Seit dem März 2011 gibt es die Aktion deutscher Film, dem geneigten Leser auch als DÖS bekannt. Gestartet wurde sie durch den intergalaktischen Affenmann. Seit dem März 2011 soll dem deutschsprachigen Film mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Zu Stiefmütterlich werde er behandelt. Seit März 2011 frage ich mich, was den deutschen Film ausmacht. Und was den österreichischen. Und was weiß ich überhaupt über den schweizerischen. Und vor allen Dingen, ob es überhaupt nötig ist, sich darüber Gedanken zu machen.
Einer meiner Freunde hasst deutsche Filme. Er hat mir einmal erzählt, dass diese schon am Aussehen erkannt werden können. Die Hässlichkeit der Bilder von Material und Farbgebung würden ihrer Deutschheit preisgeben. Die Selbstdenunziation der Schreckgestalt. Doch die Frage bleibt, was war zuerst da. Die Hässlichkeit oder der Hass. Ich für meinen Teil wusste damals, was er meinte. Aber ich bin mir sicher, dass der französische, der japanische, der brasilianische oder der US-amerikanische Film auch anders wirken würden, alltäglicher und beschämender, wenn er in Form von billigen Fernsehproduktionen uns ein Leben lang umgeben hätte. Wenn er nicht fremd wär, sondern vertraut. Wenn der kalte, erdrückende Schatten der Minderwertigkeit, der von Hollywood ausgestrahlt wird, auf ihm zu spüren wäre.
Eine Freundin von mir sagte, dass sie wohl keine 10 Filme für eine Top Ten zusammenbekommen würde. Auch sie verstand ich, aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Filme fallen mir ein. Der deutsche Film braucht vielleicht nicht mehr Aufmerksamkeit, sondern mehr Bewusstheit dafür, dass dieses vertraute Etwas nicht nur aus dem ganzen Mist besteht, der uns umgibt, den es überall gibt, sondern dass er auch diese wunderbaren Filme hat, wie es sie nirgendwo anders gibt.
2006 kam ein Film in die Kinos, der da Pingpong hieß. Er war dezent, spielerisch und wunderschön … bis das Ende kam. Plötzlich packte der Film den Zuschauer am Kragen und drückte ihn mit der Nase voran in die Jauchegrübe der menschlichen Gefühle. Verflogen waren die Kunst der Andeutungen und die Leichtigkeit. Alles unter der dramatischsten aller Möglichkeiten schien zu klein, zu unbedeutend. Es war ein überzogener, unnötiger, abstoßender Schlag in die Nierengegend und ich dachte so bei mir, dass diese grobschlächtigen Deutschen es nie lernen werden, etwas Kleines, Zierliches erschaffen zu können. Natürlich stimmt das nicht, aber seien sie dafür gepriesen, dass sie beharrlich daran scheitern. Denn dem deutschen Filme ist eine Künstlichkeit zu eigen, wie sie niemand sonst hat. Es ist nicht die verspielte der Franzosen, die dezente oder exaltiert hysterische der Japaner oder die Künstlichkeit eines Vergnügungsparkes wie in Hollywood. Es ist eine derbe, mitweilen hysterische Künstlichkeit mit Hang zur großen Geste. Damit sind die deutschen Filme immer noch Brecht und dem Expressionismus verpflichtet, genau wie Hegel und dem Militarismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kurz: dem dumpfen, individualisierenden Morast der Geschichte.
Problemtisch bleibt für mich aber, dass DÖS in meiner Wahrnehmung im Grunde nur ein dreiviertel D auszumachen scheint. Österreich, mit seinem süßlichen Hang zur Morbidität, ist mir nur über Haneke, Seidl und ein paar alte Filme aus der Standard-Edition ein Begriff. Viel zu wenig weiß ich darüber. Noch düsterer sieht es mit der Schweiz aus, da kenne ich nur Daniel Schmid vom Namen her. Sonst herrscht kaum voreingenommenes Unwissen. Doch der schwärzeste Fleck ist ein gewollter. Die DDR und ihre Filme haben bei mir lange nur Scham hervorgerufen und erst Der geteilte Himmel machte mir deutlich, wie sehr ich mich für diese Filme schäme, für ihre erzwungene Verbohrtheit, ihre möglichen Rückschlüsse auf mich und wie unnötig dieses Schämen doch ist. Nie war mir Bourdieus Aussage: „[…] so stark zwingt sich noch den Angehörigen der unteren Klassen und deren Wortführern das Gefühl kultureller Unwürdigkeit auf.“, verständlicher. Und daran erinnert mich diese Aktion immer wieder: Unwissen, sinnlose Scham und den Willen beides abzuschütteln. Auf! Auf!
