite YouTube, die als Förderer auftritt, noch viel weniger. Umso weniger verwundert es, dass diese Homevideo-Kompilation nicht nur durch die Einsendungen, sondern auch von außen strukturiert wurde. Professionelle Kamerateams wurden für Zeitraffer von Naturaufnahmen und Statements an die entlegensten und internetfreiesten Winkel der Erde geschickt, drei zu beantwortende Fragen strukturieren den mal thematisch, mal assoziativ montierten Film. Dass suggestive pathetische Musik insbesondere im letzten Teil („Wovor hast du Angst?“) besonders auffällig eingesetzt wird und somit den ohnehin beklemmenden Handyvideos der letztjährigen Loveparade-Katastrophe eine fröstelnd emotionale Dimension hinzufügt, ist dabei jedoch nach dem vorangegangenen Wohlfühlschnipseln ein Glücksfall, was die Bandbreite der Emotionen angeht. Am Ende steht die Erkenntnis einer jungen Frau, dass sich keiner für sie interessiert und dieser Tag kein besonderer war. Diese trotz allem gewagte Dokumentation, die Homevideos und professionelle Aufnahmen nebst Musikuntermalung zu einem authentischen Ganzen formt, ist ein beeindruckendes Web-2.0-Filmdokument.

Darüber hinaus gesehen – kurz notiert:

Bombay Beach (Panorama): Zum Teil in erfrischend-frecher Videoclip-Ästhetik fotografierte Dokumentation über eine Familie an einen aussterbenden, surrealen Ort: einem Wüstensee in Kalifornien. Nicht zuletzt dank der Musik von Bob Dylan einfühlsam und nah dran an den Menschen.
The Forgiveness of Blood (Wettbewerb): Subtiles albanisches Familiendrama um die Wahrung des Kanun (Gewohnheitsrecht) durch einen Jungen, nachdem sein Onkel einen verfeindeten Nachbarn getötet hat. Tradition und Moderne, Eingesperrtsein und Freiheit werden im Verhalten der Kindergeneration dabei unprätentiös gegenübergestellt und kulminieren in einem Ende bar jeder Klischees.
Unknown Identity (Wettbewerb – außer Konkurrenz): Ein Agent mit Gedächtnisverlust (Liam Neeson) wird von den eigenen Reihen durch die Straßen Berlins gehetzt. Die lokale Situierung dieses zutiefst durchschnittlichen Agententhrillers und ein paar Stars, die mitspielen, waren wohl auch die ausschlaggebenden Kriterien dafür, dass das mit filmischen Stolperdrähten gestrafte Werk – Konstruiertheiten en masse; blöde Dialoge, insbesondere von Ex-Stasi-Mann Bruno Ganz – überhaupt laufen durfte.
Coriolanus (Wettbewerb): Ebenso ambitionierte wie durch ausladend lange Dialoge im Theaterstil anstrengende und enorm an dem zuvor durch Handkamera suggeriertem Tempo einbüßende Shakespeare-Verfilmung. Ralph Fiennes kann sein ganzes Können ausspielen, doch hätte er besser daran getan, den Stoff nicht ins Heute zu übertragen, was u. a. angesichts eines moderneren Demokratieverständnisses adäquat einfach nicht so recht funktionieren will.