#178 – Om Shanti Om von Farah Khan (Musical-Reihe)

Der sechste Film in unserer Reihe über Musicals entführt uns in die Hindi-Filmindustrie, besser bekannt als Bollywood. Regisseurin und Choreographin Farah Khan inszenierte Om Shanti Om (2007), der uns zunächst in die Blüte dieser indischen Filmindustrie entführt, nämlich die 70er Jahre. Da verliebt sich ein Kleindarsteller (Shah Rukh Khan) in einen Filmstar (Deepika Padukone) bzw. ihr Abbild auf einem riesigen Werbebanner. Was komödiantisch und romantisch beginnt, entpuppt sich als zum Teil äußerst düster. Warum der von Referenzen überquellende Film sich auch für alle lohnt, die noch nie einen Bollywood-Film gesehen haben, erfahrt ihr hier.

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Kontrapunkt: Filmrolle Berlinale 2012

Hier werden meine persönlichen 13 Filmeindrücke von Samstag, dem 11. bis Freitag, dem 17. Februar auf dem größten Publikumsfestival der Welt rekapituliert.

Dollhouse (IRL 2012) – Panorama

Die Irin Kirsten Sheridan drehte vier Jahre nach “Der Klang des Herzens” wieder in ihrer Heimat. Ihr mit Handkamera gefilmtes Drama um die überraschende Einblicke hervorbringende Destruction-Party in einem leerstehendem Haus spielt mit den Dualismen Ordnung und Chaos, Leben und Tod, kindliche Sorglosigkeit und erwachsenem Übernehmen von Verantwortung. Maßgeblich zu einer unwirklichen, träumerischen Atmosphäre tragen auch eingespielte Songs von Dead Man’s Bones bei, welche von Schauspieler Ryan Gosling mitgegründet wurde. “Independent” wird also auch auf der Tonspur groß geschrieben. Schade ist indes, dass der Film keine Auflösung seines thematisierten Konflikts präsentiert, sondern sich abrupt aus der Affäre stiehlt und Vieles unerklärt lässt.

The Woman in the Septic Tank (RP 2011) – Forum

Ein Film übers Filmemachen – nicht aus den USA, sondern aus dem Indenpendent-Kino der Philippinen. Sämtliche Inszenierungsweisen innerhalb eines Films im Film (Arme Mutter verkauft ihr Kind an einen Pädophilen) werden durchdekliniert – unterlegt mit einem das Drehbuch rezitierendem Voice Over. Mal albern, mal urkomisch wird in wackeligen Handkamerabildern von den Klischees des philippinischen Kinos erzählt mit der großartigen Eugene Domingo, die neben “Elevator”-Schauspiel noch zwei weitere Arten sehr anschaulich darstellt und mit soviel Selbstironie die Lacher auf ihrer Seite hat.

Barbara (D 2012) – Wettbewerb

Sachlich-nüchtern wie immer inszeniert Christian Petzold dieses Drama um die Assistenz-Ärztin Barbara (Nina Hoss), die aus der DDR des Jahres 1980 ausreisen will. Doch trotz einer West-Bekanntschaft (Mark Waschke) und Stasi-Willkür fällt ihr die Entscheidung, die ostdeutsche Provinz zu verlassen, zunehmend schwer – auch weil sich Oberarzt André (Ronald Zehrfeld) als liebenswerter und verständnisvoller Kollege entpuppt. Nina Hoss’ reduziertes Mienenspiel und eine nahezu statische Kamera, die zugunsten vieler Schnitte kaum fährt oder schwenkt, passen zur bedrückenden Enge des kontrollierten Lebens im Arbeiter-und-Bauern-Staat. “Barbara” wohnt gar eine beeindruckende Spannung inne, die durch ein subtiles, aber omnipräsentes Zeitkolorit noch verstärkt wird.

Don – The King Is Back (IND/D 2011)Berlinale Special

Wie würde Bollywoods Antwort auf “Mission: Impossible” wohl aussehen? Genauso wie diese Shah Rukh Khan-Egoshow vermutlich, die jedoch durch Selbstironie und beeindruckende Actionsequenzen mit unterschiedlichsten Stilmitteln (Zeitlupen, Zeitraffer, Kranfahrten, Jump Cuts) in keiner der 140 Minuten langweilt. Der großspurige Pate Don (Khan) plant mit seinen Kumpels einen Coup auf die Deutsche Zentralbank und will Druckerplatten für Euro-Scheine stehlen. Interpol – einer der Agenten: der sträflich unterforderte Florian Lukas – hat jedoch etwas dagegen und so kommt es zu einem temporeichen Katz-und-Maus-Spiel, auch weil Don plötzlich von allen Kollegen verraten wird.

