In seinen berauschenden Momenten wirkt Motorway wie ein The Mission auf Rädern. Man kann den ästhetischen Stammbaum des Milkyway-House Styles über die neue Regiearbeit von Cheang Pou-Soi nahtlos zu seiner ersten Perfektionierung zurückverfolgen, zur Kurosawa-Hommage, welche die letzten 180 Sekunden von “Sanjuro” auf 81 Minuten ausdehnte. Ähnlich präzise arbeitet Motorway, nur eben mit Autos statt Pistolen, einem Parkhaus statt einer Mall und einem Protagonisten, der mehr den hitzköpfigen Helden aus Cheangs früheren Filmen gleicht als den späten Milkyway-Killern. Shawn Yue kehrt nach “Shamo” zurück in dessen Männerwelt und gibt den arroganten Rookie, der diesmal nicht den sachgerechten Einsatz seiner Fäuste, sondern den seines Automobils erlernt. Die Bürde der Zeit, die soviele Milkyway-Professionals in den Untergang zu treiben droht, bleibt Yues Cop erspart und vielleicht ist es diese Leichtigkeit, welche Fans des Hongkonger Produktionshauses sowie zufällig darüber stolpernde “Drive”-Bewunderer enttäuschen wird. “Motorway”, wie “The Mission” die Beobachtung eines Lernprozesses, entsagt dem Fatalismus, den Johnnie To in “Exiled” und “Vengeance” zur Maxime all jener erklärt hatte, welche besagte Last noch wahrzunehmen im Stande sind. Eine Skorpionjacke sucht man hier außerdem vergebens.
Die Fahrer (so der Originaltitel ??) liefern sich in Motorway ein Gefecht der engen Kurven, desorientierenden Rauchwolken und plötzlichen Bremsmanöver. Der wie so oft vom Festland stammende Eindringling (Guo Xiaodong) kehrt zurück nach Hongkong, um seinen Kollegen aus dem Gefängnis zu befreien. Eine Einstellung – eine hochgelegene Terrasse, feine Kleidung, der weite Himmel – genügt, um klarzustellen, dass er es nicht des Geldes wegen tut. Zunächst unwissentlich werden die Cops in sein Spiel gezogen. Dank einer strategischen Perfektion, die Accident würdig wäre, nimmt der Getaway Driver Hongkong in seine Gewalt, bestimmt mit seinem Auto wie der Bleistift eines Kartographen über die Wege durch die Häuserschluchten, die Routen der Verfolgung, die prinzipielle Erfahrbarkeit der Stadt. Seine Lockversuche ziehen die Cops in Schwärmen an. Der Rookie verbeißt sich in den Köder und das Kräftemessen nimmt seinen Lauf. Es ist der Versuch, den an sich schon schwer fassbaren Raum Hongkong wieder unter Kontrolle zu bringen. Um die Herausforderung zu meistern, gilt es nicht, das schnellere Auto zu fahren oder die geheime Abkürzung zu finden. Der Gegner muss innerhalb seines eigenen Regelkanons geschlagen werden, wodurch sich “Motorway” wiederum klar im Milkyway-Universum positioniert. Der Getaway-Driver gehört zu den Ehrenvollen im jiang hu. Er ist nicht Simon Yams Gangsterboss in “Vengeance”, der seine Armee auf drei Killer hetzt. Mit den Bodyguards aus “The Mission”, die während einer Schießerei die Fähigkeiten ihres Gegners bestaunen und diesem anschließend einen Tee servieren, teilen diese Konkurrenten dagegen eine entfernte Verwandtschaft.
Obwohl in Motorway die Beziehung der beiden Spieler dramaturgisch untermauert wird und sich deswegen eine Dreiecksgeschichte irgendwo zwischen “Karate Kid” und “Top Gun” entspinnt, schüttelt das Duell den Charakter eines fachmännischen Wettbewerbs nie ab. Die schlichtweg außergewöhnlich choreographierten Set Pieces auf dem vom Neonlicht beschienenen Asphalt der Metropole generieren aus diesem extrem analytischen Blick eine solche physische Spannung, dass selbst der Stillstand der Motoren die Bilder vor Energie kochen lässt. Als höchstes Ziel wird die sinnliche Verschmelzung mit der Maschine proklamiert (der drive). Wenn die Hand langsam über den Lack streicht, die entfernten Vibrationen eines Gefährts die Haut sehnsüchtig erzittern lassen oder die roten Bremslichter des Jägers durch den Rauch der Abgase verschwinden, dann kommt Motorway ebenda an. Cheang Pou-Soi hat einen Film gedreht, der seine audiovisuellen Pferdestärken nicht aus dem Genre-üblichen Geschwindigkeitsrausch bezieht. Zwischen höchster Anspannung und präziser Entladung tragen die Fahrer einen Kampf um die Straßen aus, der sie gleichermaßen in der wuxia-Tradition des Heroic Bloodshed und dessen unsentimentaler Bereinigung Ende der 90er Jahre verortet. Das optimistische Abenteuer eines jungen Großstädters, der primär sich selbst überwinden muss, fühlt sich nichtsdestotrotz zutiefst wohl in der Hongkonger Gegenwart.