Wenn die Queen zur Knarre greift…

Robert Schwentke scheint Genrefilme zu lieben. Das mag einer der Gründe sein, warum er in die Traumfabrik geflüchtet ist. Weder Zeitreiseromanzen noch einschläfernde “Sieben”-Verschnitte sind dem in Stuttgart geborenen Regisseur, der sein Handwerk in den USA gelernt hat, fremd. Sein neuer Film Red, eine Comicverfilmung, besticht in erster Linie durch den skurrilen Humor irgendwo zwischen “Burn After Reading” und “Keine halben Sachen”. Dem überdrehten Trailer nach zu urteilen, könnte es sich aber ebenso gut um eine Direct-to-DVD-Veröffentlichung á la “Lucky Number Slevin” handeln.

Achja, Helen Mirren hält hier eine riesen Wumme in Händen. Das war – zugegeben – der einzige Grund für diesen Post. Am 28. Oktober soll “Red” (oder “R.E.D. oder “RED”) hierzulande die Kinoleinwände mit seiner Präsenz segnen. Einen deutschen Trailer gibt’s bei Moviegod zu bestaunen.

Endzeitvampiractionwestern

Vielerorts wurde Scott Stewarts “Legion” zerrissen. Der Film hatte zweifellos eine Liste großformatiger Mängel vorzuweisen, doch auch den ein oder anderen Hinweis auf verstecktes Potenzial. Mehr dazu kann man in meiner Kritik nachlesen. Ob Stewart bei seiner zweiten Zusammenarbeit mit Paul Bettany besser abschneidet, wird v.a. vom Drehbuch abhängen. Priest wird gemeinhin als Vampir-Western beschrieben. Wer braucht da noch eine Inhaltsangabe? Am 9. Juni 2011 werden wir in Deutschland uns das Gemetzel ansehen können.

Kontrapunkt: Die Filme von Christopher Nolan

Dieser Regisseur hat einen kometenhaften Karriere-Aufstieg zu verzeichnen: Christopher Nolan. Von der New York Times als „blockbuster auteur“ bezeichnet, gelang es ihm insbesondere durch seine beiden „Batman“-Filme, kommerziellen Erfolg und inhaltlichen Anspruch miteinander zu vereinen. Eine Kombination im hollywood’schen Mainstream-Kino freilich, die selten ist.

Dabei hat Nolan auch einmal klein angefangen, mit einem merkwürdigen Kurzfilm namens Doodlebug. Darin verfolgt ein verängstigter Mann in einem heruntergekommenen Zimmer Ungeziefer, welches er erschlagen will. Wie sich herausstellt, ist das Ungeziefer eine kleinere Ausgabe von sich selbst, desselben Mannes in einer anderen raumzeitlichen Dimension, die durch serielle Wiederholung derselben Tätigkeit(en) gekennzeichnet ist. Dieser Riss im Raum-Zeitgefüge bleibt unerklärt, was diesem kafkaesken Schwarz-Weiß-Film beinahe schon experimentelle Züge um das Spiel mit der (Kamera-)Perspektive verleiht.

Der Übergang zum zweifelsohne narrativen, aber zugleich die standardisierten Sehgewohnheiten aufbrechenden Film gelang Nolan dann mit Memento, auch wenn er sich noch nicht thematisch wie formalästhetisch (zum Teil wieder schwarz-weiß) von seinem Kurzfilm löste. Auch hier greift er den Riss im Raumzeitgefüge wieder auf, macht ihn gar zum zentralen Gegenstand der achronologisch erzählten Story, doch legitimiert er dies durch eine Schädigung des Kurzzeitgedächtnisses der Hauptfigur. Leonard Shelby (gespielt von Guy Pearce) hat darin kein Zeitgefühl, kann Zeit nicht empfinden, weil er nach einigen Minuten nicht mehr weiß, was gerade geschehen ist. Sein Leben ist durch seine eigene Zeitwahrnehmung episodisch strukturiert (so auch der Film) und zirkuliert in ewig gleichen Handlungsmotivationen. Er sucht den Mörder seiner Frau, einen Mann namens „John G.“, immer wieder. Auch wenn er ihn gefunden und ermordet hat, wird dies wieder zu seinem Lebensziel, sobald ihn sein „Zustand“ dieses Ereignis vergessen lässt. Shelbys Leben in seiner abgeschotteten, nach eigenen Regeln funktionierenden Gedankenwelt, die sich von jener der Lebensumwelt drastisch unterscheidet, ist in serieller Wiederholung organisiert, ein abgeschlossenes System im System.