Dictado (Childish Games, E 2012) – Wettbewerb

Ein solide inszenierter Psychothriller aus Spanien, bei dem Lehrer Daniel (Juan Diego Botto) nach dem Tod seines Freundes Mario in dessen Tochter Julia das nicht gealterte Mädchen Clara zu entdecken glaubt, dessen Tod die beiden Männer in Kindertagen verschuldeten. Beunruhigend anschwellende Streicher und ein annehmbarer Spannungsbogen können nicht darüber hinweg trösten, dass man sich nur in einem wenig originellen Aufguss von Hitchcocks “Vertigo” befindet, dem am Ende dann gänzlich die  eigenen Ideen ausgehen. Und: Was hat dieser durchschnittliche Film eigentlich in einem internationalen Wettbewerb verloren?

Spanien (A/BG 2012) – Forum

Innerhalb der bedrückenden Stimmung dieses in Niederösterreich spielenden Episodenfilms begegnen sich alle der Beteiligten durch Zufälle. Dabei spielen Glaube und eine biblische Aufladung der Figuren eine große Rolle, da Gottesfurcht der Antrieb von Protagonist Sava (Grégoire Colin) als illegaler Migrant ist und Regisseurin Anja Salomonowitz das Motiv des Füßewaschens und der in einer Kirche herumkrabbelnden Ameisen als entsprechende Bezüge einsetzte, wie sie im anschließenden Q&A verriet. Ein nachdenkliches, intensives Drama um Geschichten, die das Leben schreibt und Alltagsprobleme spiegelt. Nur wenige Klischees stechen dabei etwas negativ hervor.

Shadow Dancer(GB 2012) – Wettbewerb

Ebenso bieder erzählter wie inszenierter Thriller im historische Bedeutung evozierenden Grauschleier-Look um den Nordirland-Konflikt, in welchem Attentäterin Colette (Andrea Riseborough) Anfang der 90er Jahre zur Zusammenarbeit mit MI5-Mann Mac (Clive Owen) gezwungen wird. Dieser stellt ihre Sicherheit an erste, die “Mission”, Informationen über die geplanten Aktionen ihrer Brüder zu beschaffen, an die zweite Stelle und zieht damit den Unmut seiner Kollegen (u.a. Gillian Anderson) auf sich. Brisantes politisches Thema, nüchterne Umsetzung – so hat man es gern auf der Berlinale. Dennoch wäre dieser Film im Fernsehen besser aufgehoben und verliert im Direktvergleich zu Hirschbiegels “Five Minutes of Heaven” und Tykwers “Heaven” (zu denen er zumindest vage Bezüge herstellt) deutlich.

Bugis Street Redux (SGP/HK 1995/2011) – Panorama

Hongkong-Regisseur Yonfan legte die neue Version seines Coming-of-Age-Movies vor, in welchem die 16-Jährige Lian (Hiep Thi Li) in dem Tollhaus Sin Sin Hotel voller transsexueller Ladyboys lernt, ihre  Liebes-Bedürfnisse auszuprägen. Geprägt von Ansprachen direkt in die Kamera, warmen Farben und einer jazzigen Musikuntermalung gelingt Yonfan auch dank einer ultrasüßen Hauptdarstellerin das warmherzige Kaleidoskop einer ausgeprägten Szene innerhalb eines Viertels in Singapur, das jedoch im Prozess zunehmender Modernisierung zu verschwinden droht. Ein beeindruckender, manchmal allerings arg lärmender Einblick in die Parallelwelten der Prostitution und Travestie in Fernost.

Mommy is Coming (D 2011)Panorama

Dylan (Lil Harlow) und Claudia (Papi Coxx) sind ein lesbisches Pärchen, das gern einmal wilden Spontan-Sex mit der Penetration einer Pistole auf dem Rücksitz eines Taxis hat. Doch Claudia will mehr, was zur zwischenzeitlichen Trennung führt. Just in diesem Moment will Dylans sexuell frustrierte Mutter nach Berlin kommen – und wird schlussendlich von ihrer eigenen Tochter penetriert. Letzteres ist nur die albernste Wendung dieser überkonstruierten Verwechslungskomödie, die neben wackeligen HD-Handkamerabildern und grenzwertig expliziten Darstellungen der Penetration weiblicher Genitalien nur gute Ansätze auf der Interpretationsebene zu bieten hat. Von der queeren Zielgruppe mit Szenenapplaus frenetisch gefeiert, aber schauspielerisch mager und inhaltlich ziemlich (dildo-)bananig kann auch das ironische Spiel mit Lesben-Klischees nicht mehr viel herausreißen.

