Kontrapunkt: Wenn man Fußball scheiße findet…

… hat man momentan nicht viele Optionen. Schließlich kann die WM ungleich der schwarz-gelben Kindergarten-Koalition nicht durch vorgezogene Neuwahlen eher enden als bisher festgelegt (11. Juli). Hier aber ein paar alternative körperliche Ertüchtigungen im Sportfilm abseits des runden Leders:

An jedem verdammten Sonntag (USA 1999)

American Football. Von einem von Verletzungspech profitierenden und schnell zum Superstar hochgejubelten Ersatzspieler (Jamie Foxx) und der geldgeilen Managerin (Cameron Diaz) werden die antiquierten Trainingsmethoden und Taktiken eines Chefcoach-Urgesteins (Al Pacino) infrage gestellt. Daraus entspinnt sich ein packendes Drama um die Kommerzialisierung des Profisports, bei der die Gesundheit der Spieler riskiert wird und Männer wieder lernen müssen, dass sie nicht als Einzelgänger, sondern nur als Team große Leistungen erbringen können. Die Football-Szenen sind packend, doch Oliver Stones Film funktioniert hauptsächlich über den Overkill schneller Bilderfolgen, wo aus Aussprache zwischen Spieler und Trainer schon einmal durch zwischengeschnittene „Ben Hur“-Schnipsel eine Parabel auf Machtverhältnisse und Selbstbehauptung wird. Manchmal etwas over the top (der Soundtrack-Mix nervt), aber gut gespielt und wuchtig inszeniert. Ach ja: den ein oder anderen entblößten muskulösen Männer-Po gibt’s auch zu sehen.

Die Stunde des Siegers – Chariots of Fire (GB 1981)

Laufen. Die Verfilmung der wahren Geschichte zweier britischer Sprinter, die bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris in ihren Disziplinen jeweils Gold holten. Der Eine, Eric Liddle (Ian Charleson) ist streng gläubiger Christ und läuft, weil es seine Leidenschaft ist, der Andere, Harold Abrahams (Ben Cross), läuft, weil er jüdischer Abstammung ist, damit etwas in seinem Leben leisten und Anerkennung haben will. Doch bevor es nach Paris geht, treten sie nach langem, aber wohl historisch belegtem Vorgeplänkel gegeneinander an. Unzugänglich bleiben beide distanziert agierende Hauptdarsteller und der glänzend fotografierte und ausgestattete Film lässt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem sportlichen Leistungswillen oder dem angedeuteten Antisemitismus vermissen. Stattdessen durfte sich Komponist Vangelis mit einer seiner bekanntesten Melodien neben dem ansonsten ziemlich monotonen 80er-Jahre-Elektronikgedudel einen von insgesamt 4 Oscars abholen. Ein Film, der vordergründig ein Stück Sportgeschichte nachzeichnet und von dem eine faszinierende Strahlkraft ausgeht, der dabei aber hinter dieser Fassade nicht tiefer schürft. Eigentlich schade drum.

Weiße Jungs bringen’s nicht (USA 1992)

Basketball. Der klamme White Trash-Boy Billy Hoyle (Woody Harrelson) und das ständig pöbelnde Großmaul Sidney Deane (Wesley Snipes), beide Basketballasse, tun sich zusammen, um auf den Plätzen der Stadt bei Geldwetten andere Spieler abzuziehen. Das geht eine Weile lang gut, bis Billy alles verzockt und ihm und Freundin Gloria (Rosie Perez) die Schuldeneintreiber im Nacken sitzen, die nicht mit sich spaßen lassen. Neben einigen Basketballspielen und –tricks in Zeitlupe lebt der Film von seiner lärmenden, aber köstlichen Komik: Wenn sich Billy und skurrile Gloria streiten, nur um kurz danach über sich herzufallen oder Sidney auf dem Platz die Mütter anderer Spieler beleidigt, bleibt kein Auge trocken. Da sieht man auch über den allzu simplen Plot großzügig hinweg. Eine manchmal anstrengende, aber durch seine authentisch anmutenden Figuren sympathische Sportkomödie von Ron Shelton, die im Gegensatz zu seinem „Tin Cup“ nie Gefahr läuft, zur egomanen One-Man-Show zu mutieren.

Und für alle, die jetzt noch nicht genug haben: Filmstarts hat ein noch etwas größeres Sammelsurium von Sportfilmen abseits des Fußballs zusammengestellt.