Ähnlich lässt sich auch die durch Halluzinationen geprägte Wahrnehmung von Will Dormer (Al Pacino) in Insomnia deuten, die anders als seine Kollegen und die der Bewohner Alaskas funktioniert. In seinem Kopf konvergieren Traum und Realität, Vorsätzlichkeit und Fahrlässigkeit beim Tod seines Kollegen, im Film metaphorisch dargestellt durch das Grün der Natur (Leben) und Eis (Tod), welche beide nebeneinander existieren, miteinander. Der Film lebt von diesen dualistisch aufgeladenen Schauplätzen und es ist bezeichnend, dass die Schlüsselszenen des Films im Nebel stattfinden, welcher die vernebelte Wahrnehmung und die aufgewühlte Gedankenwelt Dormers exemplifiziert.

Diese Gedankenwelt ist in Inception ein zentraler Bestandteil. Sie wird von Dom Cobb (Leonardo Di Caprio) und seinen Kollegen im Unterbewusstsein eines Träumenden um Ideen bestohlen oder neu angeordnet, indem eine neue Idee ins Unterbewusstsein implementiert wird. Nolan präsentiert dabei atemberaubende Bilder der Schwerelosigkeit und Zeitlupen, die allesamt durch die Traumlogik motiviert sind. Ähnlich „Memento“ und Prestige (Dreiteilung eines Zaubertricks; auch der Film hält am Ende einen überraschenden Twist bereit) wird auch bei „Inception“ das Sujet auf die Struktur des Films übertragen. Dass für Cobb die Grenzen zwischen Traum, Erinnerung und Realität verschwimmen, wird für den Zuschauer durch das wiederholten Hin- und Herspringen zwischen mehreren Traumebenen und dem daraus folgenden Overkill in den Erzählsträngen deutlich. Er erhält einen Einblick in die Funktionsweise der Traummanipulation – stets konfrontiert mit dem Zweifel, ob er seinen Augen trauen kann. Und auch hier wird wieder die philosophische Frage gestellt, ob eine Welt außerhalb der eigenen Gedanken existiert oder einen Wert hat. Das kann man auch als eine Allegorie auf das Filmemachen verstehen: Ohne diese im Innern reifenden Ideen, nur durch die perspektivlose Abbildung der äußeren Welt entstehen keine Spielfilme.

Nolan spielt mit diesen psychologischen Themen. Alle Figuren sind ausgestattet mit einem Makel in den kognitiven Fähigkeiten. Er stellte gar Fragen um die moralische Befindlichkeit eines gebrochenen Helden und einer von Verbrechen erschütterten Stadt, als er sich der Frischzellenkur des „Batman“-Comicuniversums annahm. Stets anspruchsvoll, aber unterhaltsam, stets mainstreamtauglich, aber mit Mut zu außergewöhnlichen Themen. Da freut man sich schon auf Nolans nächsten „Batman”-Film.

Meine detailliertere Besprechung von „Inception“ findet ihr auf MovieMaze.de.