Haywire (USA/IRL 2011) – Wettbewerb (Außer Konkurrenz)

Einen Actionthriller wie einen Arthaus-Film zu inszenieren, das kann nur Steven Soderbergh. Lange Einstellungen, eine unaufgeregte Inszenierung, jazzige Musikuntermalung und unvermittelte, radikal physische Fights: Eleganz und Stil statt Highspeed und Spektakel – mit einem Hauch gespannter Ruhe im Stile von Jim Jarmusch. Innerhalb einer über ausufernde Rückblenden erzählten “Bourne”-Geschichte wird Agentin Mallory Kane (Gina Carrano) in eine Intrige verwickelt und muss brutal um ihre Freiheit kämpfen – ihre Jäger stets auf der Spur. Das ist schnörkellos, kompromisslos und stets spannend. Einzig ein CGI-Reh als bemühtes komödiantisches Element und Michael Douglas in einer für die Narration unerheblichen Nebenrolle hätte es nicht gebraucht.

No Man’s Zone (J/F 2012) – Forum

Dafür, dass die Synopsis im Programmheft Analogien vom “tarkowskijschen Stalker” bemüht, war ich über diese Fuskushima-Doku doch etwas enttäuscht. 360 Grad-Kameraschwenks, die die ganzen Ausmaße des Tsunamis 2011 in Japan offenlegen und Menschen, die von ihrem Schicksal in der 50 km-Zone um Fukushima erzählen, sind zusammen ein paar Zutaten zu wenig, um 103 Minuten zu fesseln. Der sachliche wie kritische Off-Kommentar, der mit der “Sucht nach den Bildern der Zerstörung” die mediale Aufmerksamkeit nach den beiden Katastrophen hinterfragt, gibt dabei die meisten Denkanstöße in dieser ansonsten leider etwas blutleer und puristisch geratenen Dokumentation von Fujiwara Toshi.

Das Meer am Morgen – La mer à l’aube (F/D 2011) – Panorama

Im besetzten Frankreich des Sommers 1941 soll nach dem heimtückischen Mord an einem deutschen Offizier ein Exempel unter den Internierten der einheimischen Bevölkerung statuiert werden. Volker Schlöndorffs Geschichtsstunde spart weitsichtige, diplomatische Bedenken an der Ausführung von Hitlers Befehl seitens deutscher Offiziere wie Ernst Jünger (nachdenklich: Ulrich Matthes) nicht aus, was lohnenswert ist, aber auch mächtig ausbremst. Die Charakterzeichnung der französischen Kommunisten gerät hingegen arg eindimensional, auch in den Motiven der wahren Attentäter. Actionszenen und jeder sonstige Aufwand bei der behäbigen Inszenierung werden ausgespart, Dialoge sind lang und wirken aufgesagt, was bei einer Lauflänge von knapp 90 Minuten und der Finanzierung bedeutet, dass dieses Kriegsdrama sehr bald auf arte zu sehen sein wird – und dort auch viel besser aufgehoben ist als im Kino.

Gnade (D/NO 2012) – Wettbewerb

Tiefsinniges und großartig gespieltes Schuld-und-Sühne-Drama, bei dem sich ein entfremdetes deutsches Auswanderer-Ehepaar (Jürgen Vogel, Birgit Minichmayr) über die fahrlässige Tötung eines Mädchens in Hammerfest wieder nahekommt. Matthias Glasner inszeniert reduziert, stellt die wunderschöne Schnee- und Eislandschaft Nordnorwegens in Cinemascope-Bilder aus und untermalt diese nur selten mit Chormusik, die zusammen mit der Monate dauernden Polarnacht zudem als Metapher für menschliche Kälte, Schuld und fehlende Moral herhält. Leider stoßen die letzten Bilder des Films inklusive einer ebenso unpassenden wie offensichtlichen Werbung für Apple-Produkte bitter auf.
Einen kleinen Rückblick zu den Berlinale Shorts findet ihr hier.
Einen etwas anderen Festivalbericht von mir könnt ihr hier nachlesen.