Und nun streng unchronologisch … die Perlen:
10. Pingpong (D 2006)
Ich konnte ihn bis zum Schreiben des oberen Textes nicht leiden. Jetzt habe ich mich aber selbst überzeugt, dass ich von ihm nicht los komme und dass alles, was ich zu ihm zu sagen habe, sich eigentlich ziemlich gut anhört. Hab ihn nie wieder gesehen, aber hiermit habe er einen Platz.
9. Gegen die Wand (D/TR 2004)
DAS Melodrama des neuen Jahrhunderts. Etwas sensibel inszeniert und gespielt (bis auf Sibel Kekilli, die sehr hölzern agiert), aber trotzdem mit der Schlagkraft eines Holzhammers. Der süßliche, nie hoffnungslose Fatalismus lässt eine energische Liebe Akins zu seinen Figuren und dem Leben mit all seinen Schmerzen spüren. Außerdem hat ein Film mit einem Lied der Birthday Party immer schon gewonnen.
8. Aguirre, der Zorn Gottes (BRD 1972)
Besessenheit soweit das Auge reicht. Der Regisseur, der Hauptdarsteller, die Hauptfigur, die Affen, alle werden von ihrem unstillbaren Durst nach Bedeutung angetrieben. Die manische Qualität des Films ist beängstigend, breitet sie sich doch epidemisch aus… aus den Augen Kinskis, aus den Bildern und aus dem Soundtrack von Popol Vuh flirrt sie und lockt den Zuschauer in ihr irrationales Reich.
7. Vampyr (D 1932)
Im Grunde ist es kein deutscher Film. Auch kein dänischer. Was Dreyer gedreht hat, ist aus Zeit und Raum gefallen. Es wirkt alt, älter als jeder Stummfilm, aus grauer Vorzeit scheint es zu kommen. Jegliche Regeln des guten Filmmachens über den Haufen rennend, wird die Welt aus den Angeln gehoben. Die Nacht ist taghell und trotzdem nicht die schlechteste amerikanische Nacht der Filmgeschichte. Schatten wandern eigenständig und Bilder laufen rückwärts, doch es sind nicht nur optische Spielereien. Die Realität ist weit entfernt. Im Gegensatz zu Lang, Hitchcock oder Clair experimentiert Dreyer auch nicht mit den neuen Möglichkeiten des Tons, sondern scheint ihn verstecken zu wollen. War La passion de jean d’arc ein stummer Schrei aus dem Mittelalter, ist Vampyr ein erstickter Gesang aus einer Zwischenwelt.
6. Rocker (BRD 1972)
Ungestüm, roh und meilenweit entfernt von lupenreinen Geschichtenerzählen oder hochwertigem Schauspiel. Alles ist unfertig und geradezu lächerlich, aber mit einer solchen Dringlichkeit ausgestattet, dass Perfektion oder Kunstfertigkeit nur gestört hätten. Blut, Schweiß und Dreck strömen förmlich von der Leinwand auf den Zuschauer nieder … beziehungsweise aus dem Fernsehschirm, denn dieser Film über Rocker, Zuhälter und das Verloren sein auf der Straße wurde vom ZDF produziert, diesen experimentierfreudigsten aller deutschen Sender.
5. Der Stand der Dinge (BRD/P/USA 1982)
Erst bleiben die Dinge stehen. Das Filmmaterial und Geld bleiben aus. Ein Filmteam ist zur Untätigkeit verdammt. Die äußere und innere Leere versuchen die Gefangenen mit prätentiösen Gesten aufzufüllen um über den Anschein von Bedeutsamkeit Bedeutung zu erlangen. Das alles wäre vielleicht einer der schlimmsten Werke, die Wim Wenders mit seinem Willen zur Kunst mit der Brechstange je geschaffen hätte, wenn das Ende nicht wäre. Dort geht es um den (Zu-)Stand der Dinge und was gemeinhin als Abrechnung mit Coppola gelesen wird, ist tatsächlich eine bitterböse, spöttische Abrechnung mit der Filmindustrie, dem Zuschauer und vor allem von Wenders‘ mit sich selbst… und dem davor Gesehenem. “Hollywood, Hollywood, never been a place where people had it so good.”