Vengeance (HK/F 2009)

Im Gegensatz zu vielen Kollegen hat Johnnie To dem sicherlich vorhandenen Ruf Hollywoods weitgehend widerstanden. Seine Filme seien untrennbar mit Hongkong verbunden, hat er in Interviews geäußert. Wohl deshalb wurde der Handlungsort des nun auf Eis liegenden Remakes des Melville-Klassikers “Le Cercle Rouge” in seine Heimatstadt verlegt. Mehrere Jahre lang wurden Liam Neeson und Orlando Bloom mit diesem Projekt in Verbindung gebracht, doch 2009 verkündete To in Cannes, dass wohl nichts aus diesem Traum werden würde. Den vermeintlichen Ersatz desselben stellte er damals vor, eine chinesisch-französische Koproduktion mit dem Namen Vengeance. Man kann To sicher nicht vorhalten, dass er immer nur den selben Film dreht. Vielmehr jongliert er eine Reihe von Serien mit jeweils unterschiedlichen thematischen und strukturellen Eigenheiten. Da sind diverse Filme mit psychisch/physisch kranken Helden, den “Fulltime Killers” und “Mad Detectives” seiner Filmografie. Dem gegenüber steht u.a. die Hitmen-Trilogie, welche 1999 mit “The Mission” in Gang gesetzt, 2006 in Gestalt von “Exiled” wiederbelebt wurde. Im Gepäck eine begrenzte Zahl visueller und narrativer Topoi, nähert sich To diesen Filmen wie einem spaßigen Genrespielplatz an. Ob ironische Entblößung der Heroic Bloodshed-Klischees durch die Inszenierung des absoluten Gegenteils derselben in “The Mission” oder Adaption und Perfektion dieser im Nachfolger, die Filme zeigen To von seiner selbstreflexivsten Seite. Nur so wird aus einem Actionfilm aus HK ein Italo-Western in asiatischem Gewand. Oder eine blutige Hommage an Jean-Pierre Melville. Als solche kann man “Vengeance” zweifellos bezeichnen. Kein Wunder, dass ursprünglich Alain Delon für die Hauptrolle vorgehesen war. Die trägt den Namen Francis Costello und scheint entfernt mit dem eiskalten Engel Jef Costello verwandt zu sein. Wie dieser trägt der Franzose Francis (Johnny Hallyday) einen Trenchcoat und ist alles andere als ein geborener Alleinunterhalter.

Costello reist nach Hongkong, um Rache zu nehmen an den Mördern der Familie seiner Tochter. Ein einfaches “venge-moi” der schwer verletzten Überlebenden (Sylvie Testud) genügt. Durch einen Zufall erlangt er die Hilfe von drei Triadenkillern (Anthony Wong, Lam Ka-Tung und Lam Suet), die ihm fortan bedingungslos zur Seite stehen. Wie in den beiden anderen Hitmen-Filmen auch wird eine Gruppe neu zusammengesetzt, um dann Bewährungsproben im Kugelhagel zu bestehen. Wieder findet man einen durchgedrehten Simon Yam auf der Gegenseite. Doch während die Vorgänger dank ihres spontanen Produktionsprozesses (kein Drehbuch, unter 20 Tagen Drehzeit) mit absoluter Reduktion auf das Wesentliche punkteten, ist der Plot von “Vengeance” geradezu aufgeplustert. Zumindest für einen film von To. Das Drehbuch von Milkyway-Mitbegründer Wai Ka-Fai synthetisiert aus Hitman-Filmen und kranker Heldenfigur eine unausgeglichene Genre-Dekonstruktion. Costello verliert nämlich nach und nach sein Gedächtnis. Eine alte Kugel im Kopf trägt die Schuld daran, dass er schon bald nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden kann, geschweige denn weiß, warum er in Hongkong ist. Während einer Schießerei ist das alles andere als beruhigend und davon bietet To genügend, um über einige Durststrecken hinweg zu trösten.

“Vengeance” ist schließlich keineswegs ein runder Film. Waren “Exiled” und zuletzt “Sparrow” visuelle und musikalische Leckerbissen, deren Leichtigkeit einen Meister auf dem Höhepunkt seiner Kunst zeigte, ist “Vengeance” unrhythmisch. Vielleicht ist der Grund für diesen Makel darin zu finden, dass die Gruppe hier niemelas wirklich fehlerfrei funktioniert, dass Hallyday immer ein Fremdkörper bleibt, was weniger an ihm selbst liegt, als an der Schwäche, die ihm das Drehbuch aufbürdet. Die ein oder andere massiv deplatzierte Szene, welche deutlich Wai Ka-Fais Handschrift trägt, entschuldigt das nicht. Dazwischen: Ungewöhnlich viel stille, viel tote Zeit wie einst bei Melville, die von (zu) kurzen Musikausbrüchen unterbrochen wird, wenn die Waffen im Einsatz sind. Da werden dann die filmischen Mittel des Genres auf eine Weise in Erinnerung gerufen, die jedem Genuss im Weg steht.  Die Selbstreflexivität, welche (hoffentlich) dahinter steht,  distanziert, nimmt den Spaß, verbannt auf den Posten reiner Bewunderung aus der Ferne.