Leave Nothing

“Leave Nothing” (Michael Mann, 2007)

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“Fate” (David Fincher, 2008)

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Kontrapunkt: Eine Höhlenexpedition in die weibliche Seele

Nachdem mir vergangene Woche mit High Lane – Schau nicht nach unten! ein eher mediokrer Genrebeitrag über den Weg lief, der bei The Descent – Abgrund des Grauens viel abkupferte und wenig selbst erfand, bekam ich Lust, den noch einmal zu schauen. Dieses Mal darauf achtend, fiel mir dabei die in Horrorfilmen beinahe schon typische Kodierung der Frauenfiguren ebenso ins Auge wie das Maß, in welchem „The Descent“ darüber hinausgeht. Klar, vordergründig betrachtet bleibt am Ende auch hier die Traumatisierte, die sich im richtigen Moment als clever und wehrhaft entpuppt, übrig, und Dummheiten (Karte absichtlich im Auto liegen lassen, tsts) werden bestraft, doch offenbart sich hinter diesem Standardrepertoire im Subtext eine tiefere Bedeutungsebene. Diese möchte ich versuchen offenzulegen, doch zugleich der Hinweis: Abgeschlossen ist die Deutung des Films damit nicht, sondern dies ist lediglich eine Interpretationsmöglichkeit. Lesern, die den Film noch nicht gesehen haben, sei dieser Text dabei aufgrund zahlreicher Spoiler nicht ans Herz gelegt.

Betrachtet man die Figurenkonstellation in „The Descent“, so wird schnell klar, dass sich zwischen den weiblichen Protagonisten gleich zu Beginn ein Konfliktherd auftut. Dieser besteht zunächst nur zwischen Sarah (Shauna Macdonald) und Juno (Natalie Jackson Mendoza). Sarah hat bei einem Unfall ihren Ehemann Paul und ihr Kind verloren, Juno hat sie bei der Trauer gleich danach ziemlich schnell allein gelassen. Dieser Konflikt wird später noch verschärft, als Juno bei einem Angriff der Mutanten aus Versehen Beth (Alex Reid) tötet, diejenige der sechs Frauen umfassenden Höhlenexpeditionsgruppe, welche Sarah damals – vor einem Jahr – am meisten beigestanden hat. Beth ist es auch, die Sarah aus einem einstürzenden Schacht zieht, sie nicht allein lässt. Dem Einsturz dieses Schachts geht jedoch ein schlüpfriger Witz Beths unmittelbar voraus („Wie bringt man eine Zitrone zum Orgasmus?“). Aus dieser Thematisierung des Sex, und sei es auch nur scherzhaft, resultiert das Hereinbrechen des Unheils in Form der nicht ausgelebten Libido. Selbiges gilt auch für den Autounfall zu Beginn, bei dem Sarah Ehemann und Kind verliert. Sarah spricht mit ihrer Tochter auf der Rückbank unmittelbar vor dem Unfall darüber, dass sie doch auch einmal Jungs zu ihrer anstehenden Geburtstagsfeier einladen könne, der geistesabwesend wirkende Paul denkt über seine unterdrückten Gefühle für Juno nach. Bezeichnender Weise werden Paul und Tochter bei dem Unfall von phallusartigen Metallstangen durchbohrt. Diese sexuelle Aufladung kann in beiden Fällen also nicht ohne Konsequenzen geduldet werden.

Fortan, mit dem Tod ihres Kindes, hat Sarah immer wieder surreal erscheinende Träume von ihrer Tochter, wie sie die Kerzen ihres Geburtstagskuchens auspustet. In Sarahs Gedanken ist sie real. Doch in den Mutanten in der Höhle, die dem weiblichen Sextett nach dem Leben trachtet, scheint ihre Tochter eine pränatale Manifestation im Realen gefunden zu haben. Diese Mutanten sind „unvollständig“, können nicht sehen, ihr Körper scheint nicht fertig geformt. Sie gleichen ungeborenen Kindern, Föten, die im wahrhaftigsten Sinne nie das Licht der Welt erblickt haben. Sie leben in einer feuchten Höhle, gleich dem Bauch ihrer Mutter. In diese Höhle dringen die sechs Frauen während ihrer Höhlenexpedition ein und greifen in das Leben der Mutanten, sozusagen der „Ungeborenen“ ein, die endlich die Möglichkeit sehen, sich an ihnen zu rächen, gegen die „Abtreibung“ zu wehren. „Abtreibung“ kann dabei sowohl mit dem Tod von Sarahs Tochter (durch Sarahs sexuell aufgeladenen Dialog; so verschuldete sie indirekt den Unfall) als auch mit dem emanzipierten Lebensstil der Frauen konnotiert werden. So bleibt das lesbisch aufgeladene Verhältnis zwischen der letztlich in ihrer Libido unbefriedigten Juno (schließlich ist der begehrte Paul tot) und der burschikosen Holly (Nora-Jane Noone) ungeklärt, aber schwingt latent über den gesamten Film hinweg mit.