4. Solo Sunny (DDR 1980)
Deutschland in postapokalyptischer Zeit, den 80er Jahren. Sunny möchte schlafen mit wem sie möchte, leben wie sie möchte und als Sängerin respektiert werden. Mit fast schon Ozu-hafter Sensibilität fängt Konrad Wolf ein, wie sie auf eine unnachgiebige Wirklichkeit trifft, in der die Dinge nicht immer so laufen wie sie will… in der sie nicht nur mit ihrer Umwelt, sondern auch mit sich kämpfen muss… ohne dabei wehklagend zu werden, denn dafür hat Solo Sunny zu viel Witz. So erzählt einer, der da Benno Bohne heißt, zu Beginn einen Witz und das Setting ist klar. Nicht die vergilbten Tapeten aus den 70ern, der von allen Häusern bröckelnde Putz oder das bornierte Verhalten der Menschen gehen an die Nieren mit ihrem erdrückenden Mief, sondern dieser Witz von Benno Bohne und wie er von Konrad Wolf eingefangen wird. Alles was folgt ist nur Ausarbeitung… lockerleichte, lyrische Ausarbeitung.
3. Die Ehe der Maria Braun (BRD 1979)
Fassbinders Auftakt seiner BRD-Trilogie hat mir auf Jahre hinweg Fassbinder vergrätzt. Ich empfand ihn als langatmig, nichtssagend und in vielerlei Hinsicht übertrieben… das Sinnbild einer spröden, wichtigtuerischen Künstlichkeit. Als ich ihn wiedersah, habe ich mich sofort in ihn verliebt. Plötzlich war er alles andere als spröde, sondern ein durch seine atemberaubende Kunstfertigkeit dicht angefülltes Wunderwerk. Obsessionen, Schuld und Sühne, der blanke Wille zum Leben, die Wunden des Lebens. All das wird zu einem ergreifenden Monument.
2. Abwege (D 1928)
Georg Wilhelm Pabst’ vergessenes Meisterwerk. Erst seit 1998 gibt es wieder eine vollständige Version und die hat es in sich. Irene Beck, gespielt von der Königin des Overacting Brigitte Helm, will sich nicht im ehelichem Heim einsperren lassen. Zu verlockend erscheinen die Einladungen ihrer Freunde. Folglich flüchtet sie in die Clubs von Berlin um Ausgelassenheit, Drogen und Orgien zu finden, die ebenso viel Leere bieten wie ihre Ehe. Auch die Affäre mit Maler Frank scheint sie nicht befriedigen zu können. Pabst und sein Kameramann Sparkuhl zeigen wo der Hammer hängt, nämlich an Bildern die je nach Situation kristallklar oder komplett entrückt sind. Raoul Coutard hat diesen Film entweder nie gesehen oder in sich aufgesogen. Das Ende ist schließlich so befriedigend wie eine vorzeitige Ejakulation und lässt es gar nicht zu, dass Abwege verarbeitet werden könnte. Er beißt sich im Kopf fest und will ihn nie wieder verlassen. (Das Abwege eine DVD-Veröffentlichung bekommt, sei hiermit gewünscht.)
1. Die dritte Generation (BRD 1979)
Deutschland am Rande des Nervenzusammenbruches. Eine Komödie des Unbehagens ohne Pointen. Jahrelang habe ich mich gewehrt und wollte diesen Film nur gut finden. Die Hysterie, bis zum Anschlag aufgedreht, war zu unbehaglich. Die gefühlt 5000 Tonspuren zu wirr. Die Figuren zu kläglich in ihrem Handeln. Die Schauspieler zu überdreht. Doch irgendwann wurde mir klar, dass es so sein muss. Dass es nicht anders sein kann. Ein tiefer Blick ins Herz der BRD. Oder wie sagt Gerhard Gast … für vieles hier so passend: „Am Ende braucht man, was man früher zum Kotzen fand.”