Eine an einen Endzeitfilm erinnernde Schießerei zwischen Müllwürfeln wird Gesprächsstoff liefern, doch wirklich groß ist nur eine Sequenz im Wald. Unter dem flimmernden Licht des Mondes jagen da zwei Gruppen von Killern einander, während Laub auf sie nieder sinkt, gefolgt von sporadischer Dunkelheit, will es eine Wolke so. Hier findet To zu seiner Perfektion. Die Gewalt verblasst, die Schießerei wird zum Tanz, hin- und hergerissen von Stillstand und Bewegung, Licht und Schatten, Realität und Traum. Diese Minuten sind nicht nur unglaublich schön, sie konzentrieren auch die Essenz eines Films in sich, der von zahlreichen Spiegelungen gezeichnet ist. Wieder stehen Hitmen mit einer Mission im Mittelpunkt, doch ein Drehbuch-Coup schenkt ihnen,wie schon in “The Mission” Doppelgänger auf der Gegenseite. Ihr eigener Boss (Yam) hatte nämlich den Auftrag zur Ermordung der Familie erteilt, nur eben – der Zufall will es so – an drei andere Kollegen. So problemlos sich “Vengeance” als Weiterentwicklung zu den beiden anderen Hitmen-Filmen gesellt, so enttäuschend ist am Ende das Resultat. Die Pinselstriche von Johnnie To und Wai Ka-Fai stehen hier einander im Weg, passen ganz einfach nicht zusammen. So ist “Vengeance” ein qualitatives Auf und Ab, dessen Einzelteile überzeugender sind, als der Gesamteindruck.

Frame(s): Cameron Frye’s Day Off

Ferris macht blau ist wahrscheinlich John Hughes bester Film. Im Vergleich zum gefährlichsten Konkurrenten um diesen Titel  – “The Breakfast Club” – verhandelt “Ferris” ähnliche Themen im subtileren Mantel der Highschool-Komödie. Reiht der Coming of Age-Experte im “Club” unterschiedliche Schülertypen auf, nur um zu zeigen, dass sie tief drinnen alle nur unsichere Teenies sind, gestaltet er “Ferris” weitaus cleverer.

Schon der Titel verweist auf die augenscheinlich belanglose Leichtigkeit des Geschehens. Ferris (Matthew Broderick), die Hauptfigur, ist ein Traum ((Es ist sicher kein Zufall, dass Ferris mit Sloane ausgerechnet vor einem Chagall sitzt (den “America Windows”), während Camerons intensive Betrachtung einem Bild des Pointillisten George Seurat gilt. Die komplette Liste der zu sehenden Kunstwerke findet man hier. Die Sequenz gibt’s in voller Länge bei YouTube zu sehen.)). Respektlos, intelligent, lustig, von den Mitschülern verehrt – nicht gerade der typische Protagonist eines Films über das Erwachsenwerden. Deswegen macht nicht er die Entwicklung durch, sondern sein Freund Cameron (Alan Ruck). Jeder wäre in seiner Jugend gern ein Ferris gewesen, doch die meisten ähnelten eher letzterem. Schritt für Schritt verlagert Hughes im Verlauf des Films den Fokus auf Cameron und insbesondere dessen Konflikt mit seinem dominanten Vater. Die Sequenz im Art Institute of Chicago kann man nun als Wendepunkt bezeichnen, der den Höhepunkt in der Garage von Camerons Vater gegen Ende des Films vorbereitet.