Juno ist es auch, die ihr Im-Stich-Lassen Sarahs bei der Trauerarbeit wieder gut machen und dafür sorgen will, dass diese ihr Trauma nach einem Jahr durch die gemeinsame Höhlenexpedition endlich überwinden kann. Doch Sarah kann nicht über ihre Trauer hinwegkommen, sie nimmt immer noch Tabletten und ist gebrochen. Als sie schließlich in der Höhle im Angesicht der Bedrohung durch die Mutanten herausfindet, dass Paul und Juno mehr füreinander empfunden haben („Love every day“-Kette), schlägt dieser psychisch fragile Umstand in Todessehnsucht und blinde Zerstörungswut um. Hätten beide Frauen zusammen unter Umständen gegen die Rache der „Ungeborenen“ bestehen können, so rammt Sarah Juno schließlich aus Rache einen Haken ins Bein, der sich fluchtunfähig werden lässt und verlässt sie. Sarah hat indes mit ihrer Schuld den „Ungeborenen“ gegenüber abgeschlossen, verspürt nur noch Hass gegen sie und sich selbst. Auffällig: Sie fällt auf der Flucht vor einem weiblichen Mutanten in ein riesiges Loch, welches aufgefüllt ist mit dem Blut der Opfer. Sarah besinnt sich ihrer Menstruation, ihrer Fruchtbarkeit, ihrem Recht auf Selbstbestimmung (auch gegen ihre Rolle als Mutter) und sagt der Unterdrückung (Tod) ihrer Auffassung von Weiblichkeit den Kampf an. So träumt sie ein letztes Mal von ihrer Tochter, als sie sich damit abgefunden hat, dass dieser Kampf, das Beharren auf Selbstbestimmung, nur den eigenen Tod bedeuten kann, weil sie sich mit ihrem Innersten der Weiblichkeit (die Höhle als Analogie zum Uterus) konfrontiert sieht. Eine Verweigerung und ein Kampf gegen die eigene Natur, ihre eigene Sexualität und Libido, den sie nicht gewinnen kann.

Das ist nur eine in der Filmkritik oftmals angerissene, aber selten ausdeklinierte Deutungsweise des Films, der abgesehen davon ein ziemlich spannender, klaustrophobischer und ziemlich fieser Horrorthriller geworden ist. Für Freunde des Genres also ein klarer Tipp!

Fluss ohne Wiederkehr (USA 1954)

Zu den Neuerungen, die auf the-gaffer.de Einzug halten, gehören Specials, die sich um Genres, Schauspieler und vieles mehr drehen. Otto Premingers “Fluss ohne Wiederkehr” bildet den Auftakt für das erste Kritiken-Special, das sich ausschließlich Vertretern des klassischen amerikanischen Westerns widmen wird.

Am Ende ist es die Stille, welche das erwartete Spektakel des Finales durchdringt. Ein starker Kontrast zur Musikalität der vorangegangenen Minuten, reizt doch Marilyn Monroe nicht nur visuell, sondern auch als Sängerin, die  traurig “Love is a traveler on the river of no return” in die Westernkulisse säuselt. Western heißt in den 50er Jahren Wiederholung, heißt Zementierung eines Mythos durch immergleiche Bausteine, die hie und da anders zusammengesetzt werden, ohne das Gesamtkonzpt ins Wanken zu bringen. Otto Premingers Fluss ohne Wiederkehr besteht ebenfalls aus Bausteinen, aber jene Stille ist keiner davon. Premingers herausragende Fähigkeiten bei diesem Film bestehen zum einen darin, altbekannte Elemente auf ungewohnte Weise zusammen zu setzen, zum anderen aber lässt er ihr Vorhandensein einfach vergessen. Menschen auf dem Wildwasser – das verwandelt einer wie Curtis Hanson in den handwerklich zuverlässigen “Am Wilden Fluss”, der zu keiner Zeit mehr liefert als man erwartet (eben einen wilden Fluss). Ungeachtet der veraltet wirkenden Rückprojektionen, die bei Nahaufnahmen auf dem Floß unumgänglich sind, hat “Fluß ohne Wiederkehr” nichts an Stärke eingebüßt. Das ist kein Zufall. Bei  Preminger ist der Fluss genauso wie bei Hanson Katalysator der Konflikte, aber nicht der heimliche Hauptdarsteller.

Das obwohl der Film zu protzen scheint mit seinem CinemaScope, einer Technik, die Preminger in all ihren Facetten – von der Landschafts- bis zur Innenaufnahme – ausspielt. Ganz abgesehen von den kanadischen Bergen, die für das amerikanische Hinterland glänzend herhalten, denke man an einen simplen Koffer. Kay (Monroe) will das Floß verlassen, welches ihren Spielerfreund und sie in eine von Reichtum gesegnete Zukunft transportieren soll. Dabei fällt einer ihrer Koffer der Strömung des Flusses zum Opfer. Nun kann man dem Gegenstand allerhand symbolische Bedeutung zuschreiben. Treiben Kays Träume da flussabwärts? Wird hier schon auf den betrügerischen Charakter ihres Freundes verwiesen, der sich in wenigen Minuten offenbaren wird, als dieser einem Farmer (Robert Mitchum) Pferd und Gewehr stiehlt? So verlockend die Metaebenen auch sind, geht es zunächst ausschließlich darum, die Charakterisitken des Breitwandformates dezent in den Vordergrund zu rücken. Der Koffer gerät nämlich in dieser Sequenz nie ganz aus dem  Blick, schlängelt sich am Bildrand oder in der Tiefe der hinteren Bildebenen durch das Wasser, während der Film sich längst wieder mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Wenn er überhaupt ein Symbol ist, so darf man in ihm einen zwinkernden Wink Premingers sehen, der sich bei dieser Auftragsarbeit sichtlich amüsiert hat.

Rache ist der klassische Motor des Films – Mitchum will den Dieb stellen – und in der Strömung des Flusses findet sich ihre unaufhaltsame Dynamik wieder.  Mit Kay und seinem kleinen Sohn begibt dich der Farmer auf die waghalsige Reise. Der Rindertrack aus “Red River” und die Kutsche aus “Stagecoach”, allesamt Vehikel des amerikanischen Gründungsmythos’, der Besiedlung des Westens, werden gleichsam durch das Floß ersetzt. Die gefährliche Reise gehörte wie auch das geläuterte Showgirl schon 1954 zum verstaubten Inventar des Genres. Doch worum es Preminger eigentlich geht, ist die Rekonstitution einer Familie, sozusagen der Siedlergemeinschaft auf der Mikroebene. So muss man nur vom Ende – der Stille – zum Beginn des Films springen, um die Tragweite von Premingers Prioritäten zu erkennen. Farmer Matt, ein verurteilter Mörder, wurde gerade aus dem Gefängnis entlassen und sucht nun nach seinem Sohn, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Inmitten eines verkommenen Goldgräberlagers, dessen sündigem Chaos Premingers weitläufige Bilder entgegen kommen, finden sich die zwei Fremden. Von nun an müssen sie Familie sein. So reif und ohne jede Illusion, wie die Stille nach dem Schuss im Finale vorgetragen wird, so nüchtern ist diese Zusammenkunft zweier, die sich noch einmal kennenlernen müssen. Dass Mitchum der perfekte Schauspieler für den hartgesottenen Dad ist, steht von vornherein fest. Ihm gegenüber gelingt es der Monroe in dem von Marlene Dietrich perfektionierten Typus des Saloon-Mädchens Muttergefühle aufscheinen zu lassen. Der klassische Western kennt bekanntlich nur zwei Frauentypen und in Kays Brust schlagen ganz klar deren beider Seelen. Nur eine davon kann am Ende die Oberhand behalten.

Dass in einem Text über “Fluss ohne Wiederkehr” viel von den Figuren, der Landschaft und kaum etwas über Pferde, Duelle und Cowboys geschrieben werden kann, gibt einen Eindruck davon, wie wenig der Film den gängigen Unterhaltungsmustern des Genres nachhängt. Preminger, nicht gerade ein typischer Western-Regisseur, verbringt die meiste Zeit im ihm bekannten Terrain des psychologischen Dramas, das von Zeit zu Zeit durch Stromschnellen unterbrochen wird. Sein Gespür für die damals noch neue CinemaScope-Technik stellt er dennoch unter Beweis und zeigt gleich deren Potential abseits der Landschaftsaufnahmen auf. Damit ist “Fluss ohne Wiederkehr” ein Zeugnis der Flexibilität eines Genres, welches der Nachwelt wie kaum ein anderes in Gestalt von Stereotypen in Erinnerung geblieben